22. Kapitel (Teil 1)

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Augenblicklich wirbeln wir herum. Zwei dunkle Gestalten ragen über uns auf.

Ich habe keine Luft um zu schreien. Annika schon. Ihr Schrei hallt durch den Wald, bevor sie von einem der Männer gewaltsam zum Schweigen gebracht wird. Er nimmt sein Gewehr, das mir jetzt erst auffällt und schlägt es ihr gegen den Kopf.

Sie sackt in sich zusammen und liegt regungslos zwischen Tannennadeln, vertrockneten Blättern und Ästen auf dem gefrorenem Erdboden. Ich springe auf und will mich auf dieses Arschloch stürzen, doch der andere packt mich von hinten. Während der Erste meinen Mund zuhält und ein Knie zwischen meine Beine stellt, um mich am Treten zu hindern, quetscht der Zweite meine Rippen so fest zusammen, dass ich immer mehr das Bewusstsein verliere.

Ich versuche mich zu wehren. Versuche zu beißen, zu kratzen, zu schlagen. Mein Sichtfeld verschwimmt immer mehr. Schwarze Punkte tauchen auf und verschwinden wieder. Ich kann meine bereits geprellten Rippen brechen hören. Meine Schmerzensschreie können nicht durch die Hand auf meinem Mund gedämpft werden.

Das Adrenalin verhindert, dass ich sofort das Bewusstsein verliere.

Seltsamerweise kämpfe ich hier nicht um mein Leben. Da drüben liegt verdammt noch mal meine beste Freundin auf dem Boden. Wer weiß, was diese Hinterweltler mit ihr anstellen werden. Und dann die Jungs. Sie müssen Annikas Schrei gehört haben. Wir sind mit Messern und Dolchen bewaffnet, die haben Schusswaffen.

Ich kann nicht zulassen, dass sie ein Selbstmordkommando starten!“, brüllt jemand in meinem Kopf. Dennoch drifte ich ab. Und es wird alles schwarz.

Stimmen. Dunkelheit. Ich kriege keine Luft, kann kaum atmen. Bei jedem Atemzug sticht brutal ein Messer in meine rechte Seite. Ich stöhne. Wo bin ich? Ich kann nichts sehen. Meine Kehle ist staubtrocken. Meine Arme und Beine taub. Ich versuche sie zu bewegen. Vergebens. Ich bin an einen Stuhl gefesselt. Mein Oberkörper ist nach vorne gesackt. Ich will mich nicht bewegen, aber meine Wirbelsäule ist schmerzhaft verdreht, deshalb tue ich es.

Mir entweicht erneut ein gequältes Stöhnen. Tränen laufen über meine Wangen. Mein Atem geht keuchend und stoßweise. Es wird nicht nur ein Messer in meine Seite gerammt, sondern ein verdammter glühender Speer.

„Sie ist wach“, erklingt eine männliche Stimme. Aus den darauffolgenden Geräuschen werde ich nicht schlau. Ehrlich gesagt, muss ich mich darauf konzentrieren, nicht zu tief einzuatmen oder meine Bauchmuskeln anzuspannen.

„Na endlich“, spricht jetzt ein Zweiter. „Mit der Anderen wird mir langsam langweilig.“

Dieser Satz bring mein Gehirn in Schwung. Er redet von Annika. Wir haben die Hütte beobachtet. Ein Typ drinnen, zwei draußen.

Jetzt lacht der Zweite böse. Ich erschaudere, was mich erneut vor Schmerz ächzen lässt. Plötzlich wird etwas von meinem Kopf gerissen. Diese ruckartige Bewegung ist noch schlimmer als alle anderen zuvor. Das Stechen breitet sich aus, meine gesamte rechte Seite wird in Mitleidenschaft gezogen. Ich beiße die Zähne zusammen, kann aber einen spitzen Schrei nicht unterdrücken. Die Pein raubt mir kurz alle Sinne. Ich versuche, sie weg zu atmen.

Langsam lichtet sich der Nebel. Erst erkenne ich einen hellen Lichtschleier. Dann werden die Konturen klarer und ich sehe zwei Männer im Schatten direkt vor mir stehen. Über mir hängt die einzige Lampe im ganzen Raum. Der Lichtkegel bildet einen hellen Kreis um mich herum und blendet mich. Gleich neben mir kann ich jemanden schwer atmen hören.

Annika“, denke ich als aller Erstes.

Doch dann fängt die Person an zu reden: „Bist du sicher, dass wir nicht ein bisschen Spaß mit ihr haben können? Sieh sie dir mal an. Alles an ihr schreit nach Spaaaaaß.“ Seine kratzige Stimme und die Art, wie er das letzte Wort betont hat, widert mich an. Ich spüre eine raue schwielige Hand, die über meine Schulter und meinen Nacken streift.

Die letzte ErbinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt