28 - Zu spät.

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Irgendwo blüht die Blume des Abschieds
und streut immerfort Blütenstaub den wir
atmen herüber, und auch noch im
kommendsten Wind atmen wir Abschied.
                                                          ~Rielke

Drei Tage später würde ich aus dem Krankenhaus entlassen - mit tausenden Auflagen und Sicherheitsvorkehrungen. Eine ganze Broschüre voller Informationen.... Und eine lange Liste voller Symptomen, mit denen ich in die Klinik kommen sollte.
Schwindel. (Das würde ja Mal lustig werden...)
Herzrasen.
Und so ziemlich alle Symptome, die eine Krankheit überhaupt aufweisen kann.
Andauernde Müdigkeit.
Starke Kopfschmerzen.
Allgemeines Unwohlsein.
Ich konnte mir schon denken worin das enden würde. Ich würde die die Hälfte der nächsten drei Monate im Krankenhaus verbringen. Lustig lustig.

Veronica lächelte mich vom Vordersitz des Autos an, als ich Einstieg. Sie war schon vor einem Tag aus der Klinik entlassen worden und hatte mit mir zusammen das Drama hinter sich gebracht, die Unterschrift meines Vaters auf die Entlassungspapiere zu bekommen. Dieser hatte nämlich erstmal meine Anrufe und Nachrichten geschickt ignoriert. Und als er dann endlich dranging weigerte ich mich beharrlich, mit ihm zu sprechen. Keine der Krankenschwestern könnte verstehen, wie es zu einem solchen Zerwürfnis zwischen Vater und Tochter kommen konnte, vor allem in so jungen Jahren. Aber sie kannten ihn ja nicht. Ich hatte einfach das Gefühl, ich würde ihn nicht mehr interessieren. Und das tat weh. Mehr, als ich mir eingestehen wollte. Da war Wut die angenehmere Alternative, die ich natürlich sofort ergriff. 
Alex hatte versprochen, ab jetzt öfters Mal nach mir zu sehen, und auch Phil und Suzann behandelten mich, als könnte ich jeden Moment zerbrechen. Ärzte waren manchmal eben ziemlich übervorsichtig. Schließlich war ich damit ja auch klar gekommen, bevor man es entdeckt hatte, oder nicht?
Ich ließ mich auf den Rücksitz des Autos fallen und schloss die Tür. Veronica fuhr los. "Endlich geschafft..." "So ist mein Vater halt. Du kennst ihn ja." "Ja, und deshalb tust du mir echt leid. Ein Vater sollte die Tochter lieben und für sie da sein. Vor allem wenn es die Mutter nicht mehr gibt." "Veronica?" "Ja?" "Du bist einfach die beste."

Zuhause angekommen beschlossen wir, heute einfach Mal nichts zu tun, und kuschelten und zusammen unter eine Decke aufs Sofa. Dann machten wir uns eine Serie an und sahen fern. Ich hatte solche Nachmittage einfach vermisst. In letzter Zeit hätten wir viel zu viel um die Ohren gehabt, da hatten wir es nicht hinbekommen, uns einmal kurz Zeit nur für uns zu nehmen. "Ich wünschte, meine kleine Schwester wäre wie du..." seufzte Veronica irgendwann. "Ich und wünschte, ich hätte eine große Schwester wie dich." Ich kuschelte mich an sie. "Nur noch zwei Monate und du musst wieder gehen..." stellte ich traurig fest. "Und die machen wir uns schön." Veronica nahm mich fest in den Arm und ich kuschelte mich an sie. "Ich werde dich vermissen..." "Ich dich auch. Aber es ist noch nicht so weit." Weise Worte. Und sie hatte Recht. Deshalb genoss ich den Moment und konzentrierte mich wieder auf die Serie.

Dass mein momentanes Glück bald zerstört werden würde, wusste ich noch nicht, als ich Aufstand, um uns Essen zu kochen. Ich hatte darauf bestanden, auch wenn Veronica es erst nicht wollte. In der Küche angekommen stellte ich eine Pfanne auf den Herd und fing an zu Kochen. Wenig später kam ich mit zwei voll beladen Tellern wieder ins Wohnzimmer zurück und stellte einen vor Veronica auf den Wohnzimmertisch. "Hmmm, Gemüsepfanne mit Reis. Sieht lecker aus." Veronica lächelte mich an und wir fingen an zu essen. "Du sag Mal..." fing ich vorsichtig an, brach dann aber wieder ab. Wenn ich falsch lag würde das sehr peinlich werden. "Was?" "Ach nichts..." "Sag schon!" "Äh also..." druckste ich herum. "Könnte es sein, dass..."

Ich wurde vom Klingeln meines Handys unterbrochen. Die Nummer auf dem Display war mir vollkommen unbekannt. Ich tausche einen Blick mit Veronica, dann nahm ich den Anruf zögernd an. "Ja?" "Ist da..." Ein kurzes Rascheln. "...Kassandra Meisner?" "Ja." "Es geht um..." noch ein Rascheln. "...ihren Vater." Ich stöhnte leise. "Sie haben 30 Sekunden, um mir zu erklären, wer sie sind, was sie wollen, und warum ich dran bleiben sollte." Jetzt traute sich mein Vater wohl nichteimal mehr, selbst anzurufen, sondern beauftragte jemanden damit? Am anderen Ende der Leitung war es kurz still. "Die Zeit läuft." Ich war erstaunt, wie kalt meine Stimme klang. So war ich sonst gar nicht. Aber mein Vater hatte mich in letzter Zeit zu oft zu sehr verletzt. Mein Gesprächspartner schien sich berappelt zu haben. "Hier ist das Universitätsklinikum Magdeburg. Ihr Vater hatte einen schweren Autounfall." Ertönte es, etwas unsicher, aus meinem Handy. Sofort wich mir alles Blut aus dem Gesicht, ich begann leicht zu zittern. "Und?" hauchte ich. "Er ist schwer verletzt, und befindet sich noch im OP. Ich muss ihnen leider mitteilen, dass die Chancen für ihn sehr schlecht stehen." Wenn ich nicht ohnehin schon gesessen hätte, wäre ich jetzt zu Boden gesunken. "Okay." hauchte ich. Zu einer anderen Reaktion war ich nicht mehr fähig. "Können sie her kommen?" Mir hatte es die Sprache verschlagen. Veronica sah mich besorgt an. Sie wusste noch nicht was los war, aber sie sah meine Reaktion. Wortlos reichte ich ihr das Handy. Wie betäubt starrte ich auf meine Hände. Er durfte nicht sterben! Er durfte einfach nicht! Ich konnte nicht anders, als in Gedanken zu den letzten Worten zurückzukehren, die ich zu ihm gesagt hatte. Ich hasse dich. Ein Schluchzen entfuhr mir. Ich hasse dich ich hasse dich ich hasse dich. Ich hasste mich dafür. Wenn ich doch nur auf einen seiner Anrufe geantwortet hätte... Aber ich wollte ja unbedingt, dass er weiß, wie ich mich fühle. Das war so startköpfig von mir! Ich blinzelte und blinzelte, doch ich wurde die Tränen in meinen Augen nicht los. Ich hatte ja nicht ahnen können, dass soetwas passiert. Aber es war passiert. Und es war schrecklich. Dieser Schmerz, er bewies, dass ich meinen Vater trotz allem geliebt hatte. Ich ihn immer lieben würde. Denn trotz all der Zeit, in der er nicht für mich da gewesen war, gab es immernoch immer wieder ein paar Wochen, in denen er Zuhause und mir ein richtig guter Vater gewesen war. Ein Vater, den man lieben konnte, ohne sich dabei das Herz zu verbrennen. Veronica besprach irgendetwas mit dem Mann am Telefon, doch ich hörte nicht zu. Irgendwann beendeten sie ihr Gespräch und Veronica legte mein Handy beiseite. Kurz betrachtete sie mich, dann kam sie auf mich zu und nahm mich ganz fest in den Arm. "Was soll ich denn jetzt machen?!" Schluchzte ich an ihre Brust. "Süße... Ich weiß es auch nicht.... Aber alles wird gut." Sie strich mir beruhigend über die Haare. Sie half mir aufzustehen und mich oben in mein Bett zu legen. Dann machte sie mir eine Tasse heiße Schokolade. Sie gab ich wirklich Mühe, aber es half nicht wirklich. Ich telefonierte auch mit Sina, und es half, aber nur kurzzeitig. Sobald sie Schluss machen musste würde es wieder schlimmer. Schließlich gab Veronica seufzend auf. "Ich Ruf Alex an."

Und über uns die Sterne [ASDS]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt