Überraschender Besuch

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Olivers Perspektive:

Unser Sieg im letzten Spiel löste in mir nach wie vor eine solche Freude aus, dass es kaum einen Moment gab in dem ich nicht lächelte. Es waren immer noch Sommerferien, aber durch all die Hausaufgaben und Strategiepläne von Charlie, hatte ich ständig etwas zu tun. Ich freute mich sehr auf den Schulbeginn, schließlich kamen wieder neue Schüler nach Hogwarts und das hieß, dass Charlie ein neues Team zusammenstellen konnte, mit dem wir garantiert den Quidditch-Pokal gewinnen konnten. Außerdem durfte ich endlich nach Hogsmeade, da es mein drittes Schuljahr war. Die Erlaubnis von meinen Eltern musste ich mir noch einholen, aber ich sah keinen Grund, wieso sie es mir nicht erlauben würden, schließlich hatte es nichts mit Quidditch zu tun. Sie waren nach wie vor nicht begeistert, dass ich meine Zeit auf dem Spielfeld verbrachte, aber aus irgendeinem Grund hatte ich am heutigen Tag das Gefühl, dass sie es schon bald akzeptieren würden. 

Ich sah zu meinem Bücherregal, wo meine Strategiebücher den meisten Platz einnahmen und rief mir Bellas Worte ins Gedächtnis zurück. Es ist nie falsch für sich selbst einzustehen. Und für die Dinge zu kämpfen, die man liebt, hatte sie gesagt. Vor ein paar Wochen hatte ich an meinem Durchhaltevermögen und meiner Kraft gezweifelt, aber jetzt, wo ich hier in Ruhe dasaß, umgeben von Plakaten, Wappen und Quidditchbüchern, da leuchteten mir ihre Worte ein. Bella hatte Recht. Ich liebte Quidditch und ich hatte das Zeug dazu ein Profispieler zu werden, ganz gleich was Mum und Dad davon hielten. Obwohl ich andauernd fröhlich war, wegen unseres gewonnenen Spiels, wurde ich schlagartig traurig, als mir klar wurde, dass dies Charlies letztes Schuljahr sein würde und ich ihn danach vermutlich nie wieder sah. Mein Plan war es nach dem Schulabschluss in die Quidditch-Mannschaft zu gehen, in der er war, um weiterhin mit ihm zusammen unsere Erfolge zu feiern. Er war mein Tutor, aber vor allem war er ein guter Freund. Wir hatten letztes Jahr so viel erlebt und ich konnte mir nicht vorstellen ohne ihn in Quidditch zu spielen. Jedes Mal, wenn ich mir vorstellte den Quidditch-Pokal oder die Quidditch-Weltmeisterschaft zu gewinnen, war er automatisch neben mir und wir fielen uns siegreich in die Arme. Das war vermutlich eine dieser Vorstellungen, die mehr Wunschdenken als sonst etwas waren. So wie es aussah, beschritt ich diesen Weg allein.

Einen Stift in der einen Hand haltend und das Papier, auf dem meine Eltern bestätigen sollten, dass ich nach Hogsmeade durfte in der anderen, schritt ich gemächlich die Treppe hinunter. Im Wohnzimmer saßen sich meine Eltern streng gegenüber. Dad las den Tagespropheten, während Mum Termine in ihrem Kalender durchstrich und dann mit einer großen Denkfalte auf der Stirn etwas hineinschrieb. Außer Mums Feder, die das Pergament leicht berührte und dabei ein leises Geräusch von sich gab, war es seelenruhig. "Mum, Dad, könnt ihr mir einen Gefallen tun und unterschreibt dieses Dokument?", fragte ich unsicher. Dad antwortete mit einer Gegenfrage: "Was ist das?" Zögernd gab ich ihm das Pergament. Er beäugte es aufmerksam und streckte mir erwartend seine Hand entgegen. Ich legte den Stift hinein und wartete ab. Dad unterschrieb das Dokument und gab es mir danach wortlos zurück. Meine Mum lächelte mich an, aber ich konnte spüren, dass zwischen uns etwas komisch war. Dieses Gefühl hatte mich nicht verlassen, seit ich ihr das erste Mal von meinen Karriereplänen erzählt hatte. Auch ich ging ohne Worte wieder hoch in mein Zimmer. Kurz darauf klingelte es an der Haustür. Vollkommen aus der Ruhe gebracht, schreckte ich hoch und sprintete zur Tür. "Ich geh' schon!", rief ich währenddessen durch das ganze Haus. Ich öffnete ruckartig die Tür und war so überrascht, wer da vor mir stand, dass ich beinahe in Ohnmacht fiel. "Was machst du denn hier?"

Ich war völlig überrumpelt und die Augen des Besuchers hatten sich erschrocken geweitet, als ich die massive Haustür so schwungvoll aufgerissen hatte. "Hey Wood, wie geht's?", fragte der kräftige sommersprossige Junge, der lächelnd vor mir stand. "Hey Charlie. Ähm, komm doch rein", sagte ich nun mit einer ruhigeren Stimme. Er trat ein und ließ für einen Moment seinen Blick durch das Haus schweifen. "Hier sieht's echt nett aus", kommentierte Charlie mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Ich zuckte lediglich mit den Schultern. "Oliver Schatz, wer ist an der Tür?", rief meine Mum mir zu. Peinlich berührt, weil mich meine Mum vor Charlie Schatz genannt hatte, antwortete ich ihr: "Charlie Weasley!" Mum und Dad eilten zu mir, begrüßten den Gast und führten ihn ins Esszimmer, wo wir uns an den großen quadratischen Tisch setzten. "Möchtest du ein Glas Wasser haben?", bat meine Mum an, doch Charlie winkte ab. "Nein, danke." Dad beobachtete streng jede seiner Bewegungen, während er sich gegenüber von ihm hinsetzte. Er kam sofort zur Sache: "Also dann, Charlie Weasley, was verschafft uns die Ehre ihres Besuches?" Charlie setzte sich aufrecht hin, verschränkte seine Hände, legte diese auf den Tisch und fing an zu reden: "Zuerst einmal möchte ich mich entschuldigen, dass ich hier so unerwartet auftauche. Ich will mich Ihnen keinesfalls aufdrängen. Jedenfalls hatte ich gehofft mit Ihnen über Woo- ich meine über Olivers Leistungen im Quidditch zu sprechen. Er hat mir vor Kurzem von ihren Bedenken zu seiner Wunschkarriere erzählt und ich bin der Meinung, ich könnte hier als sein Trainer und Tutor, der mit ihm das ganze Jahr über zusammengearbeitet hat ihre Zweifel ausräumen." Ich sah ihn verblüfft an und strahlte über das ganze Gesicht. Unfassbar, dass er sich die Zeit nahm, um sich mit meinen Familienproblemen auseinanderzusetzen. Dad fand es ebenso unfassbar. Er sah Charlie an, als hätte dieser den Verstand verloren. "Du hast dir also gedacht, es wäre eine gute Idee hier einfach so aufzukreuzen und sich in unsere Familienangelegenheiten einzumischen, ja?", beschwerte sich Dad. Ich konnte schon wieder den leichten Rotton erkennen, der sich in seine gewöhnliche Gesichtsfarbe mischte, was üblicherweise ein erstes Zeichen dafür war, dass er gleich wütend aufstand und Charlie schreiend aufforderte sein Haus zu verlassen. Zum Glück war Charlie nicht so leicht abzuschütteln und er entgegnete schlagfertig: "Ich mische mich nicht ein. Ich mache nur Vorschläge." Mum setzte sich neben ihren Mann und legte beruhigend ihre Hand auf Dads Schulter. "Ist schon gut, Max. Der Junge hat offensichtlich etwas zu sagen. Lassen wir ihm doch eine Chance." Dad entgegnete wütend: "Bei Merlins Bart! Er ist doch der - der - der Junge, der unserem Sohn diesen ganzen Schwachsinn in den Kopf gesetzt hat. Hat er doch selbst gesagt." Bevor irgendwer anders sich gegen Dad stellte, erhob Charlie das Wort: "Ganz ruhig. Ich habe nur mit Oliver trainiert. Was er mit seinem Leben anfangen will, war schon immer und ist auch jetzt noch ganz allein seine Entscheidung. Ich habe mich da in keinster Weise eingemischt. Ihr Sohn ist der talentierteste jüngste Hüter, den ich je in meinem Leben gesehen habe und ich hab viele Geschwister, die fast alle sehr gut Quidditch spielen. Hören Sie, ich bin mit dem Spiel aufgewachsen und trotzdem kenne ich lange nicht so viele Strategien, wie Oliver. Ich kann verstehen, dass Ihnen die finanzielle Lage Sorgen macht, aber Sie müssen wissen, dass wirklich gute Spieler teilweise auch sehr viel verdienen. Oliver ist so ein guter Spieler. Da müssen Sie ihm einfach vertrauen. Und vertrauen Sie mir, dass ich ihm so gut es geht helfe besser zu werden. Solange, bis er dasselbe Niveau erreicht wie ein Profi. Ich bin gerne Olivers Trainer und ich vertraue zweifellos darauf, dass er es schaffen kann. Sie finden womöglich, dass Quidditch nichts als Zeitverschwendung ist und es wichtigere Jobs gibt, als mit Bällen zu werfen, sie zu fangen und Punkte damit zu erzielen. Das ist aber nur Ihre Sichtweise. Für Oliver und mich ist Quidditch ein Rückzugsort. Oben in der Luft, wenn wir auf unseren Besen sitzen und fliegen, dann fühlen wir uns frei und es kommt uns vor, als gäbe es nichts anderes auf der Welt mehr. Keine Sorgen und keine Probleme. Das ist der Ort, an dem wir uns fehlerfrei fühlen können. Ja, vielleicht ist Quidditch nicht das, was Sie sich für Ihren Sohn vorstellen, aber er will es so und er hat dieses unglaublich große Talent, dass er auf keinen Fall wegwerfen sollte. Bitte, halten Sie ihn nicht davon ab seine Ziele zu erreichen, nicht bei seinem Potential." Charlie beendete seine Ansprache und ich konnte in Mums Augen sehen, dass sich etwas verändert hatte. Ich sah Charlie mit großen Augen an, doch er sah ununterbrochen Dad an. Dieser war tief in Gedanken versunken und meine Mum schlug uns beiden vor nach oben in mein Zimmer zu gehen, während sie sich mit Dad unterhalten wolle. 

Oliver Wood - Quidditch: Sieg oder NiederlageWo Geschichten leben. Entdecke jetzt