10.

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10. Kapitel

Donnerstag, 30. April

Ich sitze im Wohnzimmer, als die Tür aufgeht und Kadir reinkommt. Er zieht sich seine Schuhe aus und setzt sich zu mir auf die Couch. Er atmet tief durch und legt seinen Arm um die Lehne hinter meinem Kopf. Ich verkrampfe mich leicht, mustere ihn aber heimlich aus meinen Augenwinkeln. Er konzentriert sich auf die Serie, die ich gerade gucke und schnaubt. „Sowas guckst du?", fragt er und schaut zu mir. Ich zucke mit meinen Schultern und überspiele, dass ich eingeschüchtert bin. „Manchmal, wenn ich Bock auf Trash TV hab.", sage ich und Kadir nickt. „Stimmt. Manchmal hat man echt das Bedürfnis, so richtigen Müll zu schauen.", stimmt er mir zu. Ich bin verwirrt. Seit wann stimmt Kadir mir zu? „Aber wollen wir lieber was anderes gucken? Lukas meinte letztens, dass ihr X Men schaut, wollen wir das gucken?", fragt er mich und ich ziehe meine Brauen zusammen. „Du musst nichts mit mir gucken.", sage ich verwirrt. „Aber ich will.", gibt er mit der selben Tonlage zurück. Ich gebe ihm die Fernbedienung und stehe auf. „Ich hab aber gerade echt keine Lust mit dir etwas zu schauen, wenn ich weiß, dass du mir morgen wieder weh tun wirst.", sage ich und gehe in Richtung Küchenbereich. „Und was ist, wenn ich dir morgen nicht wehtue?", fragt er und ich schaue ihn mit hochgezogenen Brauen an. „Du tust mir immer weh, ob du es willst oder nicht. Aus dir rutscht immer irgendwie eine Beleidigung raus.", gebe ich zurück und Kadir schaut mich erschrocken an. „Wirke ich wirklich so auf dich? Dass ich dir immer wehtue?", fragt er dann leiser. Ich bin erschrocken und verwirrt. Dachte er wirklich die letzten Tage hätten was geändert? Er konnte es doch nicht lassen mich irgendwie zu ärgern. „Ich will mich ändern, okay? Lukas hat Recht, wir sollten es vielleicht mal mit einer Freundschaft probieren. Ich meine du bist seine Cousine und ich bin sein bester Freund, also müssen wir eh damit klarkommen.", sagt er und ich runzle die Stirn. „Ist dir auf dem Weg hier her ein Stein auf den Kopf gefallen? Oder haben dich Aliens entführt und einen anderen Kadir hierher gebracht?", scherze ich vorsichtig. Kadir lacht. „Nein, Prinzessin, ich habe nur mal nachgedacht.", sagt er und ich mustere ihn kritisch. „Der echte Kadir denkt nicht über sowas nach.", sage ich und er lacht noch mehr. „Wenn du das denkst, dann kennst du den echten Kadir nicht.", sagt er und grinst, ich beobachte ihn stumm. Hab ich ihn wirklich falsch eingeschätzt? „Los, jetzt setz dich zu mir und wir schauen X Men.", sagt er und klopft neben sich auf die Couch. Langsam laufe ich wieder zurück zur Couch, ohne ihn aus den Augen zu lassen, setze ich mich hin. Er hat dieses seltsame Lächeln auf den Lippen, welches mich verwirrt. „Was hast du vor?", frage ich unsicher. Kadir beugt sich zu mir und sagt dann ganz leise: „Ich will dich kennenlernen, Kleines". Ich atme zittrig ein und schaue ihm in seine grünen Augen. Zum ersten Mal erkenne ich, dass er nicht nur grüne Augen hat, da sind auch kleine goldene Sprenkel in seinen Augen. Als ob seine Sommersprossen nicht nur auf seiner Nase sprießen, sondern auch in seinen Augen. Dieses jungenhafte Grinsen entsteht wieder auf seinen breiten, vollen Lippen und lassen mich meinen Atem anhalten. Auch wenn er sich wie der größte Idiot verhält, hat er eine Wirkung auf mich, die ich am liebsten vergessen würde. Er setzt sich wieder aufrecht hin und schaltet um. Die ganze Zeit ist dieses selbstgefällige Grinsen auf seinen Lippen. Ich versuche meine Atmung wieder zu kontrollieren, diesmal ist es keine Panik, die mich überrollt hat. Diesmal ist es was anderes, was mich aus der Fassung gebracht hat. Jemand anderes. Dieser Jemand, steckt jetzt die DVD in die Playstation und stellt den Film ein. „Mein Lieblingsteil.", sagt er, als er meinen Blick mit seinem verschreckt. Er setzt sich wieder zu mir auf die Couch und ich kann mich kaum auf den Film konzentrieren, weil ich einfach viel zu verwirrt bin. Warum hat Kadir so eine Wirkung auf mich? Klar, er ist attraktiv, aber er ist doch Kadir. Der Junge, der mich nicht leiden kann, der seinen Mund nicht halten kann, wenn ihm eine Beleidigung auf der Zunge liegt, der sich gerne prügelt und der kleine Bruder meines Ex Freundes. Aber warum will er plötzlich, dass wir uns besser kennenlernen? Hat er nicht letztens gesagt, dass ich ihm alles zerstöre? Warum sollte sich seine Meinung geändert haben?
„Kannst du bitte aufhören so laut zu denken, da kriegt man ja gar nichts vom Film mit?", fragt Kadir jetzt mit einem so niedlichem Lächeln im Gesicht. Hey, Kadir ist nicht niedlich!

Nach dem Film, bei dem ich wirklich kaum was mitbekommen hab, gehe ich duschen. Aber meine Gedanken bleiben trotzdem bei Kadir hängen. Hat Lukas ihn dazu angestiftet? Oder will er mich einfach noch mehr verletzen? Oder meint er das wirklich ernst und will mit mir befreundet sein? Ich höre Lukas lachen. Er ist zwanzig Minuten vor dem Ende gekommen und hat sich zu uns gesetzt. Er war erstaunt, dass wir im selben Raum waren, ohne uns gegenseitig umzubringen. Kadir hat ihm dann erklärt, dass er über das, worüber sie letztens geredet haben (über was auch immer sie geredet haben, ich war nicht dabei, deswegen weiß ich nicht, worüber Kadir redet) nachgedacht hat.

Ich stelle den Wasserstrahl aus und steige aus der Dusche. Es klopft. „Maia, wann bist du fertig? Ich muss mal.", sagt Lukas und seine Stimme klingt drängend. „Ich bin gleich fertig.", sage ich und trockne mich ab. Man hört einen dumpfen Aufprall und ich grinse. „Wir haben doch noch ein Bad.", erinnere ich ihn und Lukas stöhnt entnervt auf. „Wie soll ich bitte in ein Bad gehen, welches gerade besetzt ist?", fragt er dann und ich ziehe meine Brauen zusammen. „Das Bad ist auch gerade besetzt?", sage ich, aber es hört sich eher an wie eine Frage. „Jetzt mach schon  die Tür auf.", drängt er und ich gehe zur Tür um sie aufzuschließen. Lukas huscht schnell an mir vorbei und scheucht mich raus. Also gehe ich in mein Zimmer und ziehe mir da bequeme Sachen an, bevor ich mich in mein Bett kuschel und lese. Die einzige Methode, um die Verwirrung in meinem Kopf zu vergessen.

What if I trust youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt