26. Kapitel

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Noch nie, wirklich noch nie hatte ich meine Ma so böse erlebt wie jetzt, nachdem Gawain ihr vom Vorfall in der Bibliothek berichtet hatte. Sie hatte uns vieren eine Standpauke gehalten, die sich gewaschen hatte und uns dann, als sie uns zur Grösse eines Fingernagels zusammengestaucht hatte, in unsere Zimmer geschickt. Weder Jessie noch ich sagten ein Wort bis wir ins Bett gingen.

Mitten in der Nacht erwachte ich von Stimmen.

«Was haben sie sich nur dabei gedacht!?», das war Ma's Stimme. Sie war ruhiger als am Abend, aber immer noch wütend.

«Nichts.» Das war Gawain. «Sie sagten, sie seien auf der Suche nach irgendeinem Ritual.»

«Das Geisterbeschwörungsritual», sagte Ma tonlos.

«Was hat es damit auf sich?»

«Wir suchen nach einem Ritual oder Zauber, um den Geist von Salazar Slytherin zu beschwören, einem der fünf Gründer von Hogwarts. Ich hab' dir von der Kammer des Schreckens erzählt und dem Monster, das die Schüler angreift. Angeblich hat Slytherin persönlich die Kammer gebaut. Adrienne glaubt nicht, dass er es war, aber es könnte trotzdem hilfreich sein, mit ihm zu sprechen.»

«Ich dachte, es gäbe nur vier Gründer und vier Häuser, zumindest hat Jake das erzählt», hakte Gawain nach.

«Das fünfte Haus, das Haus Finjarelle, starb mit seiner Gründerin. Erst danach dachten die anderen vier darüber nach, wie sie das System der Häuser über die Zeit hin aufrechterhalten konnten.» Ma schwieg einen Moment. «Meine Grossmutter war eine Finjarelle. Das Haus war für magische Wesen wie uns, für Leute mit besonderen Begabungen. Xameria hat mir von einer Dryade erzählt, von Gestaltwandlern, Elementbändigern. Finëa di Finjarelle, die Gründerin, war selbst eine Fey.»

«Wie konnte das Haus dann aussterben?», fragte Gawain verwirrt.

«Sie wurde ermordet. Von einem der Gründer.»

«Slytherin», riet Gawain.

«Nein, von Rowena Ravenclaw. Aber allgemein wird Slytherin dafür verantwortlich gemacht. Zumindest von jenen, die überhaupt noch um die Existenz dieses Hauses wissen.»

«Klingt so, als hätte man diesem Slytherin einen ziemlich schlechten Ruf angedichtet.»

Eine Weile war es still und mir waren schon fast die Augen zugefallen, als Ma wieder sprach.

«Ich bin froh, dass du da warst. Dass du für mich auf Adrienne aufgepasst hast.»

«Das ist nicht mein Verdienst, Kath. Diese Kette hat sie geschützt. Sie hat blau geleuchtet und einen seltsamen Schutzzauber um Adrienne gewoben. Sonst wäre sie dem Zauber des Jungen zum Opfer gefallen», sagte Gawain leise.

«Aber du hast dafür gesorgt, dass wir uns nicht mit einem weiteren Nekromanten herumschlagen müssen.»

Einem Nekromanten!?

«Wo ist das Buch jetzt?», fragte Ma.

«Ich habe es noch. Wir müssen uns überlegen, was wir damit machen», sagte Gawain und klang erschöpft.

«Aber erst Morgen ... Morgen. Nicht jetzt ... nicht jetzt», sagte Ma.

«Was wird das?», fragte Gawain amüsiert. «Heldenverehrung?»

«M-hm», sagte Ma.

Dann hörte ich nichts mehr.

Als ich am nächsten Morgen aufstand, linste ich erst vorsichtig aus meiner Zimmertür. Einer wütenden Fey sollte man nicht in die Quere kommen. Jedenfalls nicht wenn man an seinem Leben hing. Meine Freunde waren nicht in Sicht, dafür traf ich in der Küche auf Gawain, der fröhlich summend ein Stück Brot mit Butter und Nutella bestrich. Schön dick, wie es sich gehörte. Stirnrunzelnd sah ich ihm dabei zu. Was machte Gawain in unserer Küche?

Undeutbare Zeichen - Adrienne Seanorth 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt