Die Realität ist kein Märchen

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Kurz war es komplett still in der Halle. Dann begann Enyalios schallend zu lachen. Ares stieg in sein Lachen mit ein, steckte dann sein Schwert weg und half seinem Sohn wieder auf die Beine. Lina kam mit leuchtenden Augen von der Tribüne heruntergeeilt und schmiss sich zuerst in Enyalios' Arme. Dieser legte immer noch lachend seine kräftigen Arme um die junge Frau und wuschelte ihr kurz durch die Haare. Dann löste sich Lina wieder von ihm und umarmte auch Ares stürmisch. Der Kriegsgott erwiderte die Umarmung sofort und lächelte seinem Sohn glücklich zu, woraufhin eben dieser noch heftiger lachen musste. Lina löste sich nun auch wieder von Ares. "Das war einfach unglaublich! Wie ihr herumgewirbelt seid und zugeschlagen habt. Und dann dachte ich zuerst Enyalios gewinnt, aber denn du plötzlich und dann lag er auf dem Boden und......" Linas Redeschwall wurde von Enyalios' Hand auf ihrem Mund gestoppt. "Ist ja gut, ist ja gut. Du findest Kämpfe beeindruckend. Haben wir verstanden.", lachte er und nahm seine Hand dann wieder von ihrem Mund. "Und was jetzt?", fragte Lina aufgeregt. Den Kampf hatte sie unglaublich gefunden und zu gerne würde sie noch mehr sehen. Selber kämpfen traute sie sich allerdings nicht zu. Das würde sie ihrer Meinung nach wohl niemals zustande bringen.

"Äh, mir fällt da gerade ein, dass ich mich noch mit meinen Brüdern zum Training verabredet hatte. Auf dem, auf dem Olymp. Ja, ja genau.", stotterte Enyalios mit einem Mal. Dann kratzte er sich am Hinterkopf und hob unbeholfen die Hand. "Man sieht sich." Er warf Ares noch einen für Lina undeutbaren Blick zu und zwinkerte in seine Richtung, ehe er sich umdrehte und schnell aus der Tür verschwand. Verwirrt sah Lina zu Ares. Dieser jedoch zuckte nur mit den Schultern und lächelte dann verschmitzt. "Also, was machen wir jetzt?", wiederholte Lina ihre Frage. Innerhalb eines Wimpernschlages stand Ares plötzlich direkt vor ihr und legte ihr eine Hand auf ihre Wange. Sanft strich er ihr mit dem Daumen darüber. Sein Gesicht war ihrem so nahe. "Was du willst, meine Schönheit.", hauchte der Gott des Krieges und kam mit seinem Gesicht langsam näher. 'Was tu ich hier?', fragte sich Lina. Schnell wich sie zwei Schritte zurück und entzog sich somit seiner Hand und seiner einnehmenden Ausstrahlung. Enttäuschung blitzte durch Ares' Gesicht und sie meinte ihn leise seufzen gehört zu haben, doch das konnte nur Einbildung sein. Sie musste es sich einfach einbilden! "Ich würde gerne weiter in meinem Buch lesen.", durchbrach Lina die unangenehme Stille, die zwischen den beiden herrschte. Ares, der bis dahin nur nachdenklich auf den Boden geschaut hatte, hob ruckartig den Kopf und nickte dann. "Natürlich. Du findest den Weg alleine zurück? Ich würde mich gerne umziehen." Lina nickte und so verschwand der Kriegsgott so schnell wie sein Sohn vor einigen Momenten aus der Tür. Zurück blieb eine mehr als verwirrte Lina, die sich dann aber auch auf den Weg die vielen Stufen hinab in Richtung Wohnzimmer aufmachte.

Ihre Bücher lagen noch genau dort, wo sie sie zurückgelassen hatte. Was hatte sie auch anderes erwartet? Dass die Bücher auf wundersame Weise wieder zurück in die Regale der Bibliothek gelangt waren? Lina konnte nur den Kopf über ihre absurden Gedanken schütteln. Sie setzte sich auf das Sofa und griff nach dem Märchenbuch. Enyalios hatte sie vorhin an einer so spannenden Stelle unterbrochen! Durch den Kampf war sie von der Geschichte abgelenkt worden, aber jetzt konnte sie das Märchen nicht schnell genug weiterlesen.

