35 - Was habe ich getan?

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Du sagst kein Wort;
ich warte, warte, warte,
ich hoffe und wünsche.
Warten dauert so lange!
Ich will
kein Wort mehr hören.
Wozu auch,
wenn ich die Wahrheit sehen kann
– warum noch hören –
                                          ~Rauthmann

Es war der Mann, der sich zuerst auf seiner Schockstarre befreite. Entsetzt stolpert er einen Schritt zurück, Panik glitzerte in seinen Augen. Vor ein paar Sekunden hätte ich das noch befriedigend gefunden, doch jetzt... Es fühlte sich schrecklich an. Ich hatte einen Mann niedergestochen. Ich hatte... Oh Gott! Ich senkte meinen Blick auf meine Hände, an denen das Blut des Mannes klebte. Nicht nur im übertragenen Sinne, auch wortwörtlich. Meine blasse Haut war mit roten Punkten und Striemen übersät, und mir wurde schlagartig noch schlechter als zuvor.

"Du..." krächzte der Mann und sich noch einen Schritt zurück. Sein Fuß blieb dabei wohl an irgendetwas hängen, er fiel rückwärts und blieb regungslos liegen. Zumindest hoffte ich das, denn die Alternative wäre gewesen, dass ich ihn so schwer verletzt hätte, dass er bereits nach so kurzer Zeit das Bewusstsein verloren hat. Und mir war klar, dass er in diesem Fall vermutlich sterben würde. Mir lief ein kalter Schauer den Rücken herunter.

Auch wenn er bis vor kurzem noch versucht hatte, mich zu vergewaltigen - das war das erste Mal, dass ich mir das tatsächlich eingestehen konnte - lief ich auf ihn zu und ließ mich neben ihm auf die Knie fallen. Er sah unnatürlich blass aus, doch dass konnte auch an dem Zwielicht liegen, dass hier herrschte. Ich hoffte, dass es das war.

Mein Herz klopfte mir bis zum Hals, als ich den Mann leicht an der Schulter berührte und dann ebenso leicht an ihm rüttelte. Er stöhnte leicht, doch seine Augen öffnete er nicht. Zitternd überlegte ich, was ich jetzt tun sollte. Es war schwerer als es sein sollte. Meine Gedanken wirbelten wie Blätter in einem Sturm in meinem Kopf herum und es war schwer, überhaupt einen zu fassen zu bekommen, bevor er schon wieder von dem nächsten verdrängt wurde. Nur ein Gedanke war klar, alle anderen kreisten um ihn, wie das Auge des Sturms. Ich hatte ihn niedergestochen.

Mir entfuhr ein Schluchzer. "Ich wollte das nicht!" Beteuerte ich, nicht ganz sicher, wen ich ansprach. Den Mann, mich selber oder die Welt. Langsam kristallisierte sich ein Gedanke aus dem Wirrwarr heraus. Ich musste ihm helfen. Hilfe holen. Dieser Gedanke wurde von dem nächsten gefolgt. Ich hatte ihn niedergestochen. Sie würden mich einsperren. Ich konnte keine Hilfe holen. Aber ich musste! Das Leben des Mannes war schließlich wertvoller als meine Freiheit. Oder? War er doch ein wiederliches Arschloch... Was dachte ich da! Natürlich war sein Leben wertvoll. Ich musste Hilfe holen. Aufstehen, jemanden holen. Nein. Ich wusste nicht, wie weit ich laufen musste, bis ich jemanden fand.

Also Notruf. Aber ich hatte mein Handy Zuhause gelassen. Vielleicht hätte der Mann seines ja dabei...? Ich tat mich schwer dabei, die Hosentaschen des Mannes nach einem Handy abzutasten. Als ich einen flachen, vieeckigen Gegenstand unter meinen Finger spürte, druchfuhr mich die Erleichterung wie ein Blitz und mit zitternden Fingern fischte ich es hervor. Ich danke still demjenigen, der dafür gesorgt hatte, dass man auch ohne Passwort den Notruf wählen konnte. Ich zitterte so sehr, dass ich einen zweiten Anlauf brauchte, um die drei Zahlen einzutippen. Und als sie mir entgegenleuchteten, und ich nur noch auf den grünen Hörer zu tippen brauchte, da zögerte ich.

Warum zögerte ich? Das Leben des Mannes stand auf dem Spiel! Aber ich hatte Angst. Angst vor möglichen Konsequenzen. Schließlich hatte ich ihm ein Messer in den Bauch gerammt und er würde möglicherweise daran sterben. Hier eröffnete sich mir ein inneres Dilemma. Wenn ich nicht anrief, würde er noch ehr sterben. Also anrufen. Ich bräuchte ja meinen Namen nicht zu sagen. Und wenn sie das Hand zurück verfolgten würden die auch nur wieder auf das Handy des Mannes zurück kommen. Mein Finger berührte das Display, und das Handy begann zu tuten.

Als sich die Stimme zu Wort meldete, machte mein Herz einen Satz. Schneller Rasen konnte es ohnehin kaum noch. Ich stellte auf Lautsprecher und legte es neben mich, während ich mich aus meiner Jacke und meinem Pullover schälte, mir die Jacke wieder anzog und den Pulli so gut wie es eben ging, ohne das Messer zu bewegen, auf die Wunde presste.

"Notruf Feuerwehr Rettungsdienst, wo ist der Unfallort?" Ich öffnete den Mund, doch stockte. "Hallo?" "Forstbotanischen Garten." brachte ich dann heraus. "Was ist passiert?" "Hier... Liegt ein Mann mit Messer im Bauch." "Wissen sie wo genau sie sich befinden? Wenn ich das Recht im Kopf habe, ist der Forstbotanische Garten ja in Kontinente eingeteilt. Wenn sie mir sagen könnten wo sie sind, würde das es den Rettungskräften einfacher machen, sie zu finden." Ich hob den Blick. "Ich glaube... Japan. Ich meine Ostasien." Meine Stimme zitterte, dass hörte ich selbst. "Okay vielen Dank. Sagen sie, haben sie ihren Namen schon gesagt?"

Ich schnappte nach Luft. War klar, dass diese Frage kommen würde. "Ich... Mein Name tut nichts zur Sache. Hauptsache sie kommen schnell. Da ist so viel Blut!" Meine Stimme brach. Einen kurzen Moment blieb es still am anderen Ende der Leitung. "Gut. Sie haben gesagt, das Messer ist noch in der Wunde?" Ich nickte, dann wurde mir klar, dass wer auch immer da mit mir telefonierte das nicht sehen konnte. "Ja." "Das Messer muss unter allen Umständen in der Wunde bleiben, haben sie das verstanden?" "Ich weiß." Ich flüsterte beinahe. "Okay. Die Rettungskräfte sind unterwegs, machen sie auf sich aufmerksam wenn sie da sind." "Okay." hauchte ich. "Ich lege jetzt auf." Kündigte der Leitstellendisponent an, dann tutete das Handy einmal und der Anruf war beendet.

Langsam versuchte ich mich zu entspannen. Hilfe war unterwegs, man würde dem Mann helfen. Ich konnte nur hoffen, dass sie uns, nein ihn, finden würden. Ich hatte nämlich vor zu verschwinden. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Polizei dabei war, bei der Art der Verletzung und meiner Weigerung, meinen Namen zu verraten, war einfach zu groß. Doch ich ging nicht. Ich ließ Minuten verstreichen, in denen ich mich einfach nicht aufraffen könnte zu gehen. Ich musste einfach sicher gehen, dass der Mann gefunden wurde. So ein Arsch er auch war, ich wollte nicht für seinen Tod verantwortlich sein.

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