Kapitel 9

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Nach ein paar Minuten hob ich den Kopf, sah allerdings demonstrativ weg von ihm. Ich wollte nicht, dass er mein verweintes Gesicht sah.

„Ist alles okay Brooke? Was machst du hier überhaupt?", fragte Connor mich sanft.

Ich konnte nur nicken.

Liv. Ich bin Liv. Wieso siehst du mich nicht?

Bevor ich mich versah, hatte er mich schon in eine tröstliche Umarmung gezogen. Es tat so unglaublich gut, von ihm umarmt zu werden. Schon früher konnte er mich am besten trösten mit einfachen Umarmungen. Ich schmiegte mein Gesicht in seiner Halsbeuge und roch seinen vertrauten Geruch ein.

Als er sich wieder von mir löste, sah ich ihn an. Er trug seine Sonnenbrille noch immer, doch sein Blick war weich.

„Es tut mir leid, dass ich..., dass ich das gesagt habe.", krächzte ich.

Er nickte nur. „Was machst du hier?", fragte er erneut.

Hilflos zuckte ich mit den Schultern.

„Okay, du willst anscheinend nicht darüber reden. Aber willst du nicht vielleicht in die Schule zurück gehen? Der Unterricht fängt gleich an."

Als ich nicht reagierte zog er mich sanft hoch und führte mich wieder zur Schule zurück.

Sie hatten eine Gedenkstätte für mich errichtet und Connor wollte mich besuchen. Ich bedeutete anscheinend genug Leuten etwas.

Der Unterricht zog ereignislos an mir vorbei.

Toll. Der erste Schultag von Brooke und ich passte nicht auf im Unterricht und hatte einen Zusammenbruch.

Als die Glocke zum Schulschluss läutete, sprangen fast alle im Raum auf und gingen so schnell wie möglich aus der Klasse.

Ich blieb sitzen und packte, wie in Trance, in Zeitlupe meine Schulsachen in meinen Rucksack.

Jessy und Faith warteten schon ungeduldig auf mich, weshalb ich ihnen sagte, dass sie schon einmal ohne mich vorgehen sollten. Sie zögerten noch kurz, doch dann gingen sie schließlich.

Ich war froh, die einzige im Raum zu sein und endlich wieder alleine zu sein. Nachdem ich all meine Sachen verstaut hatte, atmete ich noch einmal tief ein und aus und ging dann auch aus der Klasse.

Gerade ging ich über den Hof, um zu meinem Zimmer zu kommen, als ich mir die Frage stellte, ob ich jetzt wirklich in mein Zimmer wollte. Ich wollte Faith nicht begegnen, da sie mir mit Sicherheit ein paar Fragen stellen würde, wofür ich in dem Moment einfach keine Nerven hatte.

Unschlüssig stand ich also mitten auf der Wiese und wusste nicht was ich mit mir anfangen sollte.

Mein Herz sagte mir, dass ich zu Connor gehen sollte. Ich vermisste ihn schon wieder, obwohl wir uns vor ein paar Stunden erst gesehen hatten. Ich wollte ihn einfach sehen, wollte mich versichern, dass es ihm gut ging. Doch mein Verstand wusste, wie dumm diese Idee war. Er würde mir genauso viele Fragen stellen, wenn nicht noch mehr, da Faith mich ja nicht so zerbrochen gesehen hatte wie er. Noch dazu wusste ich nicht mal, ob er überhaupt in seinem Zimmer war und wenn schon, wo dieses war.

Ich ging zu einem der großen Bäume, die im Hof waren, ließ mich darunterfallen und stellte meinen Rucksack neben mich.

Als ich so über alles nachdachte, fiel mir Bridget ein.

Ich hatte mir damals gewünscht, dass es Connor gut gehen würde, da er mit mir in diesem Auto war, doch jetzt wusste ich, Bridget hatte es nicht besser getroffen. Es bestand zwar nicht die Gefahr, dass sie, wie ich sterben könnte, doch sie hatte ihre Schwester verloren.

Kein Mensch sollte mit dreizehn Jahren seine Schwester verlieren. Niemand sollte jemand verlieren müssen. Doch so war die Welt nun mal. Ungerecht und unbeeinflussbar.

Ich zog meine Beine an meinem Körper und wünschte mir nichts sehnlicher als, dass Bridget und Connor jetzt hier bei mir wären. Ich würde jede einzelne Sekunde in den nächsten zwei Monaten mit den beiden genießen.

Da fiel mir wieder ein, was ich mir am Abend davor vorgenommen hatte. Ich wollte mein Aussehen und mein Erscheinungsbild verändern. Wollte nicht mehr wie eine beliebte Person aussehen, sondern einfach anders.

Da mir nichts Besseres einfiel, wollte ich direkt bei meinen Haaren anfangen. Ich wollte sie auffällig färben. Sofort kam mir Jessy in den Sinn.

Ohne nachzudenken stand ich auf, und ging direkt zu ihrem Zimmer. Dort klopfte ich an die Türe und wartete, bis mir jemand öffnete.

Ich musste nicht lange warten, doch es war nicht Jessy die mir öffnete, es war ein Junge. Im ersten Moment hatte ich ihn nicht erkannt. Er hatte die gleiche Frisur wie Connor, braune Augen und deutlich zu erkennender Bartstoppel.

Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Er hieß Jason, alle nannten ihn Jase, und er war damals mit einem Mädchen namens Zoey zusammen. Die beiden waren das Traumpaar schlechthin. Sie waren die beliebtesten Personen an unserer Schule.

Am ersten Tag an der Schule war ich so alleine, dass ich heulend meine Großeltern anrief um mich abzuholen. Diese riefen daraufhin besorgt meine Eltern an, die ihnen aber versicherten, dass alles in Ordnung sei und sie mich nicht abholen sollten. So stand ich also ganz alleine mit zehn Jahren im Hof einer Schule, in der ich ab jetzt auch übernachten würde und in der ich absolut niemanden kannte. Doch da sprach mich schon Zoey an. Sie war zwei Schulstufen über mir. Zoey war wunderschön und in meinen Augen schon so erwachsen. Wie ich später herausfand war sie das beliebteste Mädchen der siebten Schulstufe. Seit dem ersten Tag sah ich immer zu ihr auf. Zoey nahm mich schon ziemlich bald in die Clique der beliebtesten und heißesten Mädchen der Schule auf. Dort lernte ich dann auch viele andere nette Mädchen kennen.

„Und du bist?", fragte Jason schroff, da ich ihn anscheinend angestarrt hatte.

„Ich bin Brooke. Ich wollte nur zu Jessy."

Er nickte wissend und trat einen Schritt zur Seite, damit ich in das Zimmer eintreten konnte.

Jessy saß, mit Kopfhörern auf dem Kopf und ihrem Handy in der Hand, auf ihrem Bett und schien so versunken zu sein, dass sie nicht einmal merkte, wie ich neben sie trat.

See you later, deathWo Geschichten leben. Entdecke jetzt