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Ich zerbrach mir den Kopf. Immer und immer wieder spielte ich das Geschehene in meinem Kopf durch. Ich konnte mir einfach keinen Reim drauf machen. Ich verstand einfach nicht, was mich dazu gebracht hatte, meinen Kopf nach vorne zu drücken. Ich hätte einfach aufstehen, mich entschuldigen und mit ihm über das angerichtete Chaos lachen können. Doch stattdessen hatte ich wahrscheinlich das Dümmste gemacht, was man sich hätte vorstellen können. Was hatte mich nur dazu getrieben? Ich fühlte eine Mischung aus Scham und Angst und irgendwie auch Verlangen in mir. Denn irgendetwas in mir hatte ihn doch küssen wollen, oder? Nein, ich musste bei der Demo oder beim Sturz mit den Bierkisten etwas auf den Kopf bekommen haben. Ich war hetero, durch und durch. Schließlich war ich bis jetzt nur mit Mädchen zusammen gewesen. Ich stand nicht auf Männer. Doch warum hatte ich es dann gemacht? Warum?

Und was war mit ihm? Wahrscheinlich würde er sich eh nie wieder blicken lassen. Aber, er hatte den Kuss erwidert, oder hatte ich mir das nur eingebildet? Am liebsten hätte ich Piet oder Helena oder sogar Max in Hamburg angerufen, um diese Fragen irgendjemandem stellen zu können, der vielleicht eine Antwort darauf hatte oder mir zumindest versicherte, dass ich nicht komplett am Durchdrehen war. Doch das ging nicht, aus offensichtlichen Gründen. Ich fühlte mich, als würde ich den Verstand verlieren. Und dann war da immer wieder der Gedanke an Helena. Sie hatte mir immer wieder klar gemacht, wie wichtig ihr Ehrlichkeit und Treue waren. Toll, und jetzt? Ich würde es ihr nicht sagen, hatte ich beschlossen. Jedenfalls nicht jetzt, wo sie sowieso so empfindlich, wegen der ganzen Zusammenzieh-Sache war. Es war schließlich auch nichts gewesen, der Kuss, keine große Sache.

So hatte ich einige Tage nur mit Nachdenken zugebracht. Wie ein Zombie war ich herumgelaufen und hatte während meiner Schichten die ganze Zeit Ausschau gehalten. Nach ihm. Ich hätte nicht gewusst was ich hätte sagen sollen, wäre er tatsächlich aufgetaucht. Wahrscheinlich hätte ich mich für mein dummes Verhalten entschuldigt. Aber dann war da immer wieder der Gedanke an diesen Kuss und seine weichen Lippen und seinen warmen Körper. Stopp. Ich musste mich entschuldigen, wenn ich ihn sehen würde und die Sache aus der Welt schaffen. Vielleicht konnten wir ja doch noch Freunde werden.

Und dann kam der Freitag. Mein Geburtstag. Das Timing hätte nicht mieser sein können. Meine Mutter hatte mich geweckt und an den gedeckten Frühstückstisch mit der von ihr gebackenen Torte geführt. Ich bedankte mich. Sie hatte mir meine Geschenke überreicht. Ich bedankte mich. Ich packte sie aus. Es waren neue Socken und ein Büchergutschein. Ich bedankte mich. Ich kam mir vor wie in Trance und gleichzeitig zurückgeschleudert in meine Kindheit, in der auch jeder einzelne Geburtstag exakt so begonnen hatte. Außer, dass mein Bruder damals noch zuhause wohnte, er schenkte mir zu jedem Geburtstag ein Puzzle, und dass ich noch in die Schule musste. Jetzt musste ich zur Arbeit. Ich drückte meine Mutter zum Abschied, wobei sie mir verschwörerisch zusäuselte: „Viel Spaß". Ja klar, Spaß auf der Arbeit.

Bei der Imbissbude angekommen, begrüßte Sandra mich freudig.

„Das Geburtstagskind!", schrie sie mir entgegen. Klar, Mutti-Buschfunk.

„Moin Sandra, immer wieder eine Freude, wieviel du über mich wegen unserer Mütter weißt." Ich lächelte gequält. Bei ihr angekommen wuschelte sie mir durch die Haare, was ziemlich absurd war, da ich sie um mindestens 20 Zentimeter überragte.

„Hab dich nicht so Jannik, hier das ist für dich." Sie streckte mir ein in Zeitungspapier eingeschlagenes Päckchen entgegen.

„Das wäre nicht nötig gewesen", murmelte ich, doch packte es schon aus.

„Es ist ein Gedichtband von Ringelnatz", verriet sie, als ich noch dabei war das Buch vom Papier zu befreien. Verwirrt schaute ich sie an.

„Ein Gedichtband?", fragte ich verdutzt. Ich hatte noch nie freiwillig Gedichte gelesen.

Wenn dann das hierWo Geschichten leben. Entdecke jetzt