17. Kapitel

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Der Rest der Ferien verging viel zu schnell und ehe ich es mich versah, war der 31. August gekommen und Kaspar und ich packten unsere Koffer. Ich stand in meinem Zimmer zwischen Kleiderschrank und Schrankkoffer und wühlte in meinen Kleidern herum, um herauszufinden, ob ich wirklich alle Teile der Schuluniform eingepackt hatte. Hogwartsumhänge, check. Spitzhut, check, Winterumhang, check. Drachenlederhandschuhe, check. Danach ging ich den Rest der Kleider durch und schliesslich kam ich zu den Socken, als mir plötzlich ein kleines, schwarzes Kästchen in die Hände fiel. Ein Schmuckkästchen. Nachdenklich betrachtete ich es, dann legte ich es in das unterste Fach meines Schrankes, zählte die Socken weiter durch und überlegte, welche Kassetten ich mitnehmen sollte, denn alle hatten leider keinen Platz im Koffer. Und plötzlich, während ich mit den Kassetten und meinem Walkman hantierte, hatte ich wieder dieses schwarze Schmuckkästchen in der Hand. Seufzend drehte ich es in den Händen und schreckte zusammen, als sich etwas an meinem Handgelenk bewegte. Etwas Kühles strich über meine Hand und im nächsten Moment flatterte Corvus auf den Rand des Schrankkoffers.

«Du weisst, dass sich Steinraben eigentlich nicht bewegen, oder?», schalt ich den Raben aus Obsidian, der daraufhin den Kopf zur Seite legte und mich aus roten Granataugen ansah.

Und wenn schon, krächzte er in meine Gedanken. Mach das Kästchen auf und stell dich der Wahrheit.

Ich seufzte. Ich hasste es, wenn andere mir sagten, dass ich mich einer Herausforderung stellen sollte – und damit recht hatten. Missmutig starrte ich Corvus an und der Obsidianrabe starrte zurück. «Nur wenn du in den Armreif zurück gehst!», erwiderte ich trotzig.

Zu meinem Leidwesen tat Corvus das ohne zu zögern und nur Sekunden später war er wieder ein völlig unbewegter Rabe aus schwarzem Obsidian, der mit grösstem Geschick in den goldenen Armreif eingearbeitet war, der einst der fünften Hogwartsgründerin gehört hatte. Finëa di Finjarelle hatte ihn mir gegeben – und mich damit in die Vergangenheit katapultiert. Nun, sie war eben eine Fey und die waren von Natur aus hinterhältig, wie ich eigentlich hätte wissen müssen.

Nun blieb mir keine andere Wahl: Entschlossen griff ich erneut nach dem Kästchen und hob den Deckel ab. Heraus quoll ein Blatt Papier, das trotz des vielen Faltens kaum Platz hatte in dem kleinen Behälter. Es war ein Brief. An mich. Von meiner leiblichen Mutter. Ich ignorierte den Brief wie gewöhnlich und betrachtete den filigranen Anhänger: Eine silberne Blume und in ihrer Mitte ein bläulich schimmernder Mondstein.

«Verdammt nochmal, Adrienne! Du bist doch kein Feigling», schimpfte ich, bevor ich ungestüm nach der Kette griff und sie mir um den Hals legte. Eine angenehme Wärme machte sich von dem Anhänger ausgehend in meiner Brust breit. Ein Schutzzauber, den Mr Flamel auf mich angepasst hatte, und der die ursprünglichen Schutzzauber ersetzte. Ich versuchte die Kette und die Wärme zu ignorieren.


Am nächsten Morgen machten wir uns wie immer viel zu früh auf den Weg nach King's Cross. Wir sassen um acht im Auto und waren um Viertel nach acht am Bahnhof, geschlagene zwei dreiviertel Stunden bevor der Zug abfuhr. Ma lud die Koffer von Kaspar und mir auf zwei Gepäckkarren, als wögen sie nicht mehr als ein kleines Säckchen Sand, und legte Kaspar und mir dann je eine Hand auf die Schulter.

«So, ihr beiden, wir sehen uns am Samstag wieder am Steinkreis im Verbotenen Wald. Gleiche Zeit wie immer. Na dann, macht's gut», sagte sie kurzangebunden und ging – allerdings nicht ohne mir noch kurz liebevoll übers Haar zu streichen. Immerhin doch noch ein Anzeichen von Mütterlichkeit. Aber dass das nicht gerade Mas Stärke war, wusste ich schon lange.

«Na gut, gehen wir zum Gleis», schlug Kaspar vor. «Aber nicht ohne einen kurzen Abstecher zum Kiosk, einverstanden?» Stolz streckte er mir eine Hand voll Münzen entgegen, einige Pennys und Pounds, die er in Londinium als Wechselgeld erhalten hatte, mit denen er in Hogsmeade aber nichts würde anfangen können. «Das ist der letzte Zeitpunkt, um sie in Schokolade zu investieren», meinte Kaspar ernst. Ich grinste.

Undeutbare Zeichen - Adrienne Seanorth 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt