Darkside

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ROSA

„Ich dachte wirklich, dass wir über diesen Punkt hinaus wären."

***

Dunkelheit. Sie umgibt mich in einem dämmrigen, wabernden Zustand, indem ich mich seit einundneunzig Tagen befinde. Der kleine Stein in meinen Fingern, schabt über die Wand hinter meiner Pritsche und ein weiterer Strich fügt sich in die Sammlung ein. 

Ich knie auf dem wackeligen Metallgestell, betrachte mein Kunstwerk und frage mich, was in der Zwischenzeit alles passiert ist. 

Gandia schirmt mich von allem ab. In den letzten drei Monaten habe ich niemand anderen zu Gesicht bekommen als ihn. Kein Wachpersonal, dessen Schritte ich in der Nacht höre und auch kein anderes Geräusch, dass auf sonstigen menschlichen Kontakt hinweisen würde. Ich bin völlig allein. 

Wie es meinem Vater geht? 

Diese Frage stelle ich mir jeden Morgen, nachdem ich die Augen geöffnet habe und wenn ich den gewaltigen Stich in meiner Brust spüre, weiß ich, dass er am Leben ist. Genau wie Guzman.
Beide konnte ich dadurch retten, was zumindest in solchen Momenten, wie diesem ein kleiner Trost ist. 

Noch immer höre ich Guzmans Versprechen in meinen Ohren.
Seine Worte haben sich in meinen Verstand gebrannt, wurden mit Säure eingraviert, sodass ich sie nie wieder vergessen werde. 

„Ich werde dich retten, Rosa, und ich werde Gandia töten. Das schwöre ich!"

„Tust du es auch wirklich? Wirst du mich retten?", wispere ich mit geschlossenen Augen. Tränen brennen heiß darin, doch es rinnt keine über meine Wangen. Ich habe einfach alle bereits aufgebraucht, so scheint es jedenfalls. 

Das Gefühl in meinen Herzen lässt mich nicht mehr los, es sehnt sich nach ihm, nach seinem Wesen und der Art, wie er die Welt sieht. 

Ich beschwöre sein Gesicht herauf, betrachte es eine Weile und sauge jedes Detail auf, jede noch so kleine Regung. Und wenn ich ihn berühren, ihm nahe sein möchte, dann strecke ich die Hand nach ihm aus und fasse ins Nichts. 

Ich reiße die Augen auf und beiße mir auf die Lippen, immer stärker, bis ich Blut schmecke und die verheilten Verletzungen durch den Druck wieder aufplatzen. 

„Genug in Erinnerungen geschwelgt. Es wird Zeit, dass du dich wäschst", erklingt Gandias kaltherzige Stimme. Ich zucke zusammen und schlucke die Gefühle, die in meinem Innern toben, runter. 

So kommuniziert er die meiste Zeit mit mir, er gibt mir aus dem Off irgendwelche Befehle.
Ich könnte mich ihm widersetzen, seinen Befehlen keine Folge leisten, doch das kann ich nicht. Denn er hat mir eine Art Halsband angelegt, welches Elektroschocks durch meinen Körper jagt, wenn ich nicht das tue, was er von mir verlangt. 

Und ich habe mich geweigert, so oft, dass ich es schon gar nicht mehr zählen kann. Irgendwann war ich von den Schocks so geschwächt, dass ich mich meinem Schicksal gefügt habe. Was aber nicht bedeutet, dass ich mich ihm gebeugt habe, nicht auf jeder Ebene meines Gefangenendaseins. 

Bevor er mich wieder bestraft, stehe ich umständlich auf und gehe barfuß sechs Schritte geradeaus zu einem steinernen Waschtisch. 

Die Metallschüssel ist mit kaltem Wasser gefüllt, das wahrscheinlich direkt aus einer Gletscherspalte gewonnen wurde, so eisig fühlt es sich an. Während ich meine Hände ins kühle Nass tauche, wandert mein Blick in den brüchigen Spiegel. Er besitzt Risse an den Enden, doch ich kann kein Stück davon herauslösen, um es als Waffe zu nutzen. Und auch das habe ich schon versucht, aber erfolglos. 

Gangs of Sinaloa - Cruel LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt