Zwei Tage später konnte ich immer noch an nichts anderes denken als an ihn, wie er mit geschlossenen Augen und den Armen in der Luft getanzt hatte. Und dieses warme Gefühl, das sich in meinem Magen ausgebreitet hatte. Es war für einen Moment, als ob ihm alles egal gewesen wäre. Die anderen Menschen und die ganzen unbeantworteten Fragen zwischen uns. Es hätte ein richtig schöner Abend werden können. Ich ertappte mich bei dem Gedanken, ob wir wohl zusammen die Kneipe verlassen würden und wo wir dann hingehen würden. Stattdessen flog einige Minuten nachdem Rebel Rebel geendet hatte und Finn sich erschöpft und schwer atmend auf seinen Stuhl fallen ließ, die Tür auf und er erkannte einige Kollegen von der Arbeit, die hereinkamen. Nicht die, die geholfen hatten mich zu verprügeln, aber trotzdem Kerle, die seinen Vater kannten. Finns Laune verschlechterte sich von einer Sekunde auf die andere. Er zog den Kopf ein, entschuldigte sich kurz bei mir und verschwand aus der Kneipe. Es versetzte mir einen Stich, bei dem Gedanken daran, dass er anscheinend nicht mit mir gesehen werden wollte. Warum auch immer. Weil ich wie eine Zecke aussah oder weil ich etwa doch auch sein Herz schneller schlagen ließ?
Das trieb mich in den Wahnsinn, dass er einfach wieder abgehauen war. Ich hätte doch mitkommen können. Egal wohin. Ich wäre überall mit ihm hingegangen. Doch anscheinend wollte er das nicht. Vielleicht hatte auch er Angst davor, mich zu nah an ihn ranzulassen.
„Na, in welcher Traumwelt bist du mal wieder?", rief mich Sandra aus meinen Gedanken an Finn. Ich zuckte zusammen und sah, wie sie Kisten aus ihrem kleinen Auto lud. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie sie gekommen war. Als sie sich heute Vormittag verabschiedet hatte, meinte sie zwar, dass sie noch einmal vorbeikommen würde, um die Einkäufe aus dem Großhandel abzuladen, aber das musste ich verdrängt haben. Bis jetzt.
„Hilfst du mir jetzt oder muss ich dir den Lohn kürzen?", fragte sie genervt nach, als ich immer noch wie angewurzelt in der Imbissbude stand.
„Komme ja schon", brummte ich und setzte mich in Bewegung.
„Ich würde dir natürlich nicht wirklich den Lohn kürzen", stellte sie klar, als ich mit ihr am Ausräumen war.
„Ich weiß, du liebst mich", versuchte ich einen Witz zu machen.
„Ha ha", machte sie ironisch, „dit war aber inner letzten Zeit gar nich so leicht." Ihr plattdeutscher Dialekt war großartig. Er ließ alles, was sie sagte nur halb so hart klingen.
„Ich weiß."
„Du, das habe ich ja total vergessen", erschrocken schaute sie mich an, „Bevor du vorhin angekommen bist, war da ein Junge hier und fragte nach dir. Er hat dir einen Zettel geschrieben, voll altmodisch", kicherte sie. Mein Herz fing an etwas schneller zu schlagen. Wie konnte sie das denn beinahe vergessen? Sandra kramte in ihrer Jackentasche herum, bis sie endlich ein zerknülltes Stück Papier hervorzog. Ich riss es ihr beinahe aus der Hand.
Kommst du nachher zur Hafenkante? F.
Die Freude über den kleinen Brief war schlagartig verschwunden, es klang zu ernst. Zumal hatte er nicht einmal mit seinem ganzen Namen unterschrieben, dabei war sein Name echt nicht lang. Vielleicht hatte er realisiert, dass ich ihn nur in Schwierigkeiten bringe, ob bei mir Zuhause mit meiner Mutter oder in der Kneipe mit seinen Kollegen. Vielleicht würde er jetzt alles, was auch immer das war, beenden. Der Gedanke versetzte mir einen Stich. Dann realisierte ich, wie sehr ich mich da gerade hineinsteigerte. Es stimmte zwar, dass ich Finn in Schwierigkeiten brachte, aber er mich auch. Und vielleicht war ein Zettel mit einer Nachricht auch einfach nur ein Zettel.
Ich bedankte mich bei Sandra, die mich kritisch musterte, so wie sie es immer tat. Doch mittlerweile, hatte sie sich wohl damit abgefunden, dass sie aus mir nicht schlau werden würde.
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Wenn dann das hier
RomanceEgal, wie ehrlich und aufrichtig ich versuchte zu sein, es führte trotzdem nicht zu meinem Happy End. Die kleine, graue Hafenstadt, die Jannik sein Heimatkaff nennt, liegt an der Nordsee, doch fühlt sich für ihn wie eine andere Welt an, im Gegensatz...