Die dritte Prüfung

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Lina schaute sich beeindruckt in dem Raum um. Die Wände waren nicht mehr aus Stein, wie die beiden Räume zuvor. Nein. Die Wände waren mit hellem, im Licht leicht orange schimmernden Holz verkleidet. Hohe Säulen aus demselben Holz reichten bis zur Decke. Auf ihnen waren die unterschiedlichsten Muster und Bilder kunstvoll eingeritzt worden. Lina sah Blumen und andere Ornamente. Aber auch viele Taten. Taten der Götter. Die Götter selbst. Jede der 12 Säulen war einem Gott gewidmet. Die Säule des Zeus zeigte einen starken Krieger. In seiner erhobenen Hand hielt er einen Blitz. Die Menschen auf der Säule verneigten sich vor ihm, während über ihren Köpfen ein Gewitter tobte und Blitze vom Himmel zuckten. Poseidon wurde ebenfalls mächtig und stark dargestellt. In seiner Hand hielt er einen Dreizack. Hinter ihm ragten hohe Wellen auf und alles war geschmückt mit Unterwasserpflanzen. Unter Poseidon befand sich sein Meeresschloss. Hades wurde ebenfalls mächtig dargestellt. Um ihn tobten Flammen und er versetzte die Menschen auf seiner Säule in Angst und Schrecken, indem er Leid auf der Welt verteilte. Hera. Sie wurde als gutmütige und wunderschöne Frau dargestellt, die die Arme willkommend ausbreitete und über die Frauen wachte. Athene. Sie wurde ebenfalls wunderschön dargestellt. Auf ihrer Säule befanden sich viele Blumen und ineinander verflochtene Ornamente, die sich hier und da zu Büchern formten. Die Menschen auf ihrer Säule kamen zu ihr, um sie um Rat und Wissen zu bitten. Apollo. Er hatte eine Harfe in der Hand und spielte auf ihr. Er war nicht ganz so stark abgebildet wie Zeus, Poseidon und Hades, doch auch er war stark. Um ihn herum tanzten die Menschen zu einer fröhlichen Melodie. Artemis. Schlank und mit Pfeil und Bogen abgebildet. Um sie herum viele weitere Jägerinnen und Waldtiere. Aphrodite. Die Schönheit überhaupt. Sie hatte einen Spiegel in der Hand und alle Männer sahen ihr nach. Hephaistos. Er war gut gebaut und hatte einen Hammer in der Hand. Vor ihm stand ein Amboss, auf dem er gerade ein Schwert bearbeitete. Demeter. Sie war nicht so schön wie die anderen Göttinnen, aber doch hatte sie die Anmut einer Göttin. Sie schwebte über den Männern, die gerade ihren Acker bebauten. Hermes mit seinem typischen Hut und seinen typischen Schuhen, an denen Flügel befestigt waren. Um ihn herum waren Wolken. Hestia, die über ein paar Häusern stand. Und zu guter Letzt Ares. Gott des Krieges. Er hatte eine glänzende Rüstung an und schwebte über einem Schlachtfeld. Lina war sich sicher, dass sie auf keinen Fall zu einem Gott wollte, der Krieg und Leid unterstützte. Sie wollte viel lieber zu Athene oder einem der großen Drei.

Lina blickte sich weiter um. Direkt gegenüber der Tür - auf der anderen Seite des Raumes - stand ein großer Altar. Auf diesen waren Blumen und Räucherstäbchen gestellt worden und in einer braunen Tonschüssel lag etwas Asche. An der rechten Wand war erneut eine Tür. Das Licht kam dieses Mal von einem Fenster, welches sich erneut an der Decke befand und direkt über dem Altar lag. Jetzt erst entdeckte Lina Amelie, die lächelnd links neben dem Altar stand und ihr mit einem Kopfnicken bedeutete näher zu kommen. Selbstsicher und mit einem erleichterten Lächeln schritt Lina auf die junge Frau zu und blieb direkt vor ihr stehen. "Meinen Glückwunsch. Ich wusste du würdest es schaffen.", flüsterte sie. Linas Lächeln wurde noch eine Spur breiter. Sie mochte Amelie schon jetzt und hoffte, dass sie demselben Gott wie sie dienen würde. "Dies ist die dritte und letzte Prüfung. Wenn die Götter dich für würdig halten, wird einer dich auserwählen, um ihm oder ihr zu dienen. Ich werde mich im Hintergrund halten. Das musst du ganz alleine schaffen. Nimm einfach ein Räucherstäbchen und halte es über die Asche. Alles Weitere wird von selbst geschehen.", erklärte Amelie flüsternd. Lina konnte sich schon denken, warum sie flüsterte. Dies hier war ein heiliger, geweihter Ort. Ein Ort, an dem man den Göttern nah war. Hier wurde man von ihnen auserwählt. Linas größte Angst war es nun, dass keiner der Götter sie auserwählen würde und sie den Tempel verlassen müsste. Doch sie hatte Vertrauen. Sie war sich sicher, dass sie von einem oder einer der Götter auserwählt werden würde. Sie hatte alle Prüfungen mit Bravour bestanden. Sie hatte Treue und Gehorsam bewiesen. Sie hatte Anspannung und Schmerz ertragen. Alles für die Götter. Nun mussten sie sie einfach auserwählen.

Lina atmete noch einmal tief durch und nickte Amelie zu. Diese nickte zurück und setzte sich dann in Bewegung, um sich neben die Tür zu stellen. Von dort aus konnte sie alles sehen, war aber nicht mehr im Weg, wenn einer oder eine der Götter Lina auserwählen würde. Lina atmete erneut an diesem Tag tief durch und nahm sich dann mit leicht zitternden Händen ein Räucherstäbchen. Es hing jetzt alles von dieser letzten Prüfung ab. Ihr zukünftiges Leben. Ob sie überhaupt überleben würde. Wie ihr Leben aussehen würde. Das alles hing von dieser Prüfung ab. So klein sie auch erschien, es war etwas Riesengroßes. Lina lief langsam die drei Treppenstufen zum Altar hoch und hob dann das Räucherstäbchen über die Asche. Kurz war es totenstill. Dann kam Wind auf. Heftiger Wind. Er wurde immer stärker und stärker. Er blies vom Fenster herein und wirbelte den Rauch und die Asche umher. Diese fing mit einem Mal an zu brennen und bildete langsam einen Namen. Gespannt und mit großen Augen schauten sowohl Lina als auch Amelie dem Schauspiel zu. Lina schloss die Augen und hörte das Zischen der brennenden Asche. Das Pfeifen des Windes. Sie hörte sogar ihren eigenen Herzschlag. Es schlug schnell. So schnell, als wolle es aus ihrer Brust springen und davonlaufen. Hinaus aus dem Tempel und wieder zurück nach Hause. Doch es gab kein Zuhause, zu dem sie zurückkehren hätte können. Das Haus gehörte nun der Stadt und die Stadtwache hatte Lina eigenhändig aus dem Gebäude geschmissen. Sie konnte nicht mehr zurück, auch wenn sie es wollen würde. Aber sie war schon so weit gekommen. Sie hatte die Prüfungen bestanden und dies hier war nur noch eine kleine Wahl. Der Wind erlosch und das Zischen hörte auf. Langsam öffnete Lina die Augen und sah einen brennenden Namen vor ihr in der Luft schweben. Ares. Der Gott des Krieges.

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