Es war einmal ein kleiner Junge. Er war zwölf Jahre alt. Er lebte mit seiner Familie auf einem Bauernhof am Rande eines mystischen Waldes. In diesem Wald gingen allerlei merkwürdige Dinge vor sich und deshalb hatte der König dieses Landes es verboten, sich dem Wald auch nur zu nähern. Doch der Junge war neugierig. Eines Tages - als seine Eltern gerade in der Stadt waren und seine Geschwister bei ihren Freunden - schlich sich der Junge zum Waldrand. Irgendetwas zog ihn wie magisch an. Er schaute sich schnell um und huschte dann in den Schatten der Bäume. Immer tiefer drang er in den Wald vor, bis er zu einer Lichtung kam. Er trat hinaus und sah sich um. Auf der Lichtung wuchsen wundersame Pflanzen, die der Junge noch nie in seinem ganzen Leben gesehen hatte. Er wollte noch einen Schritt machen, als er mit einem Mal einen Luftzug hinter sich spürte. Er drehte sich um und erblickte ein wunderschönes Mädchen. Sie musste in seinem Alter sein. Sie hatte einen Blumenkranz auf ihrem goldenen Haar und lächelte den Jungen lieblich an. Sie trug ein buntes Sommerkleid und an ihrem Rücken streckten sich große Flügel. Der Junge bekam große Augen und sein Mund klappte auf. "Hallo.", sagte das Mädchen mit einer solch bezaubernden Stimme, dass dem Jungen die Luft wegblieb. "Ich bin Aurelia. Und du?" "I-Ich b-bin H-Hans.", stotterte der Junge, überwältigt von der Anmut des Mädchens. Aurelia kicherte. "Du brauchst keine Angst zu haben." "Ich habe keine Angst!", beteuerte der Junge sofort. "Du ist ein Mensch, oder?", hakte Aurelia neugierig nach und lief um den Jungen herum. Hans nickte. "Warum bist du hier? Es war noch nie ein Mensch in diesem Wald." "Ich war neugierig.", berichtete der Junge und schaute Aurelia direkt in ihr zartes Gesicht. "Aurelia!", hallte es da mit einem Mal durch den ganzen Wald und ein großer Schatten legte sich auf die beiden. Nur wenige Augenblicke später landete ein großer Mann neben den beiden. Er hatte ebenfalls Flügel, braunes Haar und trug nichts weiter außer einer kurzen Hose. Der Junge musste schlucken und wich kaum merklich einen Schritt zurück. "Vater, sieh! Ein Menschenjunge!", rief Aurelia begeistert und lief auf ihren Vater zu. Dieser nahm seine Tochter auf die Arme und setzte sie auf seiner Hüfte ab. Dann musterte er den Jungen vor sich genauer. "Ich habe nichts gegen gute Menschen. Aber sag, was tust du hier?", fragte der Mann den verschreckten Jungen. "Die Neugier trieb mich in den Wald hinein, mein Herr." Der Mann fing an zu lachen. "Manieren hast du, keine Frage. Mein Name lautet Alanus. Wie ist deiner?" "Mein Name ist Hans." "Nun denn, Hans. Es wird schon spät. Ich denke du solltest zurückkehren in dein Heim." Der Junge blickte in den Himmel und bemerkte, dass es wirklich schon angefangen hatte zu dämmern. "Vater? Können wir ihn nicht noch bis zum Waldrand bringen?", fragte Aurelia. Ihr Vater sah sie an und lächelte. "Aber natürlich, mein Engel." Alanus setzte seine Tochter auf dem Boden ab und hob dann mit Leichtigkeit den Jungen hinauf. Dann stieg er mit kräftigen Flügelschlägen in die Luft und seine Tochter tat es ihm gleich. Zusammen flogen sie bis zum Waldrand. Vor dem Wald landeten sie und Alanus setzte Hans wieder ab. "Vater? Kann er morgen wiederkommen?", fragte Aurelia. "Wenn er das möchte, mein Schatz." Aurelia sah abwartend zu Hans. Dieser nickte schnell. "Gerne." Aurelia lächelte breit, ehe sie auf ihn zu eilte und ihm einen Kuss auf die Wange gab. Kichernd hüpfte sie wieder zu ihrem Vater, der sie bei der Hand nahm. "Wir holen dich morgen hier ab.", erklärte Alanus noch, ehe er mit seiner Tochter in die Lüfte stieg und sie in den Weiten des unendlichen Horizontes verschwanden.

Gott des KriegesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt