Nachdem das überirdische Licht der Magie ganz verklungen war, nahm das Fest eine in jedem Sinne irdische Wendung. Am Rand des Steinkreises wurden Tische mit Essen und Trinken aufgestellt – alles was man sich für einen fantastisch leckeren Apéro wünschen konnte und noch dreimal mehr. Begeistert stopfte ich mich mit Weihnachtsguetzli und Speckzopf voll und ging allen erdenklichen Variationen von Toast aus dem Weg. Bruschetta, Speckdatteln, Mini-Pizzen, Schokoherzen, ... Dazu nahmen Kaspar und ich je einen herrlich warmen Becher mit Orangen-Punsch. Ma nahm auch einen Orangen-Punsch. «Aber mit Schuss!», wie sie den Ausschenkenden lachend anwies.
Das Fest hatte zweifellose noch bis in die frühen Morgenstunden gedauert, aber gegen zwei Uhr morgens hatte Ma Kaspar und mich resolut dazu aufgefordert, mit ihr nach Hause zu kommen und zu Bett zu gehen. Und wie es aussah, hatte sie ihren eigenen Rat ebenfalls befolgt, denn als ich gegen zehn Uhr gähnend aus meinem Zimmer kam, sass eine gutausgeschlafene Kathleen Seanorth am Küchentisch, mit einer grossen Kanne Tee und einer Tasse vor sich und las ihre Zeitung. Kaspar sass verschlafen neben ihr und strich eine dicke Schicht Butter und eine noch dickere Schicht Honig auf ein Stück von Mas Brot, das um so vieles feiner und schmackhafter war als der labbrige Toast, den man in England sonst immer bekam.
Ich nahm mir ebenfalls ein Stück Brot und schielte dann zu Ma hinter der Zeitung. Es wäre schön unfair, wenn sie nicht wenigstens ein bisschen Müde aussah. Dabei fiel mein Blick auf die Titelseite, auf der ein grosses schwarz-weiss Bild prangte und ich bekam grosse Augen. Auf dem Bild war ein helles Licht über der Skyline von London zu sehen. Seltsames Licht über London – der Stern von Bethlehem?, liess die Schlagzeile verlauten.
Ma hatte meinen Blick aufgefangen und lachte über meine entsetzte Miene. «Ja, wir haben gestern Abend ganze Arbeit geleistet. Eilanath meinte, dass sei seit Jahren der stärkste Zauber gewesen, an dem sie mitgewirkt hatte. Kein Wunder also, dass die Muggel glauben, ihren Weihnachtsstern gesehen zu haben.»
Für Ma war damit alles geklärt, aber ich fragte mich, ob diese Sache mit dem Internationalen Geheimhaltungsabkommen vereinbar war.
Nach dem Frühstück kam Mrs Flamel die Treppe zu unserer Wohnung herauf und brachte, hinter ihr herschwebend, ganze sieben Teigpackungen mit. Sie nahm die Küche in Beschlag und forderte Kaspar und mich auf, ihr beim Weihnachtsguetzli-Backen zu helfen. Ma, die mit all diesen Weihnachtsbräuchen möglichst nichts am Hut haben wollte, floh ins Wohnzimmer, während Kaspar und ich uns mit Feuereifer an die Arbeit machten und zwischendurch immer wieder Teig naschten.
Als dann Heiligabend kam, versammelten wir uns zu fünft in unserem Wohnzimmer, wo auch der Christ–, pardon, der Jul-Baum stand. Ma hatte das mit der Tanne noch über sich ergehen lassen, gegen die Krippe, die Mrs Flamel hatte aufstellen wollen, hatte sie sich dann aber kategorisch gewehrt. Es wurde ein schöner Abend und als Kaspar und ich zu Bett geschickte wurden, konnte ich kaum einschlafen, so sehr freute ich mich auf die Geschenke, die am Weihnachtsmorgen unter dem Baum liegen würden.
Blinzelnd öffnete ich am Weihnachtsmorgen die Augen und rannte dann, noch im Pyjama, ins Wohnzimmer, um die Päckchen in Augenschein zu nehmen. Es mussten etwa zwanzig sein, die in einem unordentlichen Haufen unter dem Christbaum lagen. Eins davon war eine grosse, knallbunte Guetzlibüchse, bei deren Anblick sich ein Lächeln auf meine Lippen schlich. Mal sehen, was Ma davon halten würde.
Aus der Küche drangen Stimmen und so tappte ich barfuss in diese Richtung, wo ich meine Mutter zusammen mit Mr und Mrs Flamel beim Frühstück fand. Das alte Ehepaar hatte sich wohl wieder einmal selbst eingeladen – verständlich, denn schliesslich hatten sie weder Kinder noch Enkelkinder, die sie besuchen kommen würden. Und ihre Ururururu-und-noch-ein-paar-Mal-Ur-Enkel, würden ebenfalls nicht vorbeikommen, da die beiden in deren Familien schon längst in Vergessenheit geraten waren. Kein Wunder nach über sechs Jahrhunderten. Ich setzte mich zu den dreien an den Küchentisch und bestrich eilig ein Stück Brot mit Butter und Honig, denn aus Erfahrung wusste ich, dass es keine Geschenke geben würde, bis das Frühstück beendet war. Ich stopfte mir gerade das letzte Stück Brot in den Mund, als Kaspar endlich verschlafen in die Küche schlurfte. Er blinzelte aus kleinen Augen und liess sich auf einen Stuhl fallen. Ungeduldig wartete ich darauf, dass er sein Frühstück beendete und dann, endlich, konnten wir alle zusammen ins Wohnzimmer gehen.
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Undeutbare Zeichen - Adrienne Seanorth 3
FanfictionEine Harry Potter Fanfiction Ein weiteres aufregendes Schuljahr beginnt für Adrienne: Sie ist fest entschlossen, das Geheimnis um ihre Herkunft endlich zu lösen. Doch dieses Vorhaben wird erst einmal von der Ankunft des berühmten Harry Potters in Ho...