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„Scheiße, Scheiße, Scheiße", murmelte ich weiter, als wenn in meinem Kopf nur noch dieses eine Wort existieren würde. Ich starrte wie hypnotisiert die Tür an, in der bis eben noch meine Mutter gestanden hatte. Finn konnte sich als erster wieder rühren. Ruckartig stand er auf und war mit nur zwei Schritten an meiner Tür, um sie wieder zu schließen. Als er sich umdrehte, um mich wieder anzusehen, lag in seinem Blick reine Panik. Seine Augen waren weit aufgerissen und er machte den Mund auf, um etwas zu sagen, aber nichts kam heraus.

Langsam schaffte ich es aufzustehen und zog mich schnell wieder an. Die Stille in meinem Zimmer war erdrückend. Das hätte nicht passieren dürfen. Jetzt hatte ich richtige Probleme. Mir war unglaublich schlecht und kurz dachte ich, ich müsste mich übergeben.

„Was machen wir jetzt?" Finns Worte waren kaum mehr als ein Hauchen. Er stand wie festgewurzelt in meinem Zimmer und beobachtete mich dabei, wie ich mich anzog. Ich schaute ihn an und meinte zu erkennen, dass seine Hände zitterten.

„Keine Ahnung. Du musst gehen", war meine kurze Antwort. Ich klang kühl. Ich wusste, dass ich genauso schuld daran war, was zwischen uns passiert war, aber ich war trotzdem wütend auf ihn. Er zuckte zusammen.

„Es tut mir leid, Jannik", flüsterte er, doch ich wandte ihm wieder den Rücken zu. Ich wusste, dass es ungerecht war ihn jetzt so zu behandeln, aber ich war in diesem Moment heillos überfordert.

„Du musst gehen. Geh durch die Vordertür, dann musst du nicht an der Küche vorbei", sagte ich bestimmend, da ich nicht wollte, dass meine Mutter ihn noch einmal zu sehen bekam. Warum musste sie ausgerechnet heute frei haben? Mit einem Blick auf meinen Wecker stellte ich fest, dass ich tatsächlich verschlafen hatte. Ich hätte vor einer halben Stunde, an der Imbissbude sein sollen.

„Ich muss los", stieß ich kühl aus und vermied es ihn anzusehen, während ich mich an ihm vorbeidrückte, um aus dem Zimmer zu gehen.

„Bitte lass uns reden." Seine Stimme klang verzweifelt. Doch statt einer Antwort, ließ ich ihn einfach stehen und war schon im Flur.

Ich wollte nicht so zu ihm sein. Ich wollte mich umdrehen, ihn in den Arm nehmen und ihm sagen, dass es nicht seine Schuld war. Stattdessen ging ich einfach. Ich war so schnell aus dem Haus raus, dass meine Mutter gar keine Chance hatte, mich abzufangen und mich zur Rede zu stellen. Was sie jetzt wohl über mich dachte? Und noch viel wichtiger; würde sie es meinem Vater sagen? Bei dem Gedanken daran wurde mir erneut schlecht.


Nach einem etwas unangenehmen Gespräch mit Sandra, bei dem sie mir einmal ordentlich den Kopf wusch und irgendetwas von Verantwortung und Teamgeist faselte und ich mich tausendmal fürs Zuspätkommen entschuldigt hatte, war es wie ein ganz normaler Tag in der Fischbrötchenbude. Fast hätte ich vergessen können, was am Morgen passiert war. Aber nur fast. Wie die Möwen im Wind, segelten meine Gedanken wild in meinem Kopf herum. Immer und immer wieder durchlebte ich diesen grausamen Moment, als es an meiner Tür klopfte. Es drehte mir den Magen um. Und dennoch musste ich auch ständig an die Minuten vor dem unheilvollen Klopfen zurückdenken. Wie er mich berührt hatte mit seinen rauen, starken Händen, die sich so anders auf meiner Haut anfühlten als Helenas. An seine Bartstoppeln und wie sie mich gepiekt hatten und wie mir das nichts ausgemacht hatte. Ich hatte mich mit ihm so lebendig gefühlt, wie schon lange nicht mehr. Denn mittlerweile konnte ich es fast nicht mehr leugnen. Ich mochte diesen Jungen. Ich wurde wie von einem Magneten von ihm angezogen und mein Körper reagierte viel zu extrem auf ihn. Verdammt, ich mochte ihn so sehr, dass mein Kopf und mein Bauch nur bei dem Gedanken an ihn verrücktspielten. Obwohl ich ihn nicht einmal richtig kannte. Obwohl er kein Mädchen war. Obwohl er das gleiche Geschlecht hatte, wie ich.

Insgeheim hatte ich die Hoffnung, dass er doch noch im Laufe meiner Schicht auftauchen würde. Dass wir über das, was passiert war, hätten reden können. Aber er kam nicht. Kein Wunder, schließlich war ich auch mehr als kalt zu ihm gewesen. Ich hatte instinktiv ihm die Schuld darangegeben, was passiert war, dabei hatte ich es genauso gewollt. Was war das nur mit ihm, was all meine Vernunft und Selbstbeherrschung über Bord werfen ließ?

Wenn dann das hierWo Geschichten leben. Entdecke jetzt