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Am nächsten Morgen stand ich pünktlich um 6:50 Uhr auf mein Fahrrad gestützt in der Nähe der Docks und versuchte die Handschrift meiner Mutter zu entschlüsseln. Sie hatte mir einen Zettel mit der Wegbeschreibung zur Imbissbude gegeben, doch irgendwie wurde ich daraus nicht so richtig schlau. Als ich das letzte Mal so früh wach war, ging ich noch zur Schule. Seit ich studierte stand ich selten vor 9 Uhr auf. Am Wochenende noch später, wenn ich am Abend zuvor als Barkeeper in der Kneipe gearbeitet hatte. Ich mochte die Arbeit dort sehr gerne, es lief gute Musik und das Publikum war relativ jung, nur die späten Schichten und die zahlreichen Schnäpse forderten ihren Tribut, was man auch an meinen Noten sehen konnte. Ich hatte mir für die Semesterferien dort Urlaub genommen, was kein Problem war, weil ich die meisten Schichten einfach nachholen konnte, wenn ich wieder da sein würde.

Als ich um die Ecke auf den Vorplatz eines riesigen Werftgebäudes bog, fand ich den Imbiss dann doch. Es war nicht viel mehr als ein umfunktionierter Wohnwagen mit offener Seite und einigen Stehtischen und einer Biertischgarnitur davor. Über dem Verkaufstresen war in gesprühten Buchstaben Sandras Fischbrötchen und Meer zu lesen. Hinter dem Imbiss tauchte eine junge, blonde Frau mit mürrischem Gesichtsausdruck auf. Als ich mich näherte und sie mich bemerkte hellte sich ihr Gesichtsausdruck aber auf und sie winkte mir freundlich zu.

„Moin! Bist du Jannik?", rief sie, als ich in Hörweite war. Sie hatte eine schöne, starke Stimme und einen starken plattdeutschen Dialekt.

„Moin! Ja, habe ich einen Zettel auf der Stirn kleben oder woher wusstest du das?"

Sandra musste lachen. Sie war mir sympathisch.

„Nein, aber du siehst nu wirklich nicht aus, wie ein Hafenarbeiter. Und außerdem war die Beschreibung deiner Mutter ziemlich treffend", sie musste nochmal lachen, als sie mich musterte, „Sogar den gequälten Gesichtsausdruck, hat sie beschrieben".

„Oh nein", murmelte ich, lief rot an und versuchte weniger gequält auszusehen.

„Oh doch!", verhöhnte sie mich, „deine Mutter schrieb: langer Junge, mit blauen Haaren und gequältem Gesichtsausdruck. Mit den Haaren wirst du es hier übrigens schwer haben, nur dass du darauf vorbereitet bist. Oh, ich bin übrigens Sandra." Freundlich lächelnd streckte sie mir ihre Hand hingegen. Während ich noch versuchte das von ihr gesagte zu verarbeiten, schüttelte sie meine Hand und drehte sich auch schon wieder um, bedeutete mir mitzukommen.

„Dein Rad kannst du da hinter den Wagen stellen"

Ich nickte und schob mein Rad nach hinten.

Als ich wieder nach vorne stolperte, stand Sandra schon im Imbiss und vor der Theke ein dickbäuchiger Mann.

„Einen Kaffee für dich, Manni?", fragte Sandra, während sie sich ihre Haare zu einem Zopf hochband.

„Na, was hast du denn da für einen Schlumpf?", lachte der Typ, als er mich sah und ich mich unschlüssig neben Sandra in den Imbiss stellte. Es war mir unangenehm, wie er mich ansah und dann fing er auch noch an zu lachen.

„Hast du etwa einen neuen Freund, Sanni?", steckte nun auch noch ein weiterer Bauarbeiter seinen Kopf, um die Ecke, als er Manni lachen hörte.

„Reißt euch zusammen und seid nett, verstanden?", herrschte Sandra die beiden Männer mit sonnengegerbter Haut an, „Das ist Jannik, meine neue Aushilfe für die nächsten Wochen."

„Achso, Schlümpfe haben keine Gewerkschaft, was?", konnte sich der zweite nicht zusammenreißen.

Ich sagte immer noch nichts, sondern stand nur mit hochrotem Kopf neben Sandra, die den beiden Männern Kaffee einschenkte. Ich wäre am liebsten im Boden versunken.

Wenn dann das hierWo Geschichten leben. Entdecke jetzt