-ELEVEN-

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Ivory

Zwei Tage später war die Stimmung in unserer WG komisch. Keith lag schon den ganzen Tag auf der Couch und schaute einen Film nach dem anderen, während ich in meinem Zimmer saß und mit meinen Gedanken schon wieder bei meiner Mutter war. Die letzten zwei Tage hatte ich nicht mehr an sie gedacht, weil Keith und ich zwei Tage lang nur auf der Couch gelegen, gezockt und Filme geschaut hatten, was zugegebenermaßen extrem viel Spaß gemacht hatte. Ich hatte jede Minute, die wir dort gelegen hatten, genossen, vor allem die in denen ich an Keith gekuschelt gewesen war und die in denen er mich getröstet hatte, weil ich wegen eines Filmes geweint hatte. Kurzgesagt hatten wir in den letzten zwei Tagen viel Zeit miteinander verbracht und uns dabei sehr gut verstanden. Doch heute war die Stimmung komisch. Was bei mir daran lag, dass ich zu viel an meine Mutter dachte, doch ich wusste nicht, woran es bei Keith lag. Eigentlich hätte er heute Morgen Training gehabt, doch er war nicht hingegangen. Dass er Training hatte, wusste ich nur, weil Ash mich angerufen hatte und gefragt hatte, ob mit Keith alles okay war. Als ich ihm sagte, dass Keith den ganzen Morgen schon demotiviert auf der Couch saß, hatte mein Bruder anscheinend die Antwort, die er brauchte, um zu verstehen, was bei seinem besten Freund los war. Trotzdem machte ich mir Sorgen um Keith, denn im Vergleich zu meinem Bruder wusste ich nicht, was mit ihm los war. Mittlerweile war es Spätnachmittag und Keith lag noch immer auf der Couch. „Alles gut bei dir?", wollte ich von ihm wissen, als ich mein Zimmer verließ, um ins Bad zu gehen, da ich duschen wollte. Er antwortete nicht. Entweder war er so sehr in seine Gedanken vertieft, oder er ignorierte mich bewusst. „Keith? Alles gut bei dir?", wiederholte ich meine Frage. „Ja, verzieh dich einfach, Ivory", gab er schroff zurück, bevor er seinen Blick von mir wieder auf den Fernseher wendete. Die Tatsache, dass er so abweisend zu mir war verletzte mich, mehr als sie sollte, vor allem wenn ich darüber nachdachte, dass wir gestern noch lachend hier gemeinsam auf der Couch gelegen hatten. Ohne noch etwas zu sagen, ging ich ins Badezimmer. Ich schälte mich aus meinen Klamotten und stieg unter die Dusche. Kurze Zeit später verließ ich frischgeduscht in frischen Klamotten das Badezimmer und machte mich auf den Weg zurück in mein Zimmer. Ich warf einen kurzen Blick ins Wohnzimmer und stellte fest, dass der Fernseher aus war und Keith nicht mehr auf der Couch lag.

Erschrocken zuckte ich zusammen, als ich mein Zimmer betrat und Keith auf meinem Bett sitzen sah. Ich war davon ausgegangen, dass er in sein Zimmer gegangen war, nicht in meins. „Ich wollte eben nicht so schroff zu dir sein, tut mir leid", sagte er zu mir. „Schon okay", antwortete ich ihm. Ich setzte mich ans Kopfende meines Bettes. „Heute ist kein leichter Tag für mich. Normalerweise war Ash die letzten Jahre an diesem Tagen für mich da. Er hat momentan so viel um die Ohren, ich glaube er hat vergessen, was heute ist", erklärte er mir. „Soll ich ihn anrufen?", wollte ich von Keith wissen. Wenn ich Ash anrufen würde, dann wäre er innerhalb von Minuten hier, das war mir bewusst. „Nein. Ich kann nicht auf Ewig auf Ash angewiesen sein an diesem Tag." Ich schwieg, denn ich wusste nicht so richtig, was ich sagen sollte. Natürlich wollte ich wissen, was ihn so bedrückte, jedoch konnte und wollte ich ihn nicht dazu zwingen es mir zu erzählen. „Heute ist der Todestag meiner Eltern", sagte Keith plötzlich. Überrascht hob ich meinen Kopf an und schaute ihn an. Ich hatte mit vielem gerechnet, wieso es ihm nicht gutging, jedoch nicht mit so etwas. „Ich war gerade am Anfang von meinem letzten High School Jahr. Meine Mum hatte Geburtstag und Dad und sie wollten gemeinsam Essen gehen. Ich konnte nicht mit, weil ich ein Footballspiel hatte. Dad hatte für Mums Geburtstag extra ein Restaurant reserviert, was ein bisschen weg war, jedoch ihr absolutes Lieblingsrestaurant war. Auf dem Rückweg ist ihr Auto von einem LKW gerammt worden. Sie haben sich ein paar Mal überschlagen und sind dann in die Leitplanke geknallt. Dad war sofort Tod. Mum ist auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben", erzählte er mir. Es gab selten Momente, in denen mir die Worte fehlten, doch jetzt gerade war genau so ein Moment. „Mein Dad hat auch Football am College gespielt. Er kam ursprünglich aus San Francisco, ist hier großgeworden und hat hier am College studiert und gespielt. Mum ist ursprünglich aus Detroit. Sie haben sich hier am College kennengelernt und sind nach ihrem Abschluss zurück ins Mums Heimat gezogen. Ich hatte Angebote für Stipendien von vielen Colleges, im Endeffekt habe ich mich für San Francisco entschieden, weil mein Dad hier gespielt hat und ich wusste, dass er sich immer gewünscht hatte, dass ich eines Tages auch hier spiele", fügte er hinzu. „Keith, ich-", fing ich meinen Satz an, jedoch wusste ich nicht wirklich, was ich sagen sollte. „Du musst nichts sagen, Ivy. Außerdem bin ich noch nicht fertig mit dem Erzählen", sagte er, bevor er eine kurze Pause machte. „Am ersten Todestag von meinen Eltern war ich gerade frisch hier auf dem College. Wir hatten an dem Tag unser erstes Training der Saison. Nachdem alle anderen Jungs weg waren, bin ich in der Kabine zusammengebrochen. Naja, ich dachte, dass alle weg waren. Ash war noch da. Ich habe ihm die komplette Geschichte erzählt, jedes Detail. Er saß einfach nur neben mir und hat mir zugehört. So wie du gerade. Nachdem ich ihm alles erzählt hatte, hat er mich einfach angeschaut und mir erzählt, dass er sich eine Wohnung gemietet hat und, dass ein Zimmer noch frei ist. Zu der Zeit habe ich noch bei meinem Cousin hier in San Francisco gewohnt, das hatte ich Ashton anscheinend irgendwann in meinem Monolog erzählt und er hat mich ohne zu zögern gefragt, ob ich das Zimmer haben möchte. In den letzten Jahren war er jedes Mal für mich da, wenn es mir schlecht ging. Ich kann nicht ausdrücken, wie dankbar ich deinem Bruder dafür bin." Wieder schwieg ich, denn ich wusste wirklich nicht, was ich Großartiges sagen sollte. Ich konnte mir nur ausmalen, wie Keith sich gerade fühlte. Also machte ich das Einzige, was sich in diesem Moment richtig anfühlte. Ich krabbelte über mein Bett zu Keith und zog ihn in meine Arme. Es dauert etwas, bis er meine Umarmung erwiderte, doch sobald er sie erwiderte, zog er mich fest an sich und ließ mich einige Zeit lang nicht mehr los. Wir hielten uns solange in den Armen, bis es an der Tür klingelte und wir somit wohl oder übel gezwungen wurden, uns aus der Umarmung zu lösen. „Ich gehe schon", sagte ich zu Keith, während ich von meinem Bett aufstand, um die Tür zu öffnen.

Vor der Wohnungstür stand Ash, der mehr als gestresst aussah. „Hi", begrüßte ich meinen großen Bruder, sobald ich ihm die Tür geöffnet hatte. „Hi, ist Keith da?", wollte Ash von mir wissen, dabei entging mir nicht, dass er einen leicht panischen Unterton in der Stimme hatte. „Ja, und mir geht es gut, Ashton", sagte Keith, der in diesem Moment aus meinem Zimmer kam. „Sorry, ich wollte schon früher hier sein, aber ich musste noch was mit Hope klären", erklärte mein Bruder seinem besten Freund. „Ashton, alles ist gut", beruhigte Keith meinen noch immer leicht panischen Bruder. „Sicher?", hakte Ash nach. Während die Jungs ins Wohnzimmer gingen, blieb ich unschlüssig darüber, was ich machen sollte, im Flur stehen. „Sicher, Ash. Es ist wirklich alles gut", versicherte Keith erneut seinem besten Freund. Ashton ließ sich auf die Couch fallen, während Keith mich anschaute. „Wie lange willst du noch im Flur stehen, Ivy? Komm her", sagte er grinsend zu mir. 

Strong SideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt