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9. Kapitel

Mittwoch, 29. April

„Und freust du dich schon auf das Essen mit mir?", fragt Kadir, als wir eigentlich in dem Buch weiterlesen sollen. „Das ist kein Essen nur mit dir", sage ich gereizt und beuge mich weiter in das Buch. Kadir zieht es mir weg, damit meine Aufmerksamkeit auf ihm liegt. Ich schaue ihm genervt in die Augen. „Was willst du, Kadir?", frage ich gereizt. Seine grünen Augen funkeln mich an. „Was hast du gegen mich?", fragt er schließlich, nachdem wir uns gegenseitig in die Augen geschaut haben. „Was ich gegen dich habe? Du warst die ganze Zeit fies zu mir und jetzt erwartest du, dass ich deine Entschuldigungen annehme, wenn wir beide genau wissen, dass du morgen wieder von vorne anfängst?", sage ich und versuche mein Buch wieder zu bekommen, aber Kadir hält es so, dass ich ihm näher kommen müsste und darauf habe ich keine Lust. „Los hol's dir", sagt er grinsend. „Bist du nicht schon ein wenig zu alt für diesen Kindergarten?", frage ich gereizt. Er grinst breiter. „Nö.", sagt er dann. Also beuge ich mich vor, sein Atem streift meinen Hals und ich bekomme eine Gänsehaut. Er riecht nach Aftershave und Waschpulver. Unsere Beine berühren sich. Ich greife nach dem Buch, was er ausgestreckt von sich hält. Als ich es zu fassen bekomme, setze ich mich schnell wieder auf meinen Stuhl und versuche meine Atmung zu kontrollieren. Du schaffst das, ermutige ich mich und atme tief durch. Ich ignoriere Kadirs feixenden Kommentar und konzentriere mich auf das Buch. Ich habe Angst. Ich versuche die Buchstaben vor mir zu Wörtern zu bilden. Seit Niklas durfte mich kein anderer anfassen, weil ich es nicht konnte. Ich hatte zu viel Angst, dass sie mich nur wegen meinem Körper mögen oder um mir wehzutun. Ich habe Angst Bindungen zu schließen. Vorallem mit Jungs.

Luzie betrachtet mich lächelnd. Sie hat mir die Haare zu einem französischem Zopf geflochten. „Du siehst so hübsch aus.", sagt sie und ich lächle zurück. Heute ist Luzies Geburtstag und sie hat darauf bestanden keine Party zu feiern, sondern mit uns essen zu gehen. Heute mit Alex und Kadir im Anhängsel, weil Kadir schon wieder Stress zuhause hat und Alex unbedingt mitwollte. Ich schaue an meinem Kleid herunter. Es ist richtig süß und eigentlich viel zu kalt. Es ist blau und mit unterschiedlichen kleinen Blümchen drauf. Es hat einen verspielten Ausschnitt, der eigentlich viel tiefer geht, als mir lieb ist. Alex und Papa warten schon im Wohnzimmer und lächeln als wir uns zu ihnen setzen. Papa drückt mir einen Kuss auf die Schläfe und sagt, dass ich hübsch aussehe. Ich bedanke mich und lehne meinen Kopf an seine Schulter. Papa ist ziemlich schlaksig. Er trägt seine dunklen Haare mit einem Kurzhaarschnitt, ein paar Härchen sind bereits grau. Er hat, wie ich blaue Augen und dicke Augenbrauen. Ich hab auch dieselbe Nase, wie er. Den Rest hab ich von Mama, behauptet er. Er trägt eine graue Kostümhose und dazu ein blaues Hemd, welches seine Augen betont. Alex hat sich seine braunen Haare nach hinten gekämmt und es sieht nicht mal so schmierig aus. Seine warmen dunklen Augen ruhen liebevoll auf Luzie. Auch er trägt eine Kostümhose, aber in schwarz und ein weißes Hemd. Alex ist klein, aber dafür stark gebaut. „Und alle sagen, wir brauchen lang.", sagt Luzie und wir alle lachen. Im selben Moment geht die Tür zu Lukas Zimmer auf und Kadir und Lukas kommen feixend raus. Lukas drückt seine Mutter fest an sich und murmelt: „Happy Birthday, Momma".

Ich lächle und stehe mit Papa auf. Beide Jungs haben genau wie Alex eine schwarze Kostümhose und ein weißes Hemd an. Ich hake mich bei Papa ein und wir gehen aus der Wohnung. Die anderen schließen sich uns an und wir laufen auf den Parkplatz. Wir müssen mit zwei Autos fahren. Papa fährt mit Kadir, Lukas und mir und Luzie fährt mit Alex mit. Ich sitze auf dem Beifahrersitz und darf über die Musik entscheiden. Also hören wir EDEN, meinen absolutem Lieblingssänger. Ich singe leise mit und bemerke, dann dass ich nicht die einzige bin, die mitsingt. Auch Kadir bewegt seine Lippen mit, Lukas tippt lächelnd auf seinem Handy rum und Papa nickt im Takt. Ich bin total verwirrt darüber, dass Kadir EDEN kennt. Nach einer dreiviertel Stunde parkt Papa das Auto auf dem riesigen Parkplatz und wir steigen aus. Alex Wagen parkt gegenüber von uns und Luzie steigt breit lächelnd aus. Alex grinst und verschränkt ihre Finger miteinander, als er um das Auto geht, nur um neben ihr zu sein.

Wir sitzen in einer etwas abgelegenerer Ecke und quatschen. Unsere Gläser sind alle schon leer, genau wie unsere Teller und ich glaub ich platze gleich. Zum Glück ist das Kleid unter der Brust locker. Kurz ist es still, doch dann räuspert sich Alex und wendet sich an Luzie. „Luzie, wie lang sind wir jetzt schon zusammen? Drei Jahre, oder? Und es fühlt sich immer noch so an, wie am ersten Tag. Bei jeder Sekunde, die ich mit dir verbringe, verliebe ich mich mehr in dich, wenn das überhaupt noch geht.", wir lachen alle. Luzie hat Tränen in den Augen und lächelt Alex so träumerisch an, dass es mir die Kehle zu schnürt. Ich greife nach Lukas Hand und er drückt sie sanft. „Eigentlich wollte ich dir diese Frage privat stellen, heute Abend, aber ich verstehe, dass du deinen Geburtstag mit deiner Familie verbringen möchtest. Du bist so eine starke Frau, dass du schon so jung eine so tolle Mutter sein kannst. Also frage ich dich, möchtest du mit mir den Rest deines Lebens verbringen und mich zu deinem Mann nehmen?", fragt Alex und Luzie rollen die Tränen über ihr hübsches Gesicht. Dann nickt sie und umarmt Alex ganz fest. Lukas streicht mir behutsam über den Handrücken und legt seinen Arm um mich, um mich an sich zu ziehen. Mein Blick begegnet den von Papa, der mich anlächelt und Alex auf den Rücken klopft, um dann seine kleine Schwester fest in die Arme zu nehmen. Ich schlucke den Kloß in meinem Hals runter, der sich gerade bildet. Ich freue mich für Luzie und Alex, aber es tut weh, andere so glücklich zu sehen. Vor einem Jahr hatte ich noch die Gedanken daran verschwendet, dass Niklas und ich für immer zusammen sein werden. Aber dann ist unsere Beziehung zerbröckelt und er hat was mit Leonie angefangen. Ich trauere ihm nicht hinterher, aber ich bin auch nur ein Mensch und sehne mich nach Liebe. Ich will auch jemanden, der mich so ansieht, wie Alex es tut. Ich will auch jemanden, wo ich weiß, dass er mich beschützt und alle anderen Mädchen ihm egal sind. Aber so einen gibt es nicht für mich. Nicht jetzt und vielleicht niemals. Meine Augen fangen an zu brennen, aber ich wische sie schnell weg. Ich will nicht, dass jemand mitbekommt, dass es mir nicht gut geht. Lukas schaut mich mit einem wissenden, aber warmen Lächeln an, bevor er mit mir zu seiner Mutter geht. Sie drückt mir ihre Lippen auf die Schläfe und ich drücke sie fester an mich. „Ich freu mich für euch.", murmle ich leise und Luzie seufzt. „Ich weiß, wie schwer dir das gerade fällt, aber danke.", sagt sie und schiebt mich vorsichtig von sich um mich zu mustern. Sie lächelt mich warm an und lässt mich dann los. Lukas nutzt die Gelegenheit und drückt seine Mutter an sich. Ich umarme Alex und bringe ein „Glückwunsch" raus. Als Lukas fertig ist zieht er mich wieder in seine Arme und tröstet mich. Kadir kommt zu uns und stellt sich neben Lukas, als er den beiden auch gratuliert hat.

Als ich mich wieder beruhigt habe, sitzen wir schon im Auto und fahren nach Hause. Papa hat die ganze Zeit witzige Geschichten erzählt, weil er weiß, wie schwer mir das gerade gefallen ist.

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