-Chapter Twenty-

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„Hey." Vorsichtig machte ich einen Schritt auf ihn zu. Ich legte meine Hand auf seine Wange, und brachte ihn somit dazu mir in die Augen zu schauen. Seine Augen hatten jegliches Strahlen verloren, sie sahen so kalt aus. „Wir sind deine Freunde, Chase. Nicht deine Feinde. Was ist los?" Meine Stimme war ganz leise. Ich wollte ihn nicht noch mehr aufregen. Er schloss seine Augen und kämpfte mit den Tränen. Er verlor den Kampf. Eine Träne bahnte sich den Weg über sein Gesicht. Sanft wischte ich sie mit meinem Daumen weg, bevor ich meine Arme um seinen Oberkörper schlang, und ihn an mich zog.

„Wir sollten die beiden alleine lassen", sagte Aiden hinter mir leise zu Kyle. „Ich glaube auch", stimmte dieser ihm zu. „Liana, wir gehen, wenn was ist, dann ruf an", sagte Kyle zu mir. „Okay, danke Jungs", sagte ich zu Ihnen, ohne mich von Chase zu lösen. Die beiden klopften ihrem besten Freund brüderlich auf die Schulter, bevor sie gingen. Sobald Kyle und Aiden weg waren, fing Chase' gesamter Körper an zu beben. Er brach in meinen Armen zusammen. Irgendwie schaffte ich es noch ihn auf sein Bett zu manövrieren. Er schlang seine Arme um mich und zog mich noch näher an sich. Sein Körper bebte, während er in meinen Armen weinte. „Lass es raus", flüsterte ich leise. Minutenlang, vielleicht auch stundenlang lagen wir so in seinem Bett. Bis er sich beruhigt hatte. Irgendwann holte ich die Decke, die noch auf dem Fleck lag, auf dem Kyle sie vorhin gelegt hatte. Ich breitete die Decke über Chase aus und setzte mich etwas entfernt von ihm auf das Bett, um ihm etwas Raum zu geben.

„Meine Eltern haben sich auf dem College kennengelernt", fing er an zu erzählen. „Du musst es mir nicht erzählen, wenn du nicht willst", sagte ich zu ihm. Er sollte es mir nicht erzählen, weil er sich dazu gedrängt fühlte. „Ich weiß, aber ich möchte es dir erzählen." Von da an unterbrach ich ihn nicht mehr, sondern ließ ihn erzählen.

„Dad war in seinem letzten Jahr am College. Mum hatte gerade erst angefangen zu studieren, da haben sie sich auf einer Party kennengelernt. Mum hat immer gesagt es war Liebe auf dem ersten Blick. Nach ein paar Treffen sind sie zusammengekommen. Nachdem mein Vater seinen Abschluss hatte, hat er ihr einen Heiratsantrag gemacht. Natürlich hat sie JA gesagt. Er war ihre große Liebe, das hat sie immer gesagt. Und obwohl er ihre große Liebe war, hat sie ihren Mädchennamen behalten. Deswegen heiße ich Garcia mit Nachnamen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie dankbar ich ihr dafür bin. Nach ihrem Abschluss sind sie ein Jahr durch die Welt gereist. Als sie wieder zurück waren, hat Mum einen Job an der Uni angenommen. Mathe und Literatur hat sie dort unterrichtet, während mein Vater das Unternehmen von seinem Vater übernommen hat. Mit 30 ist Mum mit mir schwanger geworden. Beide wollten unbedingt ein Kind. Irgendwie hat Mum es immer geschafft Kind und Karriere unter einen Hut zu bringen. Sie war eine absolute Powerfrau. Und hat jeden Raum, den sie betrat mit Licht erfüllt. Mein Vater hat das nie geschafft. Er war mehr mit seiner Arbeit als mit Mum verheiratet. Meine Eltern wollten mehr Kinder. Es blieb jedoch bei mir. Mum hatte mehrere Fehlgeburten, zu dem Zeitpunkt war ich zehn. Mein Vater hat ihr so viele Vorwürfe deswegen gemacht. Er hat sie runtergemacht, wegen den Fehlgeburten. Hat ihr gesagt, dass sie sowieso eine schlechte Mutter wäre und vieles mehr. Irgendwann kam heraus, dass er sie schon längere Zeit mit seiner Sekretärin betrug. Sie war so am Boden zerstört. Ich kann mich noch erinnern, wie sie immer in ihrem Schlafzimmer saß und geweint hat. Zu dem Zeitpunkt war ich elf. Meine Eltern stritten immer mehr. Wegen jeder Kleinigkeit zettelten sie einen Streit an. Er hat sie nie geschlagen. Er hat sie mit Worten fertiggemacht. Immer wieder hat er ihr eingeredet, dass sie eine schlechte Mutter ist. Das sie einen schlechten Job an der Universität machen würde. Er hat wirklich Psychoterror mit ihr betrieben. Über die Jahre musste ich dabei zusehen, wie aus meiner lebensfrohen Mum eine traurige und einsame Frau wurde. Irgendwann hat sie es nicht mehr ausgehalten. All den Druck, den mein Vater ihr gemacht hatte, all die Beleidigungen, den Betrug. Ich war zwölf. Ich habe mit zwölf Jahren meine Mutter verloren. Sie hat sich an ihrem 43. Geburtstag das Leben genommen. Am Abend zuvor habe ich sie das letzte Mal gesehen. Sie hat mich in die Arme genommen, länger und fester als sonst und hat mir gesagt, dass sie sich auf den morgigen Tag freut"

Chase schluckte schwer. Ich wischte mir die Tränen weg, bevor er weitersprach. „Er hat sich nicht einmal richtig für ihren Tod interessiert. Stattdessen hat er sich in seine Arbeit gestürzt. Er hat sich nicht einmal mehr wirklich für mich interessiert. Die meiste Zeit war ich bei meinen Großeltern, oder bei Kyle. Kyles und meine Mum waren seit der High School befreundet. Wenn weder meine Großeltern noch Kyles Mum Zeit hatten, dann hat mein Vater eine Babysitterin arrangiert. Ich habe ihn zwischen meinem zwölften und fünfzehnten Lebensjahr so selten gesehen, manchmal hatte ich das Gefühl er hat vergessen, dass er einen Sohn hatte. Als ich 15 war hat er mir eröffnet, dass seine neue Freundin mit ihrem Sohn bei uns einziehen würde. Seine Freundin war seine Sekretärin, mit der er Mum betrogen hatte. Ihr Sohn Damian und ich sind gleich alt. Die Frau, mit der er Mum betrogen hatte, schlief jetzt in dem Bett, in dem früher meine Mutter geschlafen hatte. Jedenfalls kam ich weder mit seiner Freundin Simone, noch mit Damian zurecht. Damian hatte unglaublichen Spaß daran mit zu provozieren. Damian ist der Cousin von Silas, deswegen können wir uns nicht leiden. Naja jedenfalls habe ich nie wirklich auf seine Provokationen reagiert. Letzten Winter, habe ich es. Damian hat angefangen zu reden und irgendwann meinte er, dass Mum sich wahrscheinlich nur umgebracht hat, weil ich sie als Sohn enttäusch hätte. Ich bin ausgerastet. Habe ihn geschlagen, bis er geblutet hat. Natürlich hat er zurückgeschlagen. Mein Vater war nicht zu Hause, aber Simone war es. Sie hat mich rausgeworfen, aus meinem eigenen zu Hause. Ich wusste nicht so recht, wohin mit mir, also bin ich zu Kyle gegangen. Ich habe ihm und seiner Mum genau erzählt , was passiert war. Die Nacht habe ich bei ihnen im Gästezimmer verbracht. Am nächsten Tag kam Dad vorbei. Er wollte sich gar nicht anhören, was ich zu sagen hatte. Stattdessen hat er mir klargemacht, dass ich ab sofort nicht mehr zu Hause wohnen würde. Er hat mir eine Adresse und einen Schlüssel für die Wohnung gegeben. Und einen Abschiedsbrief von Mum, verdammt, er hat mir fünf Jahre vorenthalten, dass sie mir einen Abschiedsbrief geschrieben hat."

Wieder machte er eine kurze Pause. Ich musst erst einmal verarbeiten, was er mir gerade erzählt hatte. „Die Wohnung hier hat meiner Mum gehört. Nach ihrem Tod wurde sie auf mich überschrieben. So wollte sie es. Mein Vater hat mir einen Haufen Geld überwiesen, damit ich mir die Wohnung einrichten kann. Er überweist mir jetzt noch jeden Monat einen Haufen Geld. Das meiste Geld spare ich. Ich glaube er macht das gegen sein schlechtes Gewissen. Nachdem ich rausgeworfen wurde, war ich nur noch ein einziges Mal zu Hause, um meine Sachen zu holen. Klamotten, Bücher und so. Alle Möbel habe ich mir komplett neu gekauft. Wenn es nach Kyles Mum gegangen wäre, dann wäre ich bei ihnen eingezogen. Aber ich wollte allein wohnen. Ich hatte Angst, dass sie mich irgendwann auch rauswerfen würden. Seitdem haben mein Vater und ich so gut wie keinen Kontakt. Und dann stand er gestern plötzlich vor meiner Tür, um mir zu sagen, dass er die Frau heiraten würde, mit der er Mum wahrscheinlich sogar über Jahre betrogen hatte. Willkommen in meinem verkorksten Leben. Am besten rennst du ganz schnell weg."

Mein Herz brach, als er das sagte. „Ich gehe nirgendwohin, Chase", sagte ich zu ihm, während ich näher zu ihm rückte. „Das was du erleben musstest, ist schrecklich. Aber es macht dich zu dem Mensch, der du bist. Und du bist wunderbar, Chase." Er schlang seine Arme um meine Taille und zog mich an sich. „Danke", sagte er leise zu mir, bevor er sich zu mir vorbeugte und mich küsste.

„Wie lange hast du nicht mehr geschlafen?", fragte ich ihn, während ich mit meinen Fingern durch seine Haare fuhr. „Seit Montagmorgen", antwortete er mir. Er sah entsprechend fertig aus. Müde, erschöpft. Er war seit weit über 24 Stunden wach. „Bleibst du bei mir?", fragte er leise. „Wenn du das möchtest." „Ja."

Ich blieb bei ihm. Er gab mir bequeme Klamotten aus seinem Schrank, bevor wir uns Pizza bestellten und aneinander gekuschelt einschliefen. Am nächsten Tag schwänzten wir Schule. Stattdessen blieben wir im Bett liegen und Chase erzählte mir Geschichten aus seiner Kindheit. Nachmittags kamen Kyle und Aiden kurz vorbei. Chase entschuldigte sich bei seinen besten Freunden für sein Verhalten. Wir redeten zu viert über die Hochzeit und beschlossen, dass wir alle gemeinsam hingehen würden, insofern es für Chase' Vater in Ordnung war. 

Between LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt