Kopf hoch

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Weihnachten stand vor der Tür und die Hogwarts-Schüler machten sich bereit nach Hause zu ihren Familien zu fahren. Sie packten Koffer, verabschiedeten sich schon langsam von ihren Freunden und schrieben die letzten Tests vor den Ferien. Draußen lag haufenweise Schnee und ein riesiger Tannenbaum stand im Esssaal. Bella und ich hatten ausgemacht, dass wir Heiligabend und den ersten Weihnachtsfeiertag bei unseren Familien verbringen und ich einen Tag darauf zu ihr fahren würde. Wir freuten uns schon sehr auf die Feiertage, aber dennoch fühlte ich mich noch nicht bereit von Hogwarts abzureisen. Es gab noch eine Sache, die ich zu tun hatte. Nachdem Charlie mir vorgeworfen hatte zu selten zum Quidditch-Training zu gehen, war ich ziemlich niedergeschlagen gewesen. Ich merkte, dass aber auch etwas mit ihm nicht stimmte und beschloss etwas dagegen zu unternehmen.

Ich machte eine Pause vom Kofferpacken und suchte Charlie in seinem Schlafzimmer auf. Ohne etwas zu sagen stand ich in seiner Tür und wartete darauf, dass er die Konversation begann. Nach einer Weile gab Charlie einen Laut von sich. Er räusperte sich. "Was willst du, Wood?", fragte er missgelaunt. Ohne Einladung betrat ich sein Zimmer und hockte mich neben ihn auf den Boden, wo er gerade seine Kleidung sortierte, die er nach und nach in den Koffer vor ihm verstaute. "Mit dir reden", antwortete ich ihm gelassen und versöhnlich zugleich. Wieder gab Charlie lediglich ein Brummen von sich, woraufhin ich die Augen verdrehte. "Komm schon, Charlie. Sei nicht so." Er hörte auf seine Kleidung in den Koffer zu räumen und sah mich mit beleidigter Miene an. "Was willst du, Wood?", wiederholte er. Ich setzte mich nun auf den Boden und verschränkte die Arme vor der Brust. "Lass das. Führ dich nicht wie ein kleines Kind auf. Im Ernst. Du hast nichts falsch gemacht, also verhalte dich nicht so",  sagte ich mit einer ruhigen Stimme, die schon fast bedrohlich wirkte, aber ihn trotzdem nicht verschreckte. "Andrew findet das auch übrigens. Und bevor du den Spieß wieder umdrehst und sagst, dass ich nicht besser bin als du, indem ich nicht zum Training gehe, will ich dir was sagen." Charlies böse Miene hatte sich verflüchtigt und es machte den Anschein, als hörte er mir nun zu. "Weißt du, als ich damals meinem Dad erzählt hab, ich will professioneller Quidditch Spieler werden, hat er mich zuerst ausgelacht. Und dann, ein paar Jahre später, als er gesehen hat, dass dieser Wunsch nicht einfach ein lächerlicher Kindheitstraum war und ich es Ernst meinte, war er schockiert. Komplett fassungslos. Ich hab immer noch seinen Gesichtsausdruck vor Augen. Ich glaube, er hat nichtmal geblinzelt. Er hat mich für verrückt gehalten und hat sofort alle Gründe aufgezählt, die dagegen sprachen. Tausendmal hat er gesagt - und das tut er bis heute - "Oliver, was wenn du dich verletzt? Dann ist deine ganze Karriere zu Ende! Geh das Risiko nicht ein. Arbeite im Ministerium wie ich. Nur so kannst du ein sicheres und glückliches Leben führen." und ich versuche ihn seitdem vom Gegenteil zu überzeugen und ihm klarzumachen, dass mich nur Quidditch glücklich macht." Ich machte eine kurze Pause und fuhr fort: "Als ich gesehen habe wie Andrew gestürzt ist, habe ich wieder Dads Stimme in meinem Kopf gehört und ich habe Panik gekriegt. Das Risiko war mir immer egal gewesen, weil es für mich auch immer so unwahrscheinlich war, dass etwas passieren könnte. Klar, ich hatte auch schon Quidditch-Unfälle, aber keiner davon hatte je so große Auswirkungen wie bei Andrew. In zehn Sekunden hat sich sein ganzes Leben verändert und sein Traum sich in Luft aufgelöst. Und ich fürchte mich, dass mir das auch passieren kann. Seit Monaten überlege ich, ob ich einen Plan B habe, was meine Karriere betrifft, aber ich komme immer wieder zum selben Schluss, nämlich dass Quidditch das einzige ist, das ich für immer machen will. Und das hat mir noch mehr Angst eingejagt, also bin ich nicht mehr zum Training gegangen, habe das ganze Thema ignoriert und mich auf anderes konzentriert." "Anderes wie Bella?", hackte Charlie nach. "Womöglich", antwortete ich knapp. "Aber Oliver, hat sie überhaupt mitbekommen, dass das alles in dir vorgegangen ist? Hat sie einmal nachgefragt?" Charlie sah mich ernsthaft an. "Es kam mal zur Sprache, kurz nachdem der Unfall passiert ist, aber danach nicht mehr." "Wenn sie das nicht bemerkt hat, Oliver, ist sie dann überhaupt..." Ich unterbrach ihn: "Was meinst du?" "Ich meine, war es die richtige Entscheidung mit ihr eine Beziehung einzugehen?" "Ich liebe sie." "Sicher? Oder hast du eher die Vorstellung von euch beiden geliebt? Und mal ehrlich, Wood, weißt du überhaupt was Liebe bedeutet?" "Ich denke schon", entgegnete ich still. Charlie schmunzelte und boxte mich leicht in den Arm. "Dummkopf", murmelte er. Dann fügte der Mannschaftskapitän hinzu: "Hör zu, ich habe kein Recht mich in deine Beziehung einzumischen, aber als Trainer und Mentor rate ich dir, dich immerhin wieder auf Quidditch zu konzentrieren. Vertrau mir, du bist ein großartiger Hüter und ich habe noch nie gesehen, dass jemand so fest an seinen Traum geglaubt hat wie du, also gib ihn nicht auf, nur weil du dich fürchtest. Manchmal kann Angst etwas Gutes sein, wenn sie dich davon abhält dumme Risiken einzugehen, aber Quidditch ist kein dummes Risiko und die Angst wird weggehen, sobald du wieder auf den Besen steigst." "Und deine Schuldgefühle werden weggehen, sobald du dir selbst verzeihst. Alle anderen haben es schon. Wenn ich dir also vertrauen soll, musst du mir im Gegenzug versprechen, mir zu glauben, wenn ich sage, dass du nichts falsch gemacht hast." Charlie blickte nachdenklich zu Boden und spielte mit den Fransen des Teppichs, der darauf ausgebreitet war, dann stand er ruckartig auf. "Ich hab eine Idee. Wieso treffen wir uns nicht einfach nächsten Dienstag im Gemeinschaftsraum und gehen gemeinsam zum Training? So wie früher. Wir fangen einfach beide neu an. Was sagst du? Bist du dabei?" Ich stand ebenfalls auf und nickte. "Bin dabei."


Oliver Wood - Quidditch: Sieg oder NiederlageWo Geschichten leben. Entdecke jetzt