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Ich fühlte mich heimatlos und landete nach kurzer Zeit an dem Ort, der am nächsten an das Wort Zuhause rankam, Piets Keller.

Piet hatte freitags in der Werkstatt, in der er seine Ausbildung machte, immer früher Feierabend als an den anderen Tagen. Ein Glück für mich, denn so öffnete schon nach kurzer Zeit ein Jogginghosen-tragender Piet die Tür, nachdem ich geklopft hatte. Ich wusste zwar auch, wo im Garten der Notfallschlüssel versteckt war, doch im Gegensatz zu meiner Mutter, wusste ich, was das Wort Privatsphäre bedeutete.

„Wat machst du denn hier?" In Piets Hand lag sein Playstation-Controller und hinter ihm konnte ich den Fernseher flimmern sehen.

„Hast du n Bier?", war meine schnelle Antwort. Ohne ein weiteres Wort ließ er mich hinein und ging zu dem kleinen Kühlschrank in der Ecke des Zimmers, um zwei Bier herauszuholen. Als er sich umdrehte, hatte ich mich schon auf sein Sofa gefläzt, meine Tasche in die Ecke geworfen und den zweiten Controller aktiviert.

Piet akzeptierte mein Schweigen für genau zwei Stunden, 12 Minuten oder anders gesagt; die Länge von drei Bier und 6 Runden Fifa. Dann richtete er sich ruckartig auf, beschloss das genug geschwiegen worden war und schaltete die Playstation aus. Ich wusste, was mich jetzt erwartete.

„Was ist los?", fragte Piet mit Nachdruck.

„Finn ist los." Es war mir eigentlich ziemlich unangenehm Piet die ganze Zeit mit meinen Problemen voll zu heulen, aber ich konnte nicht anders. Außerdem war Piet ehrlich genug, um mir zu sagen, wenn ich mich danebenbenahm.

„Was ist denn jetzt mit euch?" Piet hatte wohl gemerkt, dass er gestern eine Grenze überschritten hatte, nachdem er das Treffen zwischen mir und Finn arrangiert hatte und ich danach Piets Anrufe ignoriert hatte. Langsam nahm ich einen weiteren Schluck Bier, vielleicht um mir Mut anzutrinken.

„Keine Ahnung." Ich stellte das Bier ab und ließ den Kopf auf die Hände sinken, versuchte meine Gedanken zu ordnen.

„Willst du jetzt mit mir reden oder nicht? Weil dieses ständige Andeuten und dann doch wieder Schweigen halte ich nicht aus." Er sah mich von der Seite an.

„Du redest doch auch nicht mit mir", war meine patzige Antwort.

„Ich erzähl dir alles, was du wissen musst", war seine ebenfalls eingeschnappte Reaktion.

„Ach und was war das mit dieser Pauli?"

„Was willst du wissen?", sagte er und verschränkte die Arme, „Dass ich verknallt bin und nicht weiß, was ich machen soll?" Er war verletzt, das konnte ich hören.

„Tut mir leid, ich weiß, dass ich manchmal kein besonders guter Freund bin", lenkte ich ein und seufzte.

„Schon okay, ich kenn dich lang genug, um zu wissen, was da oben alles schief hängt", sagte er mit einem Grinsen und stupste mit dem Finger gegen meinen Kopf. Ich wandte mich kurz zu ihm und verdrehte die Augen. Nach einer Weile nahm ich meinen Mut zusammen. Ich wusste, wenn ich jetzt nicht ehrlich war, war Piet der nächste, den ich verlieren könnte.

„Meine Mutter hat uns im Bett erwischt", presste ich schnell hervor.

„Sie hat was?" Piets Stimme klang schrill.

Langsam fing ich an zu erzählen, was gestern seit unserem kurzen Telefonat passiert war, der Streit mit Finn und wie er dann betrunken bei mir aufgetaucht war.

„Ich dachte echt, ich sehe ihn nie wieder, nachdem wir uns so gefetzt hatten und dann stand er auf einmal im Garten meiner Eltern."

„Achso!", stieß Piet aus, „Das erklärt auch den seltsamen, kurzen Anruf von ihm bei mir. Ich wusste gar nicht, was mit ihm los war, er wollte nur dringend wissen, wo du wohnst."

„Naja, er ist dann bei mir im Bett eingeschlafen und am nächsten Morgen...", deutete ich an.

„Was, am nächsten Morgen?", hakte Piet nach und hob skeptisch eine buschige Augenbraue. Finster starrte ich ihn an.

„Wir haben rumgemacht, heftig rumgemacht." Ich merkte, wie ich rot wurde bei dem Gedanken an Finn unter mir liegend und wandte schnell mein Gesicht ab.

„Oh", stieß Piet aus.

„Und dann ist meine Mutter reingeplatzt und ich bin abgehauen, habe ihn angeschnauzt und ihn dort stehen lassen in meinem Zimmer."

„Warum?"

„Ich war wütend und überfordert, was denkst du denn?"

„Aber er konnte doch nichts dafür, dass deine Mutter reinkam."

„Ja, ich weiß", stieß ich genervt von mir selbst die Luft aus.

„Und jetzt?"

„Funkstille. Ich bin ein Arschloch, ich weiß."

„Und Helena?"

„Boah, Piet!", rief ich aus, „Musst du immer in meinen Baustellen herumstochern?"

„Dafür bin ich da."

„Meine Mutter, hat auch gleich nach Helena gefragt. Sie meinte übrigens, dass sie es meinem Vater nicht erzählen wird."

„Das ist gut", bemerkte Piet, „Und jetzt ruf Helena an." Seine Stimme klang streng.

„Was? Nein!" Entsetzt schaute ich ihn an.

„Jannik, wenn du jetzt nicht deine Freundin anrufst und ehrlich zu ihr und dir selbst bist, werde ich für immer den Respekt vor dir verlieren", sagte Piet ernst und schaute mir intensiv in die Augen. Ich musste schlucken. Ich wusste, dass er recht hatte.

Mit einem weiteren Bier und meinem Telefon bewaffnet ging ich aus Piets Keller in den Garten, um das Gespräch zu führen, das mein Leben von Grund auf umkrempeln würde. Ich setzte mich auf den Rasen und trank das halbe Bier leer, während mein Daumen, wie das sprichwörtliche Damokles Schwert über ihrem Namen auf meinem Handydisplay schwebte. Ich schloss die Augen und drückte auf das Anrufsymbol.

Wenn dann das hierWo Geschichten leben. Entdecke jetzt