Prolog

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Samstag, 23. November
„Maia, mach verdammt nochmal die Tür auf!"
„Nein!", schreie ich zurück. „Du bist so ein Arschloch!", sage ich mit erstickter Stimme, mein Hals fühlt sich trocken an. „Maia, ich wollte nicht, dass du es so erfährst.", sagt er jetzt leise und ich lasse mich an meiner Zimmertür heruntergleiten. Meine Augen brennen und meine Organe fühlen sich an, als ob sie zerquetscht werden würden. Mir tut alles weh und mein Körper zittert. „Hau ab!", sage ich kraftlos in Richtung der Tür, die unsere Körper voneinander trennt. „Ich habe euch vertraut.", sage ich jetzt noch leiser, weiß aber dass er es hören kann. Immer wieder taucht das Bild von meinem Freund und meiner besten Freundin in meinem Kopf auf. Er hat es wahrscheinlich auch heute morgen auf Instagram gesehen und ist sofort hergekommen. Leonie hat sich nicht mal entschuldigt. Sie hat mich ignoriert, als ich ihr das Bild geschickt habe und sie gefragt habe, ob das wahr ist. „Bitte mach die Tür auf.", sagt Niklas jetzt. Ich schüttle den Kopf und schaue mich in meinem Zimmer um. Überall liegen Sachen, auf dem Boden und auf dem Schreibtischstuhl. Auch mein Schreibtisch sieht aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Der Inhalt meiner Federmappe ist auf der Arbeitsfläche verteilt und vereinzelte Blätter, Bücher, Arbeitshefte und Hefter liegen kreuz und quer. Während ich gestern gelernt habe, hat sich mein Freund mit meiner beste Freundin vergnügt. Die Tür wird langsam aufgedrückt und schiebt mich leicht zur Seite.  Ich schaue in blaue Augen. Niklas hockt sich vor mich und nimmt meine Hände in seine. „Ich war so betrunken, Maia. Ich schwöre. Da war überhaupt nichts und wird auch niemals etwas sein.", sagt er und ich glaube ihm fast. Langsam schüttle ich meinen Kopf und ziehe langsam meine kalten Hände aus seinen. Trotz allem liebe ich ihn so sehr.
Meine beste Freundin hat vor ein paar Wochen von einem Jungen geredet, mit dem sie ausgegangen ist. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie Niklas zu mir gesagt hat, dass er am Abend nicht bei mir schlafen kann, weil sein Vater ein wichtiges Abendessen mit ihm geplant hat. Genau der Abend, an dem Leonie auch keine Zeit für mich hatte.

Tränen laufen mir übers Gesicht und Niklas starrt mich entgeistert an. „Du kannst doch jetzt nicht einfach mit mir Schluss machen.", beschwert er sich und ich beiße mir auf die Lippe um meine Tränen zu stoppen. „Geh jetzt bitte.", sage ich leise. Niklas kommt einen Schritt auf mich zu. „Das kannst du mir doch nicht antun!", sagt er jetzt lauter. Wir waren ein halbes Jahr zusammen und haben so viel miteinander geteilt, aber ich kann ihm nicht mehr vertrauen. „Du hast mich betrogen, Niklas.", sage ich mit fester Stimme. Wut, Arroganz und Bitterkeit vermischen sich in seinem Gesicht. Niklas ist viel zu stolz, um das einfach auf sich sitzen zu lassen, das weiß ich. „Du kannst mich nicht nur wegen diesem Bild verlassen. Ich war betrunken.", meine Hand schnellt gegen seine Wange und sein Gesicht fliegt nach rechts. „Wir wissen beide ganz genau, dass du lügst und dass es nicht das erste Mal war. Also geh jetzt, bitte!", sage ich und reiße die Tür auf. „Ich will nichts mehr von dir hören.", sage ich und meine Stimme bricht und endet in einem Schluchzen. Genau im richtigen Moment geht neben meinem Zimmer die Tür auf und mein Cousin kommt heraus. „Hey, Alter! Wie geht's dir?", fragt Lukas und bleibt aber mitten in der Bewegung stehen. „Was ist passiert?", fragt er jetzt an mich gewannt und kommt schnell auf mich zu. Meine Knie geben fast unter mir nach, schnell halte ich mich am Türknauf fest.
„Er hat mit Leonie geschlafen", presse ich lautlos raus. „Das stimmt doch gar nicht. Das war nur ein Kuss!", verteidigt sich Niklas. „Hau ab!", brüllt jetzt mein Cousin, nichts mehr ist von dem netten, breit grinsendem Jungen zusehen, der gerade aufgetaucht ist. Dann ist Niklas weg und Lukas zieht mich in eine Umarmung. Ich bin komplett aufgelöst. Meine Tränen fließen und fließen, als ob sie so schnell wie möglich weg von mir wollten.
Wir stehen da, gefühlte Stunden, aber es tut mir gut, dass Lukas so für mich da ist.

Montag, 01. Dezember
„Und wisst ihr was er mir gegeben hat?", fragt Leonie am Montag zu den Zicken unserer Klasse. Es tut weh, sie so glücklich zusehen. Manchmal wirft sie mir schuldbewusste Blicke zu, setzt dann aber immer wieder ihr strahlendes Lächeln auf. Ich atme zittrig aus und packe meine Sachen aus. Bald sind Ferien und ich kann mich in meinem Zimmer verkriechen, lesen und Serien schauen so viel ich will. Ich gehe noch mal meine Mitschriften durch und versuche mich auf den Test vorzubereiten, den wir gleich schreiben.

Nach der Schule laufe ich durch mein Lieblingsviertel und versuche nicht zu weinen. Nicht, dass ich nur meinen Freund verloren hatte und meine beste Freundin. Nein, ich habe in dem Test gar nichts mehr gewusst, was ich am Wochenende versucht hab zu lernen. Ohne es zu merken, laufen mir die Tränen über die Wange und ich schluchze. Mein Schluchzen schallt durch die ganze Straße, auf der bis jetzt keiner ist. Erst als ich die nächste Straße einbiege schaut mich eine alte Frau erschrocken an, aber ich gehe mit gesenktem Blick zügig an ihr vorbei und erreiche endlich unseren Wohnblock. Das graue viereckige Monster erstreckt sich vor mir und ich ziehe meinen Schlüssel aus meiner dicken Daunenjacke. Wir wohnen in einem der „neuen" Wohnblöcke, am Ende der Stadt. Als ich im Treppenhaus ankomme und auf den Fahrstuhlknopf drücke wische ich mir meine Tränen aus dem Gesicht. Noch vier Tage und dann ist Wochenende, erinnere ich mich selbst, um mich aufzumuntern, aber das klappt nicht und ich bin noch frustrierter als vorher. Heute war kein schöner Start in die Woche. Kadir, der Bruder von Niklas, musste seinen Sitznachbarn so sehr ärgern, dass er jetzt neben mir sitzt. Ich hasse Kadir und das beruht auf Gegenseitigkeit, seit dem wir uns kennengelernt haben. Außerdem es macht es nicht besser, dass wegen mir jetzt die Gruppe von Lukas, Niklas und ihm nicht mehr existiert.

Seufzend lasse ich meinen Rucksack mitten im Wohnzimmer fallen und schmeiße meine Jacke auf die Couch. „Hey, mein Engel. Wie geht es dir?", fragt Luzie, nachdem sie aus dem Küchenbereich gekommen ist. Als sie mich sieht, macht sie große Augen, zieht mich dann aber in ihre Arme. „Es wird besser, das versprech ich dir.", flüstert sie mir zu und reibt meinen Rücken. „Ich hab dir Nudeln gemacht. So, ich treff mich gleich mit Alex, Essen ist im Kühlschrank.", gibt sie mir Bescheid und  drückt mir einen Kuss auf die Stirn. Plötzlich betrachtet sie  kritisch meine Jacke. „Ich weiß, dir geht es gerade nicht gut, aber bitte hänge deine Jacke auf. Wir haben nicht umsonst einen Haken.", sagt sie dann streng und verschwindet wieder im Küchenbereich. Luzie ist die Schwester meines Vaters und hat die Mutterrolle im Haushalt übernommen, seit dem ich denken kann. Über meine Mutter wird nie gesprochen. Sie ist vor mehreren Jahren nach Australien durchgebrannt und macht sich dort ein schöneres Leben. Um ehrlich zu sein, will ich auch mehr von ihr auch nicht wissen.

What if I trust youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt