Das beste am Anker, der schmuddeligen Hafenkneipe, war eigentlich die Einrichtung. Abgesehen von ein paar klassischen maritimen Objekten und einem wuchtigen Holztresen, der aussah wie eine alte Schiffsplanke, zierte eine Wand eine kitschige Malerei von einem dicken Walross, das Gitarre spielte. Niemand wusste, woher es kam, wer es gemalt hatte oder warum ein Walross Gitarre spielen sollte. Ich mochte dieses Motiv so gerne, dass ich immer, wenn ich im Anker war, mich so platzierte, dass ich es sehen konnte. Berta, die Kneipenchefin, wusste von meiner Vorliebe und hatte verständnislos den Kopf geschüttelt, als ich vor meinem Umzug mit einer Kamera vorbeigekommen war, um ein gutes Foto von dem Walross zu machen, damit ich das Bild mit nach Hamburg nehmen konnte. Ein Stück Heimat, das ich gerne mochte. Das hässliche Ding willst du fotografieren? Hatte sie gefragt. Ja das hässliche Ding. Nun hing das Bild großformatig ausgedruckt über meinem Bett und sorgte immer für Lacher, wenn ich Besuch bekam.
An diesem Freitagabend war die Kneipe gut besucht und es schallte viel zu laut schrammeliger Punkrock aus den Boxen. Berta hatte einen guten Musikgeschmack.
„Oi! Da seid ihr ja", rief Piet als er mich und Helena durch die Tür kommen sah. Er hatte uns bereits einen der kleinen Ecktische reserviert, was gut war, da sonst kein Platz mehr frei gewesen wäre. Piet winkte uns herbei und schloss mich in eine kurze Umarmung, um mir erneut zu gratulieren. Danach wandte er sich zu Helena.
„Helena! Wie schön dich mal wieder zu sehen. Was für eine Überraschung!", rief Piet Helena entgegen und umarmte auch sie kurz. Helena war eigentlich nicht so glücklich über den Plan gewesen, den Abend in der verrauchten Kneipe zu verbringen. Nach dem Telefonat mit Piet hatte ich ihr von dem Vorhaben erzählt, doch sie hatte nur zerknirscht dreingeschaut. Sie meinte, sie hätte den Abend zwar lieber mit mir im Bett verbracht und einen Film geschaut, aber schließlich sei es mein Geburtstag und ich solle entscheiden. Wir hatten uns darauf geeinigt nicht allzu lange zu bleiben, auch wenn ich echt froh war, aus der seltsamen Situation mit Helena im Bett rauszukommen.
Helena und Piet verstanden sich immer noch gut, darüber war ich sehr froh, da ich mich zurücklehnen, das Walross anstarren und ihrem Gespräch lauschen konnte. Helena erzählte gerade von Frankreich, als Piet plötzlich aufschaute und aufstand, um erneut jemanden an unseren Tisch heranzuwinken. Vielleicht hatte Piet jemanden gesehen, den er kannte. Interessiert drehte ich mich auf meinem Stuhl um, da ich mit dem Rücken zur Tür saß.
Zum zweiten Mal heute gefror mir das Blut in den Adern, als ich erkannte, wen Piet da gerade so freudig begrüßte. Finn. Ich musste schwer schlucken, als er auf uns zukam. Er wirkte etwas verunsichert und zögerlich hob er noch in einiger Entfernung die Hand zur Begrüßung. Er trug einen schwarzen Pullover, aber auf seinem Kopf fehlte die typische Schiebermütze. Ich fühlte mich wie paralysiert, nicht fähig irgendwie zu reagieren.
„Was macht der hier?", zischte ich viel zu aggressiv zu Piet. Diese zog die buschigen Augenbrauen zusammen und schaute verwirrt.
„Ich habe ihn eingeladen. Ich dachte du freust dich?", antwortete Piet rasch, doch weiter kamen wir nicht, da Finn unseren Tisch erreicht hatte.
„Hey!" Piet begrüßte den fehlplatziert wirkenden Finn und bot ihm einen freien Stuhl an.
„Alles Gute zum Geburtstag", murmelte Finn, während er sich setzte, so unfeierlich, wie nur möglich. Er vermied es mich anzusehen, stattdessen stierte ich verwirrt zwischen ihm und Piet hin und her, unfähig ein Wort rauszubekommen.
Dann räusperte sich Helena und Finn schaute aufgeschreckt zu ihr auf. Kurz schaute sie zu mir, wartete, ob ich die beiden einander vorstellen würde, vergebens. Kurzerhand streckte sie dann die Hand über den Tisch zu Finn.
„Hi, ich bin übrigens Helena, Janniks Freundin. Und du?" Sie hatte ihr gewinnendstes Lächeln aufgesetzt. Sie wusste, welche Wirkung sie auf Männer mit diesem Lächeln hatte. Eigentlich.
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Wenn dann das hier
RomanceEgal, wie ehrlich und aufrichtig ich versuchte zu sein, es führte trotzdem nicht zu meinem Happy End. Die kleine, graue Hafenstadt, die Jannik sein Heimatkaff nennt, liegt an der Nordsee, doch fühlt sich für ihn wie eine andere Welt an, im Gegensatz...