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Ich schwieg und schwieg und schwieg. Dabei hätte ich doch so viel zu sagen gehabt. Sandra war mittlerweile richtig genervt von mir und packte ihren Kram zusammen, um abzuhauen, sobald ich an der Fischbrötchenbude ankam, anstatt noch einen Kaffee mit mir zu trinken, wie die letzten Wochen. Ich nahm es ihr nicht übel. Ich war auch genervt von mir. Von meiner eigenen Unfähigkeit zu handeln und zu sprechen. Sonntagabend hatte ich das Gespräch mit Piet geführt, mittlerweile war Donnerstag und ich hatte noch immer nichts unternommen.

Mein Handy bimmelte.

„Willst du mir wieder sagen, wie scheiße ich bin?", meldete ich mich genervt.

„Nein, ich will dir helfen", erwiderte Piet am anderen Ende der Leitung betont ruhig.

„Ich habe dich nicht darum gebeten, dich in mein Leben einzumischen", erwiderte ich kalt. Es war mir mittlerweile egal, ob ich ihn verletzte. Ich wollte doch nur in Ruhe gelassen werden und in meinem Selbstmitleid versinken.

Piet atmete einmal tief durch. Wahrscheinlich um mich nicht anzuschreien. Ich hätte es verstanden.

„Okay, ich verstehe, dass du frustriert bist, aber du bist mir nicht egal. Du bist wie ein Bruder für mich." Piet versuchte es weiter auf die versöhnliche Tour. Jetzt fühlte ich mich schlecht.

„Kannst du trotzdem aufhören, dich in mein Leben einzumischen?"

„Dafür ist es glaube ich etwas zu spät", Piet schien zu überlegen, „Kommst du nachher zur Hafenkante hinter den Containern?"

Ich stutzte. „Wieso?"

„Ach weißt du was, tu es oder lass es. Mir auch egal." Jetzt war Piet anscheinend doch genervt. Nachdem ich verwundert nichts erwiderte, legte er einfach auf. Was hatte das zu bedeuten?


In Hamburg lebten zwei Ameisen, Die wollten nach Australien reisen. Bei Altona auf der Chaussee Da taten ihnen die Beine weh, Und da verzichteten sie weise Dann auf den letzten Rest der Reise. So will man oft und kann doch nicht Und leistet dann recht gern Verzicht.

Die Ameisen von Joachim Ringelnatz


Als meine Schicht schon längst vorbei war, saß ich noch immer in der Fischbrötchenbude und las ein Ringelnatz Gedicht nach dem anderen. Wie in einer Art Realitätsflucht schmunzelte ich über die kurzen Gedichte und wusste doch, dass ich das nur tat, um mich vor der Entscheidung zu drücken zur Hafenkante zu gehen oder nicht. Mit dieser Erkenntnis und einem tiefen Seufzer legte ich den Gedichtband zur Seite.

Mittlerweile war es 16 Uhr und wenn Piet auf mich an der Hafenkante gewartet hatte, wäre er jetzt sicherlich schon weg. Ich wusste, dass er mir nur helfen wollte, doch soweit war ich noch nicht. Auch wenn ich nicht wusste, ob ich jemals soweit sein würde. Am liebsten hätte ich das alles, das ganze Chaos einfach vergessen, hätte meine Sachen gepackt und wäre zurück nach Hamburg gefahren. Ich hätte alles hinter mir gelassen und wäre in mein altes, nein mein eigentliches Leben mit Helena in Hamburg zurückgekehrt. Ich hatte seitdem wir uns am Sonntag verabschiedet hatten nicht mehr mit ihr gesprochen. Noch nicht einmal geschrieben hatten wir. Das war für uns sehr ungewöhnlich, da wir uns sonst immer zumindest Gute Nacht-Nachrichten schrieben. Doch nun war alles anders und ich schwieg.

Ohne weiter darüber nachzudenken, was ich tat, hatte ich den Imbiss zugeschlossen und mich auf den Weg zur Hafenkante gemacht. Vielleicht war Piet ja doch noch da und wartete auf mich. Vielleicht hatte er mir etwas Wichtiges zu sagen, schließlich wollte er am Telefon nie richtig reden.

Wenn dann das hierWo Geschichten leben. Entdecke jetzt