4. Kapitel

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Die Ferien neigten sich langsam aber sicher dem Ende zu und damit auch unsere gemeinsame Zeit in Londinium. Wir nutzten die letzten Tage, um uns von unseren Bekannten und Freunden hier und von all den liebgewonnen Ecken und Plätzen zu verabschieden. Die Zwillinge mussten den Gauklern versprechen, unbedingt wiederzukommen und ihnen ihrerseits ihre Kunststücke vorzuführen. Auch Gaius, der römische Feldherr und Kampflehrer, bestand darauf, dass zumindest Kaspar und ich im nächsten Sommer wieder bei ihm in der Arena kämpften. Am liebsten hätte er auch die anderen fünf verpflichtet, obwohl sie sich leider nicht als tüchtige, römische Legionäre eigneten. Und natürlich bestanden auch Mr und Mrs Flamel darauf, dass wir alle sie im nächsten Sommer wieder besuchten. Joanne hatte bereits jetzt ihre Eltern gefragt, ob sie mich nächstes Jahr wieder besuchen durfte, eine Antwort hatte sie allerdings noch keine bekommen.

Dann kam der Abend des 31. August und meine Mutter scheuchte uns alle wie eine Furie durchs Haus, damit wir aufräumten und unsere Koffer packten. Cedric und Jessie liessen sich das problemlos gefallen, Joanne und ich, die meine Mutter ja kannten, hatten in weiser Voraussicht bereits gepackt und Kaspar, der immer sehr ordentlich war, hatte ebenfalls nicht lange gebraucht, seinen grossen Schulkoffer zu packen. Nur die Zwillinge hatten ihre liebe Mühe mit meiner Ma. Aus dem letzten Jahr wusste ich, wie chaotisch und in letzter Minute das Packen für Hogwarts bei den Weasleys ablief, doch mit einer fauchenden Fey im Rücken packten schliesslich auch die Zwillinge ihre Koffer bereits am Vorabend. Nur Toilettenartikel und Pyjamas würden wir am nächsten Morgen noch einpacken müssen.

Der Morgen des 1. Septembers war sehr gemütlich. Für die Zwillinge war es sogar der gemütlichste Morgen eines ersten Septembers, den sie je erlebt hatten, wie sie erzählten, während wir in aller Ausführlichkeit frühstückten. Ich genoss zum letzten Mal das Vollkornbrot, das Ma selbst backte, bevor ich wieder ein Jahr lang nur labbrigen Toast würde essen können – so ziemlich das Einzige, was ich an Hogwarts nicht mochte. Obwohl ... wenn ich so darüber nachdachte ... dann gab es da natürlich auch noch Melanie Cole, eine nervige Ravenclaw aus unserem Jahrgang, die mich auf den Tod nicht ausstehen konnte, eine ganze Menge eingebildeter, überheblicher Slytherins, Argus Filch und seine Katze Mrs Norris und Professor Binns Geschichtsunterricht, der wirklich zum Sterben langweilig war. Trotzdem freute ich mich auf die Rückkehr ins Schloss und zählte die Minuten bis der Hogwartsexpress um Punkt elf Uhr ab Gleis neundreiviertel fahren würde.

Um halb zehn ging es dann mit unseren Schulkoffern aus unserem Haus und durch Londiniums Strassen zur Ziegelsteinmauer, die in die Muggelwelt führte. Um Viertel vor zehn hatten wir endlich all unsere Habseligkeiten im Auto verstaut und konnten losfahren und um Viertel nach zehn hatten wir endlich den Bahnhof Kings Cross erreicht, wo wir nun unser Gepäck auf Gepäckkarren verluden. Nun war es auch an der Zeit, uns von Joanne zu verabschieden, deren Eltern bereits am Bahnhof auf sie warteten. Joanne würde mit ihnen im Auto nach Oxford fahren, während wir anderen den Zug nach Hogwarts nahmen. Der Abschied machte mich traurig, auch wenn die Chancen, Joanne in den nächsten Ferien wiederzusehen, gut standen.

Danach betraten wir die grosse Bahnhofshalle und steuerten auf die Gleise 9 und 10 zu. Ich fühlte mich ganz hibbelig, sogar mehr als bei meiner ersten Fahrt nach Hogwarts, und war unheimlich aufgeregt, als wir durch den Pfeiler hindurch zum Gleis neundreiviertel gelangten. Irgendetwas war heute anders als die Male zuvor, ich wusste nur nicht was.

«Alles in Ordnung bei dir, Adrienne?», fragte jetzt auch Jessie, der meine Nervosität aufgefallen war.

«Keine Ahnung. Ich glaube schon», gab ich zurück, bevor ich mich gründlich auf dem Perron umsah. Seit ich den Bahnsteig betreten hatte, war meine Nervosität stetig gestiegen.

Jessie, Cedric und die Zwillinge trennten sich kurz darauf von uns, um ihren Eltern, die mit ihren Geschwistern – oder in Cedrics Fall allein – zum Gleis gekommen waren, «Auf wiedersehn» zu sagen. Kaspar und ich stiegen schon mal ein und suchten uns ein leeres Abteil – meine Ma folgte mit unserem Gepäck.

Undeutbare Zeichen - Adrienne Seanorth 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt