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Ich wurde einfach nicht schlau daraus. Aus ihm und seinen Handlungen. War er schwul? Wollte er mich schikanieren oder verarschen? Warum hatte er gesagt, es sei ein Fehler gewesen? In die Kneipe zu kommen oder mich in dem Bad zu küssen? Warum hatte er mich gefragt, ob er näherkommen soll, wenn wir auch einfach hätten reden können? Warum hatte mein Körper so übertrieben auf ihn und seine Berührungen reagiert? Und warum konnte ich seitdem an nichts anderes mehr denken?

Als ich am Freitagabend aus der Toilette gekommen war und Finn allen Anschein nach abgehauen war, hatte ich den anderen erklärt, dass wir uns gestritten hätten. Helena wollte wissen worüber und ich hatte mir irgendwas mit Musik und Bands zusammengestammelt, auch wenn das wirklich eine schlechte Lüge gewesen war. Helena akzeptierte wohl einfach, dass ich nicht darüber reden wollte und Piet sah mich nur noch skeptisch an, bis ich irgendwann meinte, dass ich müde sei und gehen wollte. Später in meinem alten Bett zusammen mit Helena war irgendwie alles so wie immer. Unsere Körper passten so gut aneinander beim Kuscheln, dass man denken könnte, wir hätten nie etwas anderes gemacht. Unsere Gliedmaßen zogen einander an, wie zwei unterschiedlich gepolte Magnete. Während ihr Kopf perfekt in meine Armbeuge passte, schmiegte sich ihr Rücken passgenau an meinen Bauch.

„Sag mal, was ist wirklich los, Jannik?", fragte sie schließlich in die Stille meines dunklen Zimmers hinein. Ich seufzte leise auf.

„Tut mir leid, alles in Ordnung. Es stresst mich nur immer hier bei meinen Eltern zu sein. Das verkrafte ich wohl nicht so gut."

„Und mit Finn? Was war da heute Abend wirklich los? Warum ist er einfach gegangen und wieso wart ihr so lange im Bad?" Natürlich hatte Helena gemerkt, dass etwas losgewesen war.

Ich musste schlucken und fühlte mich ertappt, aber die Wahrheit zu sagen kam für mich gerade nicht in Frage. Die Angst erdrückte mich fast.

„Wir haben uns gestritten, habe ich doch gesagt", ich atmete noch einmal tief durch, in der Absicht nicht so genervt zu klingen, „Ich will da gerade nicht drüber reden. Ich bin müde. Können wir schlafen?"

„Oh ja, natürlich", Helena klang enttäuscht, „Gute Nacht".

„Schlaf gut."

Natürlich konnte ich nicht einschlafen. Mit dem Geruch ihrer Haare in der Nase lag ich wach. Das war neu. Das hatten wir noch nie gemacht, schlafen zu gehen, ohne uns auszusprechen und ohne alles aus der Welt zu räumen, was zwischen uns stand. Wir beide merkten natürlich, dass etwas nicht stimmte, aber wir versuchten trotzdem nicht weiter darüber zu sprechen. Zu schwer, zu belastend, zu anstrengend erschien es mir, jetzt irgendwelche Erklärungen zu finden für Dinge, die ich selbst nicht verstand.


Am nächsten Morgen wachte ich mit meiner verlässlichen Morgenlatte auf, die ich immer hatte, wenn ich neben Helena schlief. Ich hatte trotzdem keine große Lust auf Sex, doch mein Körper war ein mieser Verräter, als auch Helena die Beule in meiner Jogginghose bemerkte und sich an mich schmiegte. Verschlafen drehte sie sich zu mir um, um mich zu küssen. Erstaunlicherweise hatte Helena nie Mundgeruch, noch nicht mal nach dem Aufwachen, wo hingegen mein Mund sich wie eine Güllegrube anfühlte.

„Ich geh mir kurz die Zähne putzen", brummte ich in ihren Kuss hinein und wollte schon die Flucht antreten, als sie schnell den Kopf schüttelte und ihre Hand zwischen meine Beine wandern ließ. Kurz keuchte ich auf, wegen der plötzlichen Berührung.

„Guten Morgen", grinste sie in meinen Hals hinein, den sie sofort mit Küssen bedeckte. Doch schnell merkte ich, dass irgendetwas nicht stimmte. Normalerweise reagierte mein Körper immer gleich auf Helena und ihre Berührungen. Lag es an dem schlechten Gewissen, das sich wie eine dunkle, klebrige Wolke in meiner Brust festgesetzt hatte? Oder bildete ich mir das nur ein und eigentlich war alles wie immer und ich hatte einfach nur Schwierigkeiten mich aufs hier und jetzt zu konzentrieren?

Helena schien nichts von meiner schrumpfenden Erektion mitzubekommen, da sie dabei war mich zu küssen und uns gleichzeitig auszuziehen. Vorsichtig näherte sie sich meinem Ohr: „Hast du Lust mit mir zu schlafen?" Das fragte sie immer oder manchmal übernahm ich das. Es war unsere Art von Dirty Talk und gleichzeitig die Absicherung, dass beide wirklich Lust hatten. Bis jetzt hatte ich immer ja gesagt. Es war noch nie vorgekommen, dass ich keine Lust auf sie hatte. Bis jetzt. Ich hatte das Gefühl in meinem Kopf schrien sich zwei Stimmen gegenseitig an. Die eine, animalische, die natürlich Lust auf Sex hatte und die andere, moralische, die wahrscheinlich auch mit dem schlechten Gewissen verwandt war.

Doch, bevor ich irgendetwas sagen konnte schob Helena hinterher: „Alles okay? Sollen wir aufhören?" Ich sah sie an und bemerkte, wie ihr Blick in Richtung meiner schrumpfenden Erektion huschte. Und dann bekam ich Panik. Ich wusste nicht warum, aber ich wollte ihr um jeden Preis beweisen, dass alles wie immer sei. Dass alles in Ordnung war, so wie es sein sollte. Oder vielleicht wollte ich es mir selbst beweisen. Ich zog sie wieder auf mich rauf und brummte so verführerisch, wie möglich: „Natürlich will ich dich!"

Da spürte ich auch schon ihre Hand an meinem Penis und instinktiv schloss ich die Augen, um mich darauf zu konzentrieren und alles anderen ausblenden zu können. Doch plötzlich sah ich nicht mehr Helenas Brüste oder ihren knackigen Hintern vor meinem inneren Auge, sondern Finns muskulöse Arme und Schultern, wie sie sich gegen mich pressten, seine Lippen und seinen warmen Körper. Als ich erschrocken die Augen aufschlug, sah ich allerdings, dass es funktioniert hatte und ich keine Probleme mehr hatte hart zu werden. Fuck.

Nach dem Sex, der eigentlich ganz okay gewesen war, dafür dass sich mein schlechtes Gewissen nicht mehr runterschlucken und auch nicht mehr wegschieben ließ, zündete ich mir eine Zigarette am Fenster an. Es war ein krasses Klischee, aber ich mochte es tatsächlich nach dem Sex zu rauchen. Helena mochte es zwar nicht, dass ich rauchte, aber drückte ein Auge zu. Zumal es mein altes Zimmer war und sie wohl einsah, dass ich mich nicht in allen Dingen ihrem Willen beugte. Ich fürchtete, wenn ich mit ihr zusammenziehen sollte, würde sich das ändern und sie würde mir das Rauchen abgewöhnen wollen. Mein Kopf summte.

„Deine Mutter hatte gestern vorgeschlagen, dass wir heute zusammen zu den Dünen spazieren könnten", rief mich Helena aus meinen Gedanken, während sie sich hinter mir wieder anzog. Ich zuckte zusammen.

„Boah, musst du direkt nach dem Sex über meine Mutter reden?", patzte ich sie viel zu zickig an. Scheiße, so unfreundlich wollte ich doch gar nicht sein.

„Ey, was ist denn los mit dir? Geht's noch?", zickte sie zurück, „Du bist doch sonst nicht so empfindlich."

Ich wusste, dass nicht ihre Aussage über meine Mutter, der Grund für meine Wut war. Ich drückte die Kippe aus und drehte mich langsam um, um sie anzusehen.

„Ja, sorry", war meine kurzangebundene Antwort. Ich hob entschuldigend die Hände.

„Also? Was zum Teufel ist mit dir los?" Sie hatte sich, wieder vollständig bekleidet, mit verschränkten Armen vor mich gestellt.

„Keine Ahnung. Bin nur wie gesagt gestresst, wegen meiner Eltern und wegen der Uni." Ich zuckte mit den Achseln und wich ihrem Blick aus.

„Du weißt schon, wie teuer und aufwändig es war hier herzukommen aus Frankreich? Ich bin extra für dich hier!"

„Ja, ich weiß."

„Kannst du dich nicht zusammenreißen, damit wir eine schöne Zeit zusammen haben? Ich muss schließlich morgen Abend wieder weg", gab sie bestimmend, aber versöhnlich zurück.

Ich nickte und versuchte ihr ein Lächeln zu schenken, doch hatte mich in meinem ganzen Leben noch nie so missverstanden gefühlt.

Wenn dann das hierWo Geschichten leben. Entdecke jetzt