22. Kapitel
Sonntag, 17. Mai
Als ich wach werde, liege ich in meinem Bett. Mein Blick fällt auf die Fotowand. Auf ihr befinden sich Bilder von mir, Familienfotos und Bilder mit Lukas und Olivia. Niklas und Leonies Fotos haben Lukas und ich aussortiert. Ich atme tief durch und setze mich auf. Meine Gedanken schweifen von der Erinnerung als Lukas und ich die Sachen aussortiert haben zu Kadir und unserem Kuss. Ich habe keine Ahnung, wie ich mich jetzt verhalten soll. Machen wir jetzt normal weiter, als wäre nichts passiert? Ich verdränge meine Zweifel und ziehe mich an. Warum sollte sich jetzt etwas wegen einem Kuss ändern?
Als ich zu den anderen ins Wohnzimmer gehe, werde ich von dem leckeren Geruch von Pfannkuchen begrüßt. Die Jungs sitzen auf der Couch und schauen beide in ihr Handy. Ich verdrehe die Augen und setze mich an die Kücheninsel und beobachte Papa, wie er die Pfannkuchen wirft und mit der Pfanne wieder auffängt. Neben mir steht ein Teller mit einem Turm von perfekten Pfannkuchen. „Hast du gut geschlafen, Prinzessin?", fragt Papa und legt den Pfannkuchen auf den Turm. Ich nicke und lasse mich von Hocker gleiten, um Papa zu umarmen. Er erwidert meine Umarmung und drückt mir einen Kuss auf die Haare. „Hab dich lieb.", nuschle ich und klammere mich an ihn. „Ich dich auch.", erwidert er und löst meine Arme von seinem Körper. Er legt den Kopf schräg und mustert mich. Ich tue es ihm gleich und entdecke Augenringe unter seinen Augen und presse die Lippen zusammen. „Du arbeitest zu viel.", sage ich und er seufzt. „Ich versuche so gut wie möglich ein guter Chef zu sein und ein guter Vater gleichzeitig. Aber zurzeit ist es eher die Arbeit, die meine Aufmerksamkeit für sich beansprucht. Tut mir leid, Prinzessin.", sagt er und lächelt traurig. Dann räuspert er sich und wischt sich über die Stirn, während er sich von mir abwendet. Er will es nicht zu geben, aber es ist immer der Mai, wo er besonders viel arbeitet. Und ich denke, es liegt an meiner Mutter. Vielleicht ist es die Zeit gewesen, wo sie ihn verlassen hat und deshalb ist er traurig. „Hilfst du mir beim Tisch decken?", fragt er und ich nicke. Zusammen decken wir die Kücheninsel, weil wir keinen Esstisch haben. Keiner sagt etwas. Die Luft zwischen uns besteht aus unausgesprochenen Dingen, aber keiner lässt die Worte über die Zunge gleiten. Ich stelle Zimt und Zucker auf den Tisch, während Papa den Schokoaufstrich hinstellt. Lukas und Kadir kommen in die Küche geschlendert und setzen sich auf die Hocker. Ich spüre Kadirs Blick auf mir, ignoriere ihn aber.Vorsichtig streicht ein Finger über meine Hand und mein Blick zuckt zu Kadir, der jetzt unsere kleinen Finger miteinander verschränkt und grinst. Mein Blick huscht zu den anderen, die aber mit ihrem Essen beschäftigt sind. Luzie redet von den Hochzeitsplänen und Papa zieht seine Brauen zusammen und mustert seine kleine Schwester. Luzie plant die kitschigste Hochzeit, die es gibt. Aber ich verstehe nur die Hälfte, weil meine Gedanken, wie von allein zu Kadir wandern und jede Berührung intensiv wahrnehme. Sein Knie lehnt an meinem und sein Daumen streicht sanft über meine Hand. Ich vergesse die Panik und die Trauer, die ich eigentlich spüren sollte. Da Kadir mich mit seinen Berührungen von der Tatsache ablenkt, dass ich verletzt und betrogen worden bin.
Ich atme tief durch und konzentriere mich auf die Aufgabe vor mir. Bad putzen. Ich seufze und mache die Musik etwas lauter, damit ich einen kleinen Lichtblick habe. Die Jungs sind zum Training gegangen und Luzie trifft sich mit Freunden. Nur Papa sitzt bei sich am Schreibtisch und erledigt irgendeinen Papierkram. Ich summe leise mit und dann ist das Bad auch schon sauber. Ich seufze und laufe in mein Zimmer. Dort lege ich mich auf mein Bett und wähle Olivias Nummer.
„Hey, alles okay? Muss ich wen umbringen?", sagt sie, als sie abnimmt und ich lache. „Haben wir heute einen Kasper gefrühstückt?", frage ich und Olivia kichert. „Nein, aber ich war gerade bei Feli, und da kann man nur gute Laune haben.", sagt sie und ich lächle. „Das freut mich.", sage ich und drehe mich auf den Rücken, um die Decke anzustarren. „Ich hab Kadir geküsst.", die Worte fließen nur über meine Lippen, ohne darüber nachzudenken. „Und? Wie hat es sich angefühlt? Bereust du es?", fragt sie und man hört ihr Lächeln. „Es war so komisch. Erst hab ich ihn abgewiesen, aber dann hat er gesagt, dass er immer auf mich warten wird und das war so süß, dass ich ihn einfach geküsst hab. Es war so toll und heute Morgen beim Frühstück hat er mich die ganze Zeit unauffällig berührt. Unsere Finger waren die ganze Zeit verschränkt.", sage ich und lächle. „Ich freu' mich so für dich.", sagt Olivia und es klingt ehrlich. „Und wie läuft es mit Feli? Wann darf ich sie endlich mal kennenlernen?", frage ich und spiele mit dem Saum meines T-Shirts. „Könnte nicht besser sein. Ich hab ja heute bei ihr geschlafen und es war so toll. Wir haben die ganze Zeit gekuschelt und Filme geschaut. Sowas wünscht sich doch jeder. Und du darfst sie bald kennenlernen, versprochen.", erzählt sie und ich lächle. „Das will ich hoffen.", sage ich und dann reden wir noch über andere Dinge. Über das Gespräch zwischen Leonie und mir und über ihre Oma, dass sie jetzt manchmal Dinge vergisst. Olivia hat Angst ihre Oma zu verlieren, sie ist wie eine Mutter für sie. Ich knabbere an meiner Lippe herum, während sie von dem Wochenende erzählt und freue mich so für Olivia.„Darf ich?", fragt Kadir, als ich nach dem Telefonat mit Olivia auf meinem Bett liege und über alles nachdenke. Ich schaue ihn an und rücke zur Seite, damit er Platz neben mir findet. Seine Haare sind nass und er riecht nach Männershampoo. Er legt sich neben mich mit Abstand, nur unsere Fingerspitzen berühren sich. Ich gebe ihm einen Stöpsel meiner Kopfhörer und zusammen starren wir die Decke an und verschwinden in unseren Gedanken. Es fühlt sich so gut an neben ihm zu liegen und über Dinge nachzudenken. Ich fühle mich befreit. Ich greife nach seiner Hand und verschränke unsere Finger ineinander. Ich spüre, wie er mich anschaut und ich schaue zurück. Er lächelt leicht und beißt sich auf die Lippe. Ich grinse und benetze meine Lippen meiner Zunge. Dann schauen wir beide grinsend wieder zur Decke und bleiben stumm, obwohl unsere Gedanken so laut sind, als würden wir sie schreien.

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What if I trust you
Teen FictionMaias Welt ist zerstört, als sie am Morgen über eine Instagram Story erfährt, dass ihr Freund Niklas sie mit ihrer besten Freundin Leonie betrügt. Sie beschließt niemandem mehr zu vertrauen und an sich heranzulassen. Nur Kadir, der Bruder von Niklas...