33. Kapitel

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Ich wirbelte tiefer, um zu sehen, was vor sich ging. Ginny Weasley lag leblos am Boden. Neben ihr waren zwei Gestalten, zwei Jungen. Ein Junge mit verstrubbeltem, schwarzem Haar kniete direkt neben Ginny. Harry. Der andere stand ein paar Schritte weiter. Auch er hatte dunkles Haar und trug ebenfalls eine schwarze Hogwartsschuluniform, weshalb ich ihn und Harry vorhin im spärlichen Licht nicht sofort entdeckt hatte. Dieser Junger war älter, wahrscheinlich ein Siebtklässler und er sprach mit Harry.

«Ich denke, der eigentliche Grund, warum Ginny hier liegt, ist, dass sie ihr Herz ausgeschüttet und all ihre Geheimnisse einem unsichtbaren Fremden verraten hat», sagte er.

«Wovon redest du?», fragte Harry.

«Vom Tagebuch», sagte der ältere. «Meinem Tagebuch. Die kleine Ginny hat Monat für Monat darin geschrieben und mir all ihre jämmerlichen Sorgen und ihr Herzeleid anvertraut – wie ihre Brüder sie triezten, wie sie mit gebrauchten Umhängen und Büchern zur Schule kam, und dass ...», die Augen des Jungen funkelten, «... und dass sie nicht glaubt, der berühmte, gute, grosse Harry Potter würde sie jemals mögen ...» Langsam trat der Ältere näher an Harry und Ginny heran, dabei starrte er Harry mit einem Ausdruck an, der mir gar nicht gefiel.

«Es war sehr langweilig, den albernen kleinen Sorgen eines elfjährigen Mädchens zu lauschen», fuhr er fort. «Doch ich war geduldig. Ich schrieb zurück, ich zeigte Mitgefühl, ich war nett. Ginny hat mich einfach geliebt. Keiner versteht mich besser als du, Tom ... Ich bin so froh, dass ich mich diesem Tagebuch anvertrauen kann ... Es ist wie ein Freund, den ich in der Tasche herumtragen kann ...», äffte der Junge Ginny nach und brach dann in hohes, kaltes Gelächter aus, bei dem mir alle Haare zu Berge gestanden wären, hätte ein Obscurus Haare gehabt.

«Ich darf durchaus von mir behaupten, Harry, dass ich jene, die ich brauchte, immer bezaubern konnte. Und so hat Ginny mir ihr Herz ausgeschüttet, und ihr Herz war genau das, was ich brauchte. Ich wurde stärker und stärker, denn ich konnte mich von ihren tiefsten Ängsten, ihren dunkelsten Geheimnissen nähren. Ich wurde mächtig, viel mächtiger als die kleine Miss Weasley. Mächtig genug, um Miss Weasley schliesslich mit ein paar meiner Geheimnisse zu füttern, um ihr allmählich ein wenig von meiner Seele einzuflössen ...»

«Was meinst du damit», stellte Harry die Frage, die auch mir auf der Zunge brannte. Was dieser Tom da erzählte, klang für mich schlimmer als die Blutmagie, vor der Snape eben noch gewarnt hatte.

«Hast du es noch nicht erraten, Harry Potter?», sagte Tom sanft. «Ginny Weasley hat die Kammer des Schreckens geöffnet.»

Nein. Nein! Das konnte nicht sein. Niemals konnte Ginny das tun. Natürlich nicht ... denn hatte dieser Tom nicht eben gesagt, dass er Ginny mit Seelenmagie bezaubert hatte? Verzaubert, vermutlich damit sie für ihn die Kammer des Schreckens öffnete. Er war der Erbe Slytherins. Er war verantwortlich für all die Angriffe, für das Leid und die Angst, die sich aller bemächtigt hatte. Ich spürte die Wut in mir auflodern und zog mich etwas weiter vom Geschehen zurück hinter eine Schlangensäule, wo ich mühsam den Obscurus zurückdrängte, bevor die wütenden, roten Funken meine Anwesenheit verraten konnten. In meiner menschlichen Gestalt schlich ich wieder näher an das Trio heran, um zu hören, was gesagt wurde.

Tom war wieder dabei Ginny nachzuäffen: «Lieber Tom, Percy sagt ständig, ich sei blass und nicht mehr die Alte. Ich glaube, er verdächtigt mich ... Heute gab es wieder einen Angriff und ich weiss nicht, wo ich war ... Tom, was soll ich tun? Ich glaube, ich werde verrückt ... Ich glaube, ich bin es die alle angreift, Tom!» Wieder lachte er dieses schrecklich hohe, kalte Lachen. «Es hat sehr lange gedauert, bis die dumme kleine Ginny aufgehört hat, ihrem Tagebuch zu vertrauen. Schliesslich wurde sie doch misstrauisch.»

Undeutbare Zeichen - Adrienne Seanorth 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt