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28. Kapitel

Donnerstag, 11. Juni
Meine Augen liegen auf dem Arbeitsblatt. Wiederholung der letzten Lektion in Französisch. Ich höre Leonies und Julis Gekicher vor mir und wünsche mich ganz weit weg von den beiden. Oder in den Lateinkurs, aber da ist Kadir und den will ich erst recht nicht sehen. Er ignoriert mich seit unserem Gespräch und verbringt jetzt offensichtlicher mehr Zeit mit Juli. Das tut weh, aber ich versuche den Schmerz zu ignorieren.
Es klingelt und ich gebe zufrieden das Blatt ab, welches ich eigentlich ganz gut gelöst habe. Juli geht vor mir raus und dann sehe ich, wie Kadir vor der Tür auf sie wartet. Er sagt was zu ihr und grinst. Unsere Blicke treffen sich und ich schlucke den Kloß runter, der sich in meinem Hals bildet. Meine Augen werden feucht, aber ich weine nicht. Meine Tränen sind alle. Dafür habe ich in letzter Zeit genug geweint. Alles erinnert mich zuhause an ihn. Vorallem Lukas, der immer wieder fragt, was denn passiert ist, aber ich ignoriere seine Fragen. Alles riecht nach ihm, mein Bett, die Couch und Lukas Zimmer, weil er so oft bei ihm ist. Ich mustere ihn, weil er es auch tut. Und weil ich mich nicht von ihm abwenden kann. Er trägt heute, trotz des kalten Wetters, ein schwarzes T-Shirt mit Guns'n'Roses Motiv drauf. Seine Haare sind verwuschelt und hängen ihm ins Gesicht. Unter seinen grünen Augen liegen schwarze Schatten, was mich vermuten lässt, dass er genauso wenig geschlafen hat wie ich. Aber ich habe kein Mitleid mit ihm. Ich bin nur sauer auf ihn, weil er nicht ein Mal zu mir gegangen ist, um sich zu entschuldigen oder zu fragen, ob wir es noch einmal probieren wollen. Ich gehe an ihm vorbei, ohne ihn anzusehen und remple ihn an. „Was hat die denn für ein Problem?", höre ich noch Juli spöttisch fragen, aber dann verschwinde ich schon nach draußen.

In Mathe ist es heute besonders schwer, vorallem, weil Kadir mich ständig irgendwie berührt. Meine Reaktion ist wirklich kindisch, weil ich jedes Mal zurückzucke, als hätte ich mich verbrannt. Als es klingelt versuche ich so schnell, wie möglich vor Kadir zu flüchten. Doch leider läuft er heute auch zur Bushaltestelle, die ich heute mal nutzen wollte, da ich extrem müde bin und mich schlapp fühle. Ich setze meine Kopfhörer auf und höre laut Musik, so dass ich noch was höre. Als ich fast da bin, sehe ich, wie der Bus losfährt. Ich fluche und setze mich auf die Bank. Kadir stellt sich vor mich und ich schaue zu ihm hoch. „Maia.", sagt er und ich mache die Musik noch lauter, so dass ich nichts mehr höre, was er sagt. „Du bist so kindisch.", formen seine Lippen, die mir meinen Untergang erklärt haben und meine Lebensretter waren. Ich zucke mit den Schulten und schenke ihm meinen emotionslosesten Blick, den ich gerade zu Stande bringe. Er verengt sie und ich warte ab. Er formt wieder was mit seinen Lippen, aber diesmal will ich es nicht verstehen. Ich kriege eine Nachricht, als er sein Handy wieder wegsteckt. „Wir müssen reden.", steht darin. Ich blockiere ihn und stecke mein Handy wieder weg. Verzweifelt fährt er sich durch die Haare und mahlt mit seinem Kiefermuskeln, als er merkt, dass ich ihm nicht antworte. Fasziniert von ihm, schaue ich ihm zu, wie er gegen die Metallplatte vom Bushaltehäuschen schlägt. Ich merke, wie es mir Spaß macht ihn zu provozieren. Er schaut zu mir und beobachtet mich stumm bis der Bus kommt. Ich zeige dem Busfahrer meine Karte und gehe nach ganz hinten. Dicht gefolgt von Kadir, der sich dann neben mich auf den Stuhl fallen lässt. „Du nervst.", sage ich, als ich meine Kopfhörer abnehme, Kadir sieht aus, als würde er gleich vor Freude platzen. „Es tut mir leid, Maia. Aber wenn du mir die ganze Zeit aus dem Weg gehst, muss ich so aufdringlich sein.", sagt er und seine Stimme klingt brüchig. Ich könnte ihn küssen oder schlagen oder beides gleichzeitig. Er hat mich so dolle verletzt, aber das verändert nicht meine Gefühle zu ihm. Seine grünen Augen schauen in meine und ich habe das Gefühl er saugt mich mit seinem Blick in sich auf. „Ich hätte gleich zu dir gehen sollen und mich nicht bei Juli ausheulen dürfen und das tut mir leid.", sagt er und ich presse meine Lippen zusammen. „Und trotzdem hast du es getan.", sage ich leise und schaue an ihm vorbei durch das gegenüberliegende Fenster. „Juli ist nur eine Freundin für mich. Sie wird nie mehr sein, wann verstehst du das endlich?", sagt er jetzt hitziger und ich schaue wieder in sein Gesicht. Ich ziehe meine Brauen hoch und mustere ihn. „Es hat sich aber nach viel mehr angefühlt, was da zwischen euch läuft.", sage ich leise. „Du machst es einem nicht leicht sich zu entschuldigen.", sagt er und sieht auf einmal richtig müde aus. „Weil es sich nicht so anfühlt, wie du es sagst.", sage ich und er beißt sich auf die Lippe. „Verdammt, Maia. Ich vermisse es dich zu berühren, dich zu küssen und mit dir normal zu reden. Ich brauche dich dafür, dieses Bedürfnis zu stillen, nicht Juli. Aber ich kann das nicht, wenn du mir nicht vertraust.", sagt er jetzt leise. „Ich kann dir aber nicht vertrauen, wenn ich schon mal so verletzt worden bin und sie einfach in so viel besser ist als ich.", sage ich lauter und Kadir verdreht die Augen. „Ich will aber nicht Juli, sondern dich!", knurrt er und beugt sich zu mir. „Komisch nur, dass du mit Juli mehr Zeit verbringst, als mit mir.", sage ich und er lehnt sich weiter zu mir runter. „Juli und ich haben uns tatsächlich einfach nur viel zu erzählen.", sagt er leise und sein Blick wandert nach unten zu meinen Lippen. „Ich muss raus.", flüstere ich und stehe mit einem Schwung auf. Kadir mustert mich verwirrt, macht mir aber trotzdem Platz, als ich aussteigen will. Ich bin so verwirrt über meine Gefühle und bekomme gar nicht richtig mit, wie ich die letzte Haltestelle laufe. Ich bin wütend auf Kadir, weil er so viel in mir auslöst und sich trotzdem mit Juli weiter trifft.

Zuhause kuschle ich mich neben Lukas, der auf seinem Bett liegt und schläft. Nebenbei läuft leise Avangers. Lukas grummelt und legt seinen Arm um mich, als ich mich neben ihn lege und lasse meine Tränen laufen, bevor ich einschlafe.

What if I trust youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt