5. Kapitel

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Als ich das nächste Mal aufwache, scheinen nur Sekunden vergangen zu sein. Mein Kopf tut immer noch weh, aber nicht mehr so stark wie vor ein paar Stunden.

Ich stehe auf und strecke mich gähnend. Sofort melden sich meine geschundenen Rippen. Aber ich verdränge den Schmerz.

Ich bin durchgefroren bis auf die Knochen. Außerdem habe ich Hunger. Mörderischen Hunger. Wir mussten nie hungern, obwohl wir nie viel Geld hatten, dafür hat meine Mutter gesorgt.

Jetzt aber hängt mein Leben von Leuten ab, die mich nicht nur nicht leiden können, sondern auch noch tot sehen wollen. Meine Chancen etwas zu essen zu kriegen, sind also eher gering. Und ich werde ganz sicher nicht um Essen betteln. Stolz ist zwar das Letzte, was mir in meiner Situation weiterhilft, aber er ist auch das Einzige, was mir noch geblieben ist.

Ich fange an in meiner Zelle auf und ab zu laufen. Nicht nur um mich warm zu halten, ich weiß außerdem, dass ich wahnsinnig werde, wenn ich noch länger herumsitze. Sie lassen mich absichtlich warten. Warten ist die schlimmste seelische Folter, die sie sich für mich einfallen lassen können.

Und ich weiß auch, wer ihnen das verraten hat.

Zum ersten Mal seit der Verhandlung, lasse ich die Gedanken an Terence Lavis zu. Ich habe Rae Vanmorten ermordet, um ihn zu schützen. Und als ich vor Gericht stand, habe ich ihn nicht an den Pranger gestellt. Ich habe den Richtern verschwiegen welche Rolle er in der ganzen Sache gespielt hat. Ich habe ihnen auch nichts von dem Gespräch zwischen ihm und meiner Mutter erzählt. Ich bin mir mittlerweile sicher, dass er es war, den ich in meinem Zimmer gehört habe. Zum einen wäre es natürlich dumm gewesen, ihn zu verpetzen, weil ich meiner Mutter so ziemliche Probleme gemacht hätte. Zum anderen wollte ich ihn nicht verraten.

Offensichtlich hatte er nie die Absicht, mich in Schutz zu nehmen. Bei dem Gedanken zieht sich etwas in meiner Brust schmerzhaft zusammen. Es tut mehr weh, als meine Rippen oder mein Kopf.

So ist das mit kleinen dummen Mädchen. Sie lassen sich auf irgendwelche Typen ein, die ihnen schöne Augen machen, nehmen sie in Schutz und dann… kriegen sie ein Messer in den Rücken gerammt. Zum Schluss heulen sie sich die Augen aus dem Kopf.

„Du bist naiv und blind. Du hast es verdient.“ Und meine innere Stimme hat Recht. Ich war zwar früher mit ihm befreundet, aber er hat sich schon damals von mir abgewandt. Ich kenne ihn nicht mehr. Kein Stück. Es wird Zeit aufzuwachen.

Die meisten Mädchen in meinem Alter hatten mindestens schon einen Freund. Ich habe sie in der Schule oder auf dem Dorfplatz gesehen, wenn die Beziehung vorbei war. Von Freundinnen umringt, heulend und verzweifelt. Viele von ihnen haben den Fehler bei sich gesucht, anstatt mal objektiv darüber nachzudenken, ob der Fehler vielleicht auch bei dem Jungen liegt.

Tja, ich werde nicht flennend zu meiner Mutter rennen. Ich werde mich nicht auf die Kränkung konzentrieren, sondern auf den Verrat. Und den Zorn. Den flammenden Zorn.

Ich merke, dass meine Schritte energischer geworden sind. Ich zittere. Aber nicht vor Kälte. Sondern vor Wut. Am liebsten würde ich auf ihm einprügeln. Da das aber unrealistisch ist, werde ich mir etwas anderes einfallen lassen müssen.

Die letzte ErbinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt