Der Tempel

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Mit selbstsicheren und zielgerichteten Schritten lief sie auf den Tempel des Kultes zu. Ihre blonden Haare wippten bei jedem Schritt und ihre blauen Augen fixierten das große Tor. Sie blickte nicht zurück. Der Orden der Götterdiener war ihre letzte Chance auf ein gutes Leben. Ihrer Eltern waren bei einem Unfall gestorben. Die Bäckerei, in der beide gearbeitet hatten, war zum Teil eingestürzt und hatte sowohl die beiden als auch zwei andere Menschen unter den Trümmern begraben. Und ohne Eltern und mit ihren gerade einmal 20 Jahren hatte sie in der großen Stadt keine Chance.

Sie stand nun direkt vor der großen Pforte, die aus dunklem Holz bestand. Hier und da waren Ornamente hinein geschnitzt. Efeu rankte sich an den Pfeilern empor. Auf der rechten Seite befand sich eine kleinere Tür in Menschengröße. Sie stellte sich davor und klopfte an das Holz. Ein dumpfer Ton hallte im Inneren wider. Kurz darauf wurde ein Schlitz aufgeschoben und ein faltiges Gesicht mit braunen Augen und grauen Haaren blickte ihr entgegen. "Wie können wir Ihnen helfen?", fragte die Frau mit einer kratzigen Stimme. Beim Sprechen verengte sie ihre Augen ein wenig und runzelte die Stirn, was sie noch älter erscheinen ließ. Sie war sich sicher, dass sie diese Frau nicht mögen würde. "Ich möchte dem Orden beitreten.", erklärte sie ihr Anliegen genauso selbstbewusst wie sie sich fühlte. Die Frau runzelte die Stirn noch ein wenig mehr, wenn das überhaupt noch möglich war. Dann blickte sie sich kurz um, ehe sie meinte: "Geh wieder nach Hause, Kindchen." Der Schlitz schloss sich mit einem Klacken wieder. Verdutzt blinzelte sie einmal und klopfte dann wieder an die Tür. Dieses Mal öfter, energischer. Der Schlitz öffnete sich wieder und dieselbe Frau blickte sie nun nicht mehr ganz so freundlich, sondern etwas genervt an. "Ich möchte dem Orden beitreten. Ich meine es ernst.", beharrte sie und blickte der Frau dabei fest in die Augen. "Wo sind deine Eltern, Kleine?", wollte diese wissen. "S-sie sind tot.", erklärte sie mit nun nicht mehr ganz so fester Stimme. Ihre Stimme zitterte leicht und sie dachte gezwungen an den Tag zurück, als die Stadtwache bei ihnen zu Hause geklopft hatte. Nun schien diese Frau doch zu erkennen, dass sie es ernst meinte und Mitleid blitzte in ihren Augen auf.

"Und Sie meinen es wirklich ernst? Es ist eine Entscheidung für Ihr restliches Leben. Sie müssen Prüfungen bestehen. Schwierige Prüfungen. Und Sie müssen Ihr ganzes Leben den Göttern widmen. Wir erwarten von Ihnen Treue und Pflichtgefühl. Gewissenhaftes Handeln und das alleinige Dienen. Die Götter stehen im Mittelpunkt. Sind Sie sich sicher?" Sie nickte. "Ja das bin ich.", antwortete sie mit nun wieder fester Stimme. Die Frau nickte und öffnete die Tür. Nun konnte sie die ganze Gestalt erkennen. Die Frau hatte ihre Haare kurz geschnitten. Nur bis knapp unter die Ohren gingen sie. Sie trug ein langes Gewand in weiß gehalten, das bis zum Boden reichte und auch die Arme verdeckte. Die Schuhe waren ebenfalls weiß und schienen Sandalen zu sein. Die Frau trug eine ebenso weiße Umhängetasche auf der linken Seite. "Wie heißen Sie?", wollte die Frau wissen. "Lina. Mein Name ist Lina.", antwortete sie. "Dann willkommen. Willkommen Lina im Orden der Götterdiener.", rief die Frau strahlend und entblößte so ihre weißen Zähne, während sie die Arme ausstreckte und hinter sich zeigte.

Lina konnte nicht viel sehen. So viel gab es aber auch nicht zu sehen. Ein breiter Weg aus hellbrauner, festgetretener Erde führte zu einem weiteren, riesigen Tor aus demselben dunkelbraunen Holz wie schon das Eingangstor. Auch hier schlängelte sich Efeu an den Pfeilern empor und Ornamente verzierten die Tür. Ein paar Treppen führten hinauf zum Tor und das alles war umrahmt von den hohen Mauern des Tempels. Neben dem Weg waren Beete, in denen die verschiedensten Blumen wuchsen. Orangene und hellblaue Gerbera. Diese Pflanze wächst immer dort, wo es sonnig und schön ist. Ebenso passt ihre Bedeutung. Durch sie wird alles schöner. Weiße Nelken, stehend für ewige Treue. Wunderbar gelbe Sonnenblumen, die die pure Fröhlichkeit, Spaß und menschliche Wärme symbolisieren. Iris, als Symbol für Kreativität und unbändige Energie. Sie zeigt gute Nachrichten an. Tulpen. Rote, stehend für innige Liebe. Gelbe, stehend für Sonnenschein. Rosane, stehend für zarte Liebe. Orangene, stehend für Faszination. Weiße Lilien. Sie stehen für Licht und echte Liebe. Sie sind das Symbol für Reinheit, Unschuld und Jungfräulichkeit. Blaue Vergissmeinnicht, stehend für Liebe und Treue. All diese Blumen standen für das, was den Orden ausmachte. Treue und Liebe zu den Göttern. Das Leben nur den Göttern zu widmen. Den Göttern zu dienen mit Kreativität, unbändiger Energie und purer Freude.

"Kommen Sie Lina. Ich bringe Sie in den Raum, in dem Sie auf Ihre Prüfungen vorbereitet werden.", sprach die Frau nun. Lina nickte und trat durch den Eingang. Die Frau schloss die Tür mit einem Riegel und lief dann mit schnellen Schritten auf das nächste Tor zu. Lina schaute sich nicht mehr in dem kleinen Vorhof um. Sie hatte bereits alles gesehen. Die Frau hatte jetzt das Tor erreicht und öffnete die große Tür, die sich quietschend aufschwingen ließ. Lina beeilte sich die Stufen nach oben zu kommen. Beinahe wäre sie auf einer Stufe gestolpert, doch sie fing sich gerade noch rechtzeitig. Ein Glück. Es wäre peinlich gewesen, wenn sie gestolpert wäre. Die Frau wartete schon an der geöffneten Tür und Lina ging schnell hinein. Die Frau machte die Tür wieder zu. Mit einem lauten Knallen, das im ganzen Gang widerhallte, flog sie ins Schloss.

Der Gang, durch den die beiden nun liefen, war aus Stein und hatte zur rechten Seite hin offene Fenster. Auf der anderen Seite hingen in regelmäßigen Abständen Fackeln, die allerdings nicht brannten. Ab und zu war eine Tür in der Mauer; Aus dem gleichen dunklen Holz wie schon die beiden Eingangstore zuvor. Ziemlich in der Mitte des Ganges gab es einen freien Durchgang in der rechten Seite, der zu einem kleinen Garten führte, in dem in geordneter Form Rosenbüsche standen. Direkt gegenüber diesem Durchgang war eine weitere Tür, vor der die Frau nun stehen blieb. Sie wandte sich noch einmal an Lina. "Sind Sie bereit?", fragte sie ernst. Lina nickte. "Ja das bin ich."

Gott des KriegesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt