10 Sekunden eines ganzen Lebens (Teil 3)

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Olivers Perspektive:

"Charlie, beruhig dich. Es war ein Unfall. Er kommt wieder in Ordnung", redete ich auf den Mannschaftskapitän ein. Hoffentlich kann Professor Sprout Andrew helfen, dachte ich besorgt. Kaum hatte ich diesen Gedanken beendet, kam sie auch schon herbeigeeilt und kümmerte sich um den verwundeten Gryffindor. Die Schüler machten ihr Platz, sodass sie sich ungehindert seine Verletzungen ansehen konnte. Andrew verzog vor lauter Schmerzen das Gesicht, aber hielt seine Tränen zurück, um nicht als Schwächling abgestempelt zu werden, obwohl ich sicher war, dass selbst die Slytherins Verständnis dafür hätten und sich nicht mal über ihn lustig machen würden. Professor Sprout brachte Andrew mithilfe von George in den Krankenflügel. Charlie, die anderen Gryffindors und ich folgten ihnen. Zu meiner Überraschung gingen uns die Slytherins nicht nach und erzählten stattdessen den Zuschauern was Andrew zugestoßen war, wobei der ein oder andere von ihnen die Geschichte so sehr ausschmückte, dass sie irgendwann gar nicht mehr der Wahrheit entsprach. 

Im Krankenflügel standen wir alle still um Andrews Bett herum. Wir starrten auf seinen Arm. Professor Sprout hatte das verbunden, was noch zu retten war. Langsam öffnete der Patient seine Augen. Andrew richtete sich leicht auf und krächzte leise: "H-haben wir gewonnen?" Charlie, der besorgteste von uns allen nickte. "Das Spiel wurde abgebrochen. Andrew, es tut mir so leid. Ich wollte das nicht." "Charlie, alles gut. Es war ein Unfall. Du wolltest nur dem Klatscher ausweichen. Ich war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. Professor Sprout kriegt das sicher wieder hin", murmelte Andrew. Er wirkte sehr erschöpft. "Wie fühlst du dich?", fragte ich ihn. Andrew zuckte mit den Schultern. "Ich will gar nicht wissen, wie schlimm ich aussehe", erwiderte er schmunzelnd, "aber, wenn ich so aussehe, wie ich mich fühle, dann kann ich es mir vorstellen." Molly, eine Jägerin der Gryffindors und Andrews feste Freundin, legte ihm ihre Hand auf die Schulter und brachte ihm vorsichtig die Neuigkeiten bei: "Professor Sprout war vorhin hier und sie hat gesagt, dass sie deinen Arm leider nicht mehr heilen kann. Die medizinischen Details bespricht sie noch mit dir. Ich weiß nur soviel, dass der Klatscher deinen Arm enorm beschädigt hat und der Zusammenstoß mit Charlie hat es noch verschlimmert. Du hast dir nicht nur unzählige Knochen gebrochen, deine komplette Hand und auch große Teile deines Arms sind abgespalten worden. Deswegen sieht sie keine andere Möglichkeit als ihn komplett abzunehmen." Ihre Augen füllten sich mit Tränen und Andrew drückte ihre Hand. Dann ließ er seinen Kopf zurück in sein Kissen sinken und fing ebenfalls an zu weinen. Wir alle wussten was das für ihn bedeutete. Quidditch-Spieler zu werden war genauso sein Traum gewesen, wie meiner. Als Jäger brauchte er seinen Arm, also konnte er nun seine Quidditch-Karriere vergessen. Wir waren alle schockiert von Mollys Aussage und keiner wusste, was er sagen sollte. Charlie verlor die Fassung und ging eilig weg. Ohne zu zögern lief ich ihm nach. In seinem Zimmer angekommen, hielt er seine Tränen nicht mehr zurück und setzte sich auf sein Bett. Ich tat es ihm gleich und legte meinen Arm um seine Schulter. "Charlie, es ist nicht deine Schuld", sprach ich ihm tröstend zu. Er brachte kein Wort heraus, legte seinen Kopf auf meine Schulter und schluchzte während seine Tränen auf mein Trikot tropften: "E-es i-i-ist alles mei-meine Schuld. Ich hab's ruiniert. Sei-seine Karriere, sein Leb... sein Leben... Ich bin Schuld." Durch sein Weinen konnte ich ihn nur schwer verstehen. "Hör zu Charlie. Hör zu! Du bist nicht Schuld an dem, was Andrew passiert ist. Du wolltest nur diesem bescheuerten Klatscher ausweichen. Es ging zu schnell, als dass du es hättest vorhersehen können. Ich meine, wie lang hat das gedauert? Zehn Sekunden? Es war unmöglich das vorherzusehen, geschweige denn zu verhindern. Wenn Andrew nicht getroffen worden wäre, dann du. Wäre dir das lieber?" "JA. Hätte der Klatscher besser mich erwischt. Dann läge ich jetzt im Krankenflügel und nicht Andrew. Jeder hier wusste, dass er Quidditch-Spieler werden wollte. Dank mir kann er das nicht mehr." Charlie wischte seine Tränen weg und wandte sich zu mir: "Ich weiß das zu schätzen, dass du mich trösten willst, aber bitte geh jetzt. Ich will gerade einfach nur alleine sein." Ich respektierte seinen Wunsch und verließ sein Zimmer. Im Gemeinschaftsraum angekommen warteten schon fragende Blicke und meine Mitschüler begannen mich sofort mit tausend Fragen zu löchern. Früher oder später würden sie es sowieso erfahren, doch ich hatte trotzdem nicht das Recht irgendetwas zu erzählen. Kurz angebunden antwortete ich ihnen: "Leute, beruhigt euch mal. Ich weiß auch nicht viel. Andrew geht es gerade echt mies und ich will lieber für ihn dasein, also wartet bis er euch erzählt, was los ist." Ich kämpfte mich durch die Menge und anstatt wieder in den Krankenflügel zu gehen, rannte ich zur Tribüne. Dort angekommen lief ich zu Mum und bereitete mich darauf vor eine Menge Fragen von ihr zu beantworten. Sie wirkte etwas abwesend und irgendwie aufgebracht. "Hey Mum. Entschuldige, dass ich vorhin nicht wie besprochen zu dir gekommen bin und dich einfach hab stehen lassen. Es war nur so, dass..." Mum unterbrach mich: "Ist schon gut, Oliver. Du musstest für deinen Freund dasein." Ich nickte. "Wieso bist du dann so wütend?" "Es ist nichts. Kümmere dich nicht darum. Bellas Familie ist wirklich sehr nett. Ich soll dir ausrichten, wie toll sie das Spiel fanden - mal abgesehen vom Ende natürlich. Und es tut ihnen leid, aber sie mussten schon los. Sie sind mit einem Portschlüssel abgereist. Bella begleitet sie gerade. Sie lässt ausrichten, dass ihr euch dann beim Abendessen seht. Sie ist ein echt nettes Mädchen. Ich hoffe, du weißt sie zu schätzen", sagte Mum mit einem warnenden Blick. Ich lächelte. "Sicher. Sie ist meine beste Freundin. Wieso sollte ich sie nicht wertschätzen? Immerhin schläft sie nicht ein bei meinen endlosen Quidditch-Vorträgen." "Ein wirklich nettes Mädchen, ja." Mum schenkte mir ein Lächeln und nahm mich anschließend in den Arm. Sie ergänzte: "Ich bin so glücklich, dass wir uns wieder vertragen und du hast wirklich gut gespielt heute. Jetzt verstehe ich, wieso dir so viel daran lag, dass dein Dad und ich kommen sollten. Es tut mir leid, dass er nicht dabei war, aber du sollst wissen, wie unglaublich stolz ich auf dich bin und ich glaube ganz fest an dich." Sie ließ mich los und fügte hinzu: "Bella hatte Recht. Du bist wirklich sehr talentiert und sehr schlau." "Das hat sie gesagt?" Mum nickte. Ich wurde rot und wechselte schnell das Thema: "Weißt du... Dass mich Dad nicht unterstützt ist gar nicht mal so schlimm, wenn wenigstens du zu mir hältst." "Ich verspreche dir, das werde ich auch noch in hunderttausend Jahren." Mum nahm mich erneut in den Arm. Danach verabschiedete sie sich und ich ging zurück ins Gebäude. Wenn die Sache mit Andrew nicht passiert wäre, wäre ich überglücklich darüber gewesen, was Mum gesagt hatte und darüber, dass wir das Spiel gewonnen hatten. Ich ließ das Abendessen aus und ging schlafen.

Oliver Wood - Quidditch: Sieg oder NiederlageWo Geschichten leben. Entdecke jetzt