-ONE-

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Ivory

Der San Francisco International Airport war riesig. Umso glücklicher war ich darüber, dass ich mich bis jetzt noch nicht verlaufen hatte. Das lag jedoch auch nur daran, dass ich einfach den anderen Leuten meines Fluges gefolgt war. Nach guten sieben Stunden Flug war ich froh endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Ich mochte fliegen, jedoch flog ich normalerweise auch mit Freunden oder Familie. Alleine zu fliegen war, wie ich jetzt festgestellt hatte, nicht mein Ding. Ich brauchte jemanden, mit dem ich während des Fluges sprechen konnte. Jemanden, der mich kannte. Um mich herum wuselten haufenweise Leute an der Gepäckausgabe. Mich hätte es nicht einmal gewundert, wenn ich einen Koffer abbekommen hätte, so hysterisch waren die Menschen um mich herum. Ich fand eine Stelle am Gepäckband, wo nicht so viel los war. Dort wartete ich auf meine Koffer. Es dauerte ganze zwanzig Minuten, bis alle meine vier Koffer da waren. Vier Koffer und ein großer Rucksack. Ja, das hörte sich im ersten Moment viel an, doch in diesen 4 Koffern befand sich alles, was ich aus der Vergangenheit mitnehmen wollte. Hauptsachlich waren das Klamotten. Eigentlich waren es nur Klamotten. In meinem Rucksack befand sich mein Laptop und anderes Technikzeug. Ich schnappte mir meine Koffer und machte mich auf den Weg zum Ausgang des Flughafens. Spätestens nach der Hälfte der Strecke bereute ich es, dass ich mir keinen Gepäckwagen für meine Koffer genommen hatte. Vier Koffer auf einmal zu schieben, war anstrengender als ich erwartet hatte. Im Ausgangsbereich des Flughafens angekommen, hielt ich Ausschau nach dem hellbraunen Haarschopf meines Bruders. Ich brauchte nicht lange, um ihn zu finden. Immerhin war mein Bruder Ashton stolze 1,92m groß und hob sich somit meistens automatisch von der Masse ab. „Ivy", rief mein Bruder, als er mich entdeckte. „Ash!" Sobald ich bei ihm angekommen war, zog Ashton mich in eine feste Umarmung. Sofort fühlte ich mich ein Stückchen zu Hause. „Wie war dein Flug?", fragte er mich neugierig, als wir uns aus der Umarmung lösten. „Er war ganz ok. Jedenfalls weiß ich jetzt, dass alleine fliegen nicht so mein Ding ist", antwortete ich ihm ehrlich. „Lass mich raten, das liegt daran, dass du dann niemanden hast mit dem du reden kannst?" „Ja, genau das ist das Problem." Ashton lachte, dabei griff er nach zwei meiner Koffer. „Bereit dein neues zu Hause kennenzulernen?", wollte er von mir wissen, während wir das Terminal verließen und hinaus zum Parkplatz liefen, wo sein Auto stand. „Ich bin absolut bereit." Das war ich schon seit ich in Boston in das Flugzeug nach San Francisco gestiegen war. An seinem Auto angekommen, verstauten wir meine Koffer im Kofferraum und mein Rucksack landete auf der Rückbank, bevor ich mich auf den Beifahrersitz setzte, während mein Bruder sich hinters Steuer setzte.

„Ich hatte dir gesagt, dass du einen Mitbewohner haben wirst, oder?" „Ja, du hast es mehr als nur einmal erwähnt. Nur hast du mir nicht gesagt, wer mein Mitbewohner ist." Ashton zog mit seiner Freundin Hope zusammen, somit wurde sein WG-Zimmer für mich frei. Ich war mehr als froh darüber, denn somit musste ich mir nicht erst noch ein WG-Zimmer suchen, oder mich um ein Wohnheimzimmer bemühen. „Dein Mitbewohner ist mein bester Freund Keith. Ich glaube ihr werdet euch gut verstehen", sagte Ash zu mir. „Spielt er auch Football?", wollte ich wisse. Mein Bruder spielte College Football und er hatte beste Chancen auf eine erfolgreiche Karriere in der NFL. Wenn man den Experten glaubte, dann war mein Bruder der beste Quaterback seines College-Jahrgangs. „Ja, Keith spielt als Tight End im Team." In meinem Kopf begann es zu rattern. Keith, der Name kam mir bekannt vor. Mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit hatte ich Keith schonmal auf einem Bild auf Ashtons Instagram-Account gesehen oder auf einem der vielen Bilder, die er mir immer über WhatsApp schickte. „Und für Keith ist es okay mit mir in einer WG zu wohnen?", hakte ich nach. „Ja, es ist für ihn okay." Eine kleine Last fiel von meinen Schultern ab, denn das letzte was ich wollte, war es in einer WG mit jemandem zu wohnen, der mich gar nicht in seiner WG wollte. „Gibt es neben Keith noch weitere Mitbewohner?" „Nein, aber in der Nähe von der Wohnung wohnen Ace, Cooper und Nolan in einer WG. Stell dich also darauf ein, dass die Jungs viel bei euch in der Wohnung sein werden, so war das zumindest bisher. Cooper fängt genau wie du sein Studium an und soweit ich weiß studiert er auch Journalismus. Ace ist Coopers großer Bruder und ist genauso wie Keith und ich im dritten Studienjahr. Nolan ist jetzt im zweiten Jahr", erzählte Ash mir. Das waren sehr viele Informationen, die ich alle erst einmal verarbeiten musste. „Du wirst dich mit den Jungs gut verstehen", versicherte er mir. „Zur Not vereinige ich mich mit Hope", sagte ich grinsend zu meinem Bruder. Hope und mein Bruder hatten sich direkt am Anfang seines Studiums kennengelernt und waren daraufhin schnell zusammengekommen. Zwar hatte ich Hope noch nicht persönlich kennengelernt, jedoch war sie ein paar Mal dabei gewesen, wenn Ashton und ich per Facetime telefoniert hatten und dabei hatten Hope und ich uns prima verstanden. „Hope freut sich dich endlich persönlich kennenzulernen." „Ich freue mich auch sie endlich kennenzulernen." „Morgen Abend treffen wir uns alle bei Hope und mir. Ich dachte mir es wäre für dich vielleicht gut, wenn du kommst. Dann kannst du alle schonmal kennenlernen. Also alle von denen ich dir bis jetzt erzählt habe. Immerhin dauert es noch, bis das Semester anfängt." Es dauerte noch etwas mehr als einen Monat, bis das Semester anfing. Ich hatte mich jedoch sehr bewusst dafür entschieden schon früh vor Semesterbeginn herzuziehen. Ich wollte genug Zeit haben, um mich einzuleben, bevor ich mein Studium anfing. Außerdem wollte ich so schnell wie möglich weg aus Boston.

„Hast du vor deinem Abflug nochmal mit Dad gesprochen?", fragte Ashton mich. „Ja. Dad hat mich zum Flughafen gefahren." Unsere Eltern hatten sich getrennt, als ich zehn und Ashton zwölf Jahre alt war. Zwar sind wir bei Mum großgeworden, trotzdem haben wir beide eine bessere Bindung zu unserem Vater, als zu unserer Mutter. Das liegt wahrscheinlich vor allem daran, dass Mum uns unser Leben die meiste Zeit zur Hölle gemacht hat. Da war jede Minute, die wir bei Dad waren purer Urlaub. „Er hat mir gesagt, dass er mir jeden Monat so viel Geld überweist, dass ich mich auf mein Studium konzentrieren kann und nicht nebenbei arbeiten muss." Dad hatte vor ein paar Jahren die Firma von seinem Vater übernommen. Die Firma brachte so viel Geld, dass es auf Dads Konto nicht einmal wirklich sichtbar war, wenn er mir jeden Monat einen Haufen an Geld überwies. Ich hatte ihn nicht darum gebeten mir jeden Monat Geld zu überweisen. Er hatte fest darauf bestanden, mir jeden Monat Geld zu überweisen. Ich war klug genug, um gar nicht erst eine Diskussion mit ihm darüber anzufangen, ob ich das Geld wollte oder nicht, denn Dad hätte sowieso nicht nachgegeben. Ich wusste, dass er auch jeden Monat einen Haufen Geld an Ashton überwies, da war es meinem Vater auch komplett egal, dass Ash ein Stipendium hatte. Er bestand vehement darauf uns dieses Geld jeden Monat zu überweisen. „Ich habe von Dad auch ehrlichgesagt nichts anderes erwartete", sagte mein Großerbruder schulterzuckend. „Ich glaube Mum ist sauer auf mich, weil ich ausgezogen bin ohne ihr zusagen, wohin ich ziehe", seufzte ich. „Ivy, es war das einzig richtige ihr nicht zu sagen, wohin du ziehst. Du weißt genau wie unberechenbar sie ist", sprach mein Bruder mir gut zu. Und verdammt, er hatte Recht. Wenn Mum wissen würde, wo ich studiere, dann würde sie es überall herumerzählen und das war genau was ich vermeiden wollte. Ivory Ravenhill sollte einfach weg sein und niemand in Boston, außer mein Vater, sollte wissen, wo ich war. Ich seufzte und dann kehrte Ruhe im Auto ein, während wir durch die Straßen von San Francisco fuhren. 

Strong SideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt