*Trigger Warnung, dieses Kapitel enthält sensible Inhalte*
Ivory
„Du weißt, dass du nicht darüber reden musst, wenn du es mir nicht erzählen willst", sagte Keith zu mir. Zwar haderte ich noch immer etwas mit mir, jedoch wollte ich zeitgleich auch, dass er es wusste. Im Endeffekt hatte ich nicht viel zu verlieren. „Ich will es dir erzählen, aber ich habe Angst, dass du danach anders über mich denkst", sagte ich ehrlich zu ihm. „Ich werde dich nicht verurteilen, Ivy. Deine Vergangenheit gehört zu dir und macht dich zu dem, was du heute bist." Damit hatte er Recht, aber wir alle hatten doch eine Zeit in unserem Leben, die wir am liebsten vergessen würden. Ich rückte etwas von ihm weg, damit ich ihn besser anschauen konnte, während ich ihm alles erzählte. „Ich war 15, als meine Mum zum Abendessen einen ihrer Kollegen und seinen Sohn eingeladen hat. Ilja war drei Jahre älter als ich. Und um ehrlich zu sein, mochte ich ihn von der ersten Sekunde an. Er war reifer, als die Jungs in meiner Klasse und ich war sofort hin und weg von ihm. Jedenfalls haben wir damals Nummern getauscht und angefangen uns zu treffen. Es hat gar nicht lange gedauert, bis wir zusammengekommen sind. Alles war perfekt, zumindest habe ich das damals gedacht. Mit ihm habe ich meine ersten Erfahrungen gesammelt. Irgendwann nachdem wir ungefähr 4 Monate zusammen waren, ist meine Periode ausgeblieben. Ehrlichgesagt habe ich mir am Anfang nicht viel dabei gedacht, was rückblickend natürlich irgendwie naiv von mir war. Nach ein paar Tagen habe ich meiner Mum davon erzählt, dass ich überfällig bin. Mum wollte, dass ich einen Schwangerschaftstest mache. Ich hatte fest damit gerechnet, dass der Test negativ sein würde, aber er war es nicht. Der Test war positiv." Ich machte eine kurze Pause, um Luft zu holen, dabei wagte ich es nicht Keith anzusehen, da ich Angst hatte, dann sprach ich weiter. „Ich wollte kein Kind, nicht mit 16. Bei Ilja sah es jedoch anders aus. Er wollte es unbedingt behalten. Meine Mum war auch gegen eine Abtreibung. Eine Abtreibung würde nicht mit ihren Werten übereinstimmen. Mein Dad und meine Mum haben sich wochenlang gestritten, denn Dad hat ganz klar die Meinung vertreten, dass ich selbst über meinen Körper entscheiden sollte. Diese Streitereien haben sich so lange gezogen, dass sie Schwangerschaft sowieso zu weit fortgeschritten war, um noch abzutreiben. In der 14. Woche habe ich unheimliche Blutungen und Krämpfe bekommen. Mum ist sofort mit mir ins Krankenhaus gefahren. Dort haben die Ärzte dann festgestellt, dass ich eine Fehlgeburt hatte." Ich schluchzte auf.
All die Erinnerungen prasselten wieder auf mich ein, als ob ich wieder 16 war und im Krankenhaus lag, doch die schlimmsten würden noch folgen. Unsicher schaute ich Keith an, der mich wie versteinert anschaute. „Die Wochen danach waren schrecklich. Ich lag die meiste Zeit einfach nur im Bett und wollte nichts mehr machen. Ilja war ständig bei uns, selbst wenn ich ihm sagte, dass ich meine Ruhe haben wolle. Ich wollte zu dieser Zeit keinen Sex haben, da ich mich nicht wohlgefühlt habe. Irgendwann fing er damit an, mich anzufassen, auch wenn ich es nicht wollte. Auch als ich ihm sagte, dass er damit aufhören sollte, tat er es nicht. Eine Zeit lang habe ich es einfach hingenommen, weil ich Angst hatte, dass niemand mir glauben würde, wenn ich darüber sprach. Irgendwann ging es jedoch so weit, dass ich angefangen habe mich zu wehren. Ich habe angefangen zu schreien, weil er mich gegen meinen Willen angefasst hat. Damals war Mum nicht zu Hause, aber Ashton war es. Er hat mich gehört und ist in mein Zimmer gestürmt. Ashton hat Ilja von mir weggezogen und rausgeworfen. Daraufhin habe ich mich ihm anvertraut und ihm alles erzählt. Gemeinsam haben wir es dann Dad erzählt. Ich habe mich von Ilja getrennt und Dad hat dafür gesorgt, dass Ilja wegen sexueller Belästigung angezeigt wird. Nach der Trennung habe ich eine Therapie angefangen, um all die Erlebnisse ordentlich verarbeiten zu können. Ich habe die Therapie eine Woche bevor ich nach San Francisco gezogen bin beendet." Ein paar einzelne Tränen bahnten sich den Weg über meine Wangen. „Ist er verurteilt worden?", hakte Keith vorsichtig nach. Ich schüttelte den Kopf. „Es gab zu wenige Beweise. Das Einzige, was darauf resultiert ist, ist dass Mum Ashton und mich nicht mehr leiden kann, weil wir ihren Traum-Schwiegersohn angezeigt haben. Sie hat mit Ilja und seinem Vater immer noch Kontakt, obwohl sie weiß, was passiert ist, aber sie glaubt mir nicht. Sie glaubt dem, was er sagt und er behauptet, dass ich mir alles nur ausgedacht hätte, um Aufmerksamkeit zu bekommen." Jetzt wusste er es. Ich hatte Keith meine verletzlichste Seite gezeigt. „Ich weiß ehrlichgesagt nicht so richtig, was ich sagen soll. Das was dir passiert ist, ist schrecklich, Ivory. Aber für mich bist du immer noch die gleiche Ivory wie heute Morgen und wie gestern Abend. Und jetzt werde ich dich in die Arme nehmen und einfach halten, deal?", sagte er zu mir, bevor er mich in seine Arme zog und sich mit dem Oberkörper, mit mir in seinen Armen auf die Matratze sinken ließ. „Deal", nuschelte ich gegen seine Brust, bevor ich meine Arme um Keiths Oberkörper schlang. Ich war froh darüber, dass er mich für meine Vergangenheit nicht verurteilte. Nicht viele Menschen wussten, was mir passiert war, weil ich Angst davor hatte verurteilt zu werden. Ashton, Dad, meine Therapeutin und jetzt Keith, waren die einzigen, die mich nicht dafür verurteilt hatten. Wie dankbar ich allen dafür war, konnte ich nicht in Worte fassen. „Danke", nuschelte ich gegen Keiths Brust. Statt mir zu antworten, drückte Keith mir einen Kuss auf den Scheitel und zog mich fester an sich. Vielleicht sagte diese Geste seinerseits mehr aus, als Worte es jemals könnten. Und vielleicht hat er heute ein kleines Stück meines Herzen für sich erobert. Ich wusste, dass ich Gefühle für ihn entwickelte und es fühlte sich gut an. Bei ihm zu sein, in seinen Armen zu liegen, mit ihm zu reden, Zeit mit ihm zu verbringen. Alles daran fühlte sich gut an.
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Strong Side
Romance*Triggerwarnung, diese Geschichte enthält sensible Inhalte* Als Ivory nach San Francisco zieht, hat sie genau ein Ziel. Ihr altes Leben endgültig hinter sich lassen. Sie zieht in die alte WG ihres Bruders und lebt dort gemeinsam mit Keith, dem beste...