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„Magst du noch mehr Kaffee haben, Schatz?"

Ich lächelte meine Mutter an und hielt ihr meine Tasse hin: „Ja, danke". Ich war passend zur Kaffee-Kuchen-Zeit bei meinen Eltern angekommen, mein Vater war pünktlich von der Arbeit nach Hause gekommen und meine Mutter konnte eine Sahnetorte auftischen. Es hätte alles so schön sein können. Ich versuchte meinen Kater mit der dritten Tasse Kaffee runterzuspülen, aber irgendwie wurde ich nur zittriger, unruhiger.

„Rita, der Junge ist alt genug, er kann sich auch selbst einschenken", motzte mein Vater, woraufhin meine Mutter merklich zusammenzuckte.

„Er ist so selten hier, da will ich ihn halt verwöhnen", erwiderte meine Mutter und vor meinem inneren Auge konnte ich mir schon ausmalen, was als nächstes geschehen würde.

„Er wäre öfter hier, wenn er was Anständiges gelernt hätte", sagte mein Vater an meine Mutter gewandt und faltete die Zeitung demonstrativ zusammen in die er bis jetzt geguckt hatte, um erst sie und dann mich, zum ersten Mal, seit ich da war, anzuschauen.

„Pa, ein Lehramtsstudium ist was Anständiges", erwiderte ich so ruhig wie möglich. Eigentlich war ich es ja gewohnt, aber es regte mich trotzdem jedes Mal auf, wenn er meinte mich oder das, was ich tat nicht ernst nehmen zu müssen.

Dann war es eine Weile still und meine Mutter setzte sich wieder an den Tisch, nach dem sie jedem von uns, ohne zu fragen ein weiteres Stück Sahnetorte aufgetan hatte. Es war nur das Geräusch der Luft zu hören, die durch die aufgeblähten Nüstern meines Vaters blies. Ich schaute kurz den kleinen, alten, traurigen, halbglatzigen Mann vor mir an, wandte dann den Blick ab. Im Wohnzimmer meines Elternhauses hatte sich nicht viel verändert. Die Häkeldeckchen lagen auf ihrem Platz genauso wie die dickbäuchigen Porzelanputten. Einige Fotos an der Wand hatten sich geändert, da einer der zwei Hunde meiner Eltern vor einiger Zeit gestorben war und meine Mutter ihm eine Art Gedenkschrein errichtet hatte. Ich war natürlich auch traurig gewesen, wegen der alten Paula, aber einen Altar für einen toten Hund fand sogar ich krass. Camus, der andere Hund war seitdem ziemlich depressiv. Er tat mir leid, wie er da vor dem Sofa auf seiner Decke lag und die Wand anstarrte und kurz hatte ich das Gefühl, dass er der Einzige war, der mich verstand. An der Wand hingen noch immer Fotos aus meiner Kindheit. Ich, am Strand mit meinem Bruder beim Sandburgen bauen. Ich, mit der Schultüte. Ich, im Fußballverein mit 13. Danach gabs keine Fotos mehr von mir, weil ich anfing mir die Haare zu färben und Bandshirts zu tragen. Ein Aussehen, dass anscheinend nicht passabel genug war, um auf Fotos an der Wand verewigt zu werden.

„Wann bringst du denn eigentlich mal wieder deine Freundin mit, Janni?", unterbrach meine Mutter meine Gedanken und ich verschluckte mich so stark am Kaffee, dass ich husten musste. Meine Mutter musste leicht grinsen und mein Vater glotzte wieder in sein Lokalblatt.

„Helena? Ach ... sie war doch das letzte Mal zum Kaffee da! Außerdem macht sie in den Semesterferien jetzt ein Praktikum in Frankreich", antwortete ich ausweichend.

„Dass sie das letzte Mal zum Kaffee hier war ist nun auch schon fast 4 Monate her... also wirklich so ein nettes Mädchen!", rief meine Mutter verzückt aus.

„Ja", stimmte ich ihr zu, weil ich nicht mehr wusste, was ich sagen sollte. Etwa: ‚Im Bett ist sie nicht so nett'? Obwohl, das wäre ganz schön witzig. Wie sie wohl gucken würde? Innerlich schlug ich mir mit der flachen Hand gegen die Stirn für meinen schlechten Humor.

„Frankreich. Aha. Was macht sie da? Da musst du aufpassen, dass sie dir kein Franzacke weg klaut. Höhö!", machte mein Vater über seine Zeitung hinweg. Ach du scheiße. Und dass soll ich die nächsten zwei Monate Semesterferien aushalten? Hier? Bei denen? Ich war eigentlich nur meiner Mutter zuliebe gekommen, aber auch weil ich wegmusste aus meinem Studentenleben-Feiersumpf mit Max, um meine 6000 Wörter Hausarbeit schreiben zu können.

„Sie kann schon auf sich aufpassen. Außerdem ist sie kein Gegenstand, den man wegklauen kann...", murmelte ich und verdrehte die Augen, „Sie macht dort ein Praktikum in einer Schule für bildende Kunst und Fotografie, in der Nähe von Paris."

Ehrlich gesagt war ich froh, sie die nächsten Monate nicht sehen zu müssen. Ich hatte nämlich ordentlich Schiss bekommen, als sie mich vor ihrer Abreise fragte, ob wir zusammenziehen wollen, wenn sie wieder in Hamburg sein würde. Keine Ahnung, warum mir das so eine Heidenangst eingejagt hat. Schließlich waren wir über ein Jahr zusammen und verstanden uns gut, stritten kaum.

„Ach wie schön! Dann bring sie doch nächstes Mal wieder mit, dann kann sie uns von Frankreich erzählen", sagte meine Mutter.

„Hmhm", machte ich und schob mir schnell ein Stück Torte in den Mund, um nicht weiter über meine Freundin reden zu müssen. Ich hab sie gerne, wirklich, aber zusammenziehen? Der Gedanke löste Unruhe in mir aus.

Nach einer Weile raschelte mein Vater wieder mit der Zeitung und stieß dann ein „Och nee, das könn' die doch nicht machen!" aus.

„Was ist los, Horst?", fragte meine Mutter mit zusammengekniffenen Augenbrauen.

„Ach die wollen da ein paar Schwarzköppe in das leerstehende Hotel in der Bismarckstraße einziehen lassen", spuckte mein Vater verächtlich aus.

Ich hörte, wie das Blut in meinen Ohren zu rauschen begann. Das passierte immer, wenn es um Politisches bei meinen Eltern ging. Dann fühlte ich mich ganz steif und mir wurde heiß.

„Eine Geflüchtetenunterkunft?", fragte ich dennoch nach, in dem Versuch ruhig zu bleiben.

„Nee, hier steht Flüchtlingsheim", motzte er weiter.

„Ist das Gleiche" verdrehte ich die Augen und betete innerlich an den Gott, an den ich nicht glaubte, dass er jetzt einfach die Klappe halten würde. Ihm jetzt den Unterschied zwischen den Worten Flüchtling und Geflüchtete zu erklären ...

„Warum müssen die denn in unserer Stadt wohnen? Hätten doch auch woanders hin flüchten können", stieß mein Vater dennoch aus.

Da platzte mir fast der Kragen: „ABER HIER IST DOCH PLATZ. IN EINEM LEERSTEHENDEN HOTEL".

Ich war etwas zu laut geworden, denn ich sah, wie der Kopf meines Vaters rot anlief.

„Hör mal Schlauberger," setzte er an und erhob belehrend den Finger, „du musst das natürlich gleich viel besser wissen als alle anderen, Herr Ich-studiere-jetzt-und-bin-besser-als-ihr. Du hast erst ein Mitspracherecht, wenn du auch Steuern zahlst, wie ein anständiger Bürger und nicht mehr vor dich hin studierst wie ein Nichtsnutz. Denn davon leben die Asylanten doch schließlich, genauso wie du, von MEINEN Steuergeldern." Dabei tippte er sich wutentbrannt auf die eigene Brust.

Schweratmend senkte mein Vater wieder seinen Belehrungs-Finger und schaute mich provozierend an. Doch ich schüttelte einfach nur den Kopf, stand auf und ging nach oben in mein altes Jugendzimmer, um nicht etwas Dummes zu tun.

Wenn dann das hierWo Geschichten leben. Entdecke jetzt