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Und ich träume – sozusagen – von brennenden Barrikaden

Plärrte es aus der Bluetoothbox eines Teenagers mit rotem Mini-Irokesen, der vor uns vor der Polizeiabsperrung stand und jedes einzelne Wort mitschrie, während er leidenschaftlich die Faust in die Höhe streckte. Dieses Nest, das ich mein Heimatkaff nannte, war noch nicht komplett im Arsch, dachte ich, während ich nach Finn Ausschau hielt. Die Demo füllte sich immer weiter und langsam verlor ich den Überblick. Piet quatschte ein paar Meter entfernt mit Uwe und legte im gerade freundschaftlich eine Hand auf die Schulter, als ich zu ihnen rüber sah. Auch das Grüppchen an Rechten auf der anderen Seite der doppelten Polizeiabsperrung vor der zukünftigen Geflüchtetenunterkunft wurde langsam größer. Ich beobachtete zwischen den behelmten Bullen und ihren Mannschaftswagen hindurch, wie die Rädelsführer der Nazis Flyer und Plakate unter ihren Anhängern verteilten.

Wahrscheinlich hatte Finn es sich anders überlegt und würde nicht kommen, dachte ich gerade, als ich auf einmal seine Schiebermütze auf der anderen Seite der Absperrung sah. Auf der falschen Seite. Neben ihm sein Vater, wie sie sich langsam auf die Gruppe Nazis zubewegten. Fuck. So hatte ich mich wohl in ihm geirrt. Es versetzte mir einen Stich, ihn da auf der Seite der Rechtspopulisten zu sehen, ich hatte ernsthaft gedacht, wir hätten Freunde werden können. Er war mir so sympathisch gewesen.

Es war nicht so gut zu erkennen, was auf der anderen Seite abging, da die Sicht teilweise von Mannschaftswagen verstellt war und ungefähr 30 Meter zwischen den Absperrungen, die die gegenseitigen Demonstranten voneinander fernhalten sollten, lagen. Ich konnte Finns Gesicht nicht erkennen, doch es ging ein Ruck durch seinen Körper, als er suchend in meine Richtung starrte und mich schließlich entdeckte. Mit einem Mal entfernte er sich von seinem Vater, der ihn noch festhalten wollte und rannte los. Nein, er nahm Anlauf, um über die Absperrung zu springen. Ich riss überrascht die Augen auf. Das konnte er doch nicht ernst meinen. Da war er schon mit überraschender Geschwindigkeit über die erste Absperrung gesprungen und dachte anscheinend gar nicht daran umzudrehen. Mein Herz fing auf einmal schmerzhaft schnell zu schlagen an. Die Polizisten, die bis jetzt noch gelangweilt in die Gegend gestarrt hatten oder Instruktionen von ihren Vorgesetzten bekamen, setzten sich mit einem Mal in Bewegung, als sie Finn bei seinem waghalsigen Vorhaben entdeckten. Es war bei Weitem kein so großes Polizeiaufgebot, wie ich es von Demos in Hamburg kannte, doch es waren nun bestimmt 20 Bullen, die versuchten Finn einzukesseln, während er dabei war einen Haken zu schlagen, damit der Polizist, der am nächsten an ihm dran war, ihn nicht erwischte. Währenddessen sprang ich nach vorne zur Absperrung auf meiner Seite und schob die Menschen dort sanft zur Seite, um Platz für den angerannt kommenden Finn zu machen. Schnell versuchte ich den umstehenden Menschen klar zu machen, dass der angerannt kommende Junge kein Nazi war, der Stress anzetteln wollte, sondern dass wir ihm helfen mussten auf unsere Seite der Absperrung zu gelangen. Es ging eine Unruhe durch die Leute und viele verfolgten nun Finns Sprint von ihrem Platz hinter der Absperrung oder feuerten ihn sogar an. In dem Augenblick als er den finalen Sprung über die Absperrung auf meiner Seite machen wollte, packte ihn ein Polizist von hinten am Kragen. Er war noch ungefähr anderthalb Meter entfernt. Blitzschnell warf ich mich mit dem Oberkörper nach vorne und packte seine Hand, während mich eine fremde Person von hinten festhielt, damit ich nicht vorne über die Absperrung kippte. Ich spürte Finns Hand fest in meiner und sah seine schreckensgeweiteten Augen, während er zuerst von dem Polizisten nach hinten gezogen und dann von mir und den Menschen, die mittlerweile von hinten an mir zogen, nach vorne über die Absperrung gezogen wurde.

Mit einem kleinen Aufschrei wurde Finn von uns kopfüber über die Absperrung gezogen und landete halb auf mir, als ich nach hinten krachte. Schnell stellten sich die umstehenden Personen, wie ein Sichtschutz vor uns, um uns von dem rasenden Polizisten abzuschirmen, der noch „Sofort zurückkommen!" schrie. Auch als er anfing die Leute von der Absperrung wegzuschubsen, um Finn wieder entdecken zu können, drängten sich immer mehr Leute vor uns.

Wenn dann das hierWo Geschichten leben. Entdecke jetzt