❷❺ 🅚🅡🅘🅔🅖 🅤🅝🅓 🅛🅔🅘🅒🅗🅔🅝

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Siehst du den nicht, dass dies, das Ende der Welt ist?"¹
-A

(Arlette in einem Brief, Dezember 1970, an sich selbst)

Arlette Roosevelt-Mathers

Darcia, Eileen
Marktplatz, Phantomgassen
Oktober, 1945

Der Duce war tot. Das wurde klar als er an das Fenster getreten war und gegen die Regierung sprach.
Und der Schuss ist die endgültige Bestätigung gewesen.
Ihre Stimme war verhallt.

„Es wird einen Krieg geben", sagte Rosa zu ihr, als sie in der Nähe des Marktplatzes saßen.

Arlette fröstelte leicht und griff nach den dünnem, roten Schal neben ihr. Sie war sich unsicher ob es die Kälte oder die eben gesprochenen Worte waren, die so so zittern ließen.
Aber egal was es war: Arlette fror.
Kurzerhand schmiss sie den Schal über die Schultern und sah dann wieder zu Rosa.
Beide saßen auf der großen Tribüne, mit roten Nasenspitzen und müden Augen. Sie blinzelte, ließ ihre Augen länger geschlossen als nötig, weil es einfach so gut tat.
Dann öffnete sie die Augenlider wieder und mit einem Wimpernschlag war ihr kalt. Erneut.
Die Menschen zu ihren Füßen huschten wie kleine Tiere durch die Gänge, eingehüllt in dicke Mäntel oder dünne Decken.

„Denkst du echt heutzutage könnte es noch einen Krieg geben? Der letzte Krieg ist-" „Ist 20 Jahre her, ich weiß. Aber weißt du, was die alten Männer in den Wärmestuben sagen?", unterbrach Rosa sie und hob die Augenbrauen.
Arlette schüttelte den Kopf.
„Krieg und Menschheit", fing sie an, und hob ihre Hände hoch, „ gehen seit der Zeitrechnung Hand in Hand durch die Geschichte..."¹²
Rosa führte beide Hände zusammen und grinste sie an.

Sie saßen zusammen auf der großen Tribüne, mitten im Marktplatz, von der sie auf alle Stände hinunter blicken konnten.
Außer ihnen waren noch vereinzelte Jugendliche auf den Stufen.

Der Wind wehte erneut und veranlasste die beiden Mädchen enger zusammen zu rücken, um sich gegenseitig zu wärmen, vergebens.
Vor ihnen lagen einige rote Paprikas, die sie zuvor bei einem der Stände geklaut hatten.

Nachdenklich sah Arlette in die Luft, „Warum lassen die Menschen den Krieg dann nicht einfach los?"
Die brünette neben ihr zuckte nur mit den Schultern, „Warum rauchen Menschen? Warum morden und klauen wir?", fragte sie zurück, „ Weil wir es lieben, Arlette. Und wir lassen nichts los, was wir lieben, nicht mal wenn es uns zerstört."

Ich schwöre bei Gott, ich hasse dich....oh mein Gott, ich liebe dich...wie konntest du mir das antun, verdammt?", schallte die Stimme ihres Vater wider. Gemacht füreinander aber nicht gut füreinander...²
Arlette schüttelte den Kopf, als wolle sie die Erinnerung abschütteln und atmete dann tief durch.
Egal was jemals passieren sollte: Sie hatte sich fest versprochen, sich niemals zu verlieben.

„Warst du noch in Block F?", fragte Rosa dann beiläufig und sah der Menschenmenge unterhalb von ihnen zu.
Arlette schüttelte den Kopf. Seit den Schüssen hatte sie das Viertel gemieden und sich auf dem Marktplatz versteckt. Es war der einzig neutrale Ort in den Gassen, Sam nannte es immer Punkt 0. Der Platz gehörte allen und war frei von Gewalt oder Polizisten.
„Ich habe die Schüsse gehört...Favus hat heute die gesamte Staffel in die Stadt geschickt", erzählt Rