Die Götter entscheiden über Tod und Leben

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Lina gab Maria ein Handtuch und die vorgeschriebene Kleidung des Ordens. Dann zog sie die Schere hervor. Maria schaute sie erschrocken an. "Keine Sorge. Ich will dir bloß die Haare schneiden. So wie ich.", erklärte Lina schnell und zeigte auf ihre eigene Kurzhaarfrisur. Maria nickte und so begann Lina ihr die Haare zu kürzen. Nach nicht einmal 10 Minuten waren die Haare geschnitten und die beiden Frauen traten aus dem Badezimmer zu den anderen beiden. Viviane musterte Maria einmal prüfend, ehe sie zufrieden nickte. "Bereit für die erste Prüfung?", fragte sie. Unsicher nickte Maria. "Na dann los.", rief Viviane und deutete auf die Tür, durch die Maria gehen musste, um zur ersten Aufgabe zu kommen. Unsicher tapste Maria zur Tür und ging dann langsam hindurch. Nachdem die Türe geschlossen war, schloss Viviane sie leise ab. Lina war überrascht. Das hatte sie bei ihrer Prüfung ja gar nicht bemerkt. "Kommt. Ich mache schnell die Lucke auf, damit die Kleine Licht hat. Wir treffen uns im nächsten Raum. Von dort aus können wir alles beobachten.", meinte Viviane. Lina und Maja nickten und verließen den Raum. "Hoffentlich schafft sie es.", murmelte Lina. Maja gab nur ein leises und nachdenkliches "Mh" von sich. Lina konnte nur den Kopf schütteln. War es Maja etwa so egal, was mit dem jungen Mädchen passierte? Maria war doch noch ein halbes Kind!

"Hey Lina! Wo willst du denn hin?" Lina schaute auf und bemerkte, dass sie schon an der nächsten Tür vorbeigelaufen war. "Äh.", gab Lina von sich. Maja schüttelte nur den Kopf und öffnete die Tür. Sie trat ein, doch Lina blieb draußen. Maja steckte den Kopf zur Tür hinaus. "Kommst du auch mal?" Lina schüttelte den Kopf, um ihre Gedanken loszuwerden. "Jaja. Klar." Schnell eilte sie zu Maja in den Raum. Diese ging zielstrebig auf die Tür zu, aus der Lina nach der ersten Prüfung getreten war. Sie konnte sich nur zu gut daran erinnern, wie sie sich gefreut hatte es geschafft zu haben. Und dann kam die Prüfung mit dem Brenneisen. Diese beruhigende Wärme kam ihr wieder in den Sinn. Diese Wärme war damals fast so wie die Wärme, die sie immer beim Beten verspürte. Lina widmete ihre Aufmerksamkeit wieder Maja, die an der Tür stand und daran herumwerkelte. Neugierig ging Lina auf sie zu. "Was machst du?", fragte sie leise. Maja grinste sie verschwörerisch an. "Das wirst du gleich sehen." Dann betätigte sie noch einen Hebel und zog an einem Holzbolzen. Viele kleine Klappen taten sich auf. Gerade so groß, dass man mit einem Auge hindurchblicken konnte. "Wow.", murmelte Lina. "Damit können wir diejenigen, die die erste Prüfung machen, beobachten.", erklärte Maja, die schon angestrengt durch eines der Löcher schaute. "Das hab ich ja gar nicht bemerkt als ich die Prüfung gemacht habe." "Glaub mir, wenn ich sage, dass das niemand merkt. Auf der anderen Seite sind die Gucklöcher gut versteckt und die dicken Wände und die Tür fangen jeden Ton auf. Außerdem hat man während der Prüfung ja was Besseres zu tun, als an der Tür nach solchen Löchern zu schauen. Da konzentriert man sich dann doch lieber auf die Schlange.", erklärte Maja. Und sie hatte recht. Sie hatte mit jedem Wort recht. Man konzentrierte sich in der Prüfung darauf, dass man heil wieder aus der ganzen Sache rauskommt und nicht darauf, ob in dem Raum irgendwo irgendwelche Gucklöcher vorhanden sind. Auch wenn Lina froh war, dass sie jetzt wusste, wie sie bei der ersten Prüfung beobachtet worden war. Sie war erleichtert.

"Und, was hab ich verpasst?", ertönte da Vivianes Stimme hinter ihnen. "Noch nichts. Die Kleine schaut wie gebannt auf die Schlange.", erklärte Maja. Nun fiel Lina auch ein, dass sie ja ebenfalls durch eines dieser Gucklöcher gucken konnte. Zeitgleich mit Viviane wandte sie sich einem der Löcher zu und blickte hindurch. Der Anblick des Raumes erschreckte Lina kurzzeitig. Ihr war, als hätte sie erst vor wenigen Minuten selbst dort gestanden, wo sich nun Maria befand. Doch sie hatte einen kühlen Kopf bewahrt, was Maria nicht zu gelingen schien. Unruhig flogen die Augen des Mädchens im Raum umher und wandten sich immer und immer wieder der am Boden liegenden, schlafenden Schlange zu. Im Licht glänzten die Schuppen der Kobra leicht, was die Situation nicht gerade besser machte. Alles wirkte noch bedrohlicher, als es ohnehin schon war. Nun hatte Maria es endlich geschafft sich aus ihrer Starre zu lösen. Ihr Blick wanderte im Raum umher und blieb schließlich an der Wand neben ihr hängen. Dort hing die Holztafel verborgen im Halbdunkeln. Mit zitternden und kleinen Schritten wagte sich Maria näher an die Holztafel. Ihre Augen flogen über das Geschriebene, ehe sie schnell die kleine Holzschachtel an sich riss und dann zwei Schritte zurück stolperte. Hecktisch drehte sich ihr Kopf in alle Richtungen, als würde sie eine Falle erwarten. Aber nichts geschah. Marias hektischer Atem beruhigte sich und sie richtete den Blick wieder auf die Schlange. Langsam setzte sie einen Fuß vor den anderen.

Doch sie schlich nicht in den Seitengängen entlang, wie Lina es einst bei ihrer Prüfung tat. Nein. Sie schlich direkt neben der Schlange vorbei! "Was tut sie da?!", flüsterte Maja panisch. "Wir müssen das aufhalten! Was, wenn sie getötet wird?", rief Lina hysterisch und schaute immer wieder von Viviane zu Maja, die ihre Blicke nicht von dem Geschehen im Raum abwendeten. "Wir dürfen uns nicht einmischen. Das ist verboten.", murmelte Viviane. "Aber dann wird sie sterben!", rief Lina. "Wenn es der Wille der Götter ist, dann...." Lina lies Viviane nicht aussprechen. "Der Wille der Götter. Pah! Wann haben sie uns jemals richtig geholfen? Und wenn die Götter ein kleines, unschuldiges Mädchen töten wollen, dann sind diese Götter falsch!" Entsetzt schauten Viviane und Maja Lina an. "Sag das nie wieder! Hörst du?! Sei lieber dankbar!", zischte Viviane mit verengten Augen, ehe sie wieder durch das Guckloch sah. Mit einem abfälligen Schnauben tat Lina es ihr gleich. Was sie da sah, erschreckte sie. Maria stand nun ratlos vor der Tür. Und hinter ihr hatte sich die Kobra aufgebaut! Alles ging ganz schnell. Maria drehte sich um. Ihr entkam ein Schrei. Die Kobra fuhr blitzschnell herunter und biss Maria. Diese sackte sofort in sich zusammen. Die Augen weit aufgerissen und mit einem letzten schmerzerfüllten Blick. Dann wurde der Leichnam des Mädchens von der Kobra in einen dunklen Teil des Raumes verschleppt. Mit weit aufgerissenen Augen stolperte Lina ein paar Schritte zurück und fiel zu Boden. Ihr Atem ging schwer, so als würde jemand ihre Kehle zudrücken. Auch Maja wandte sich so schnell wie sie konnte von der Tür ab und fiel auf die Knie. Sie presste ihre Hände vor ihren Mund, so als würde sie sich gleich übergeben müssen. Viviane löste sich nur langsam von dem Guckloch. Dann drehte sie sich zu den zwei Frauen um und blickte sie emotionslos an. "Die Götter haben entschieden."

Gott des KriegesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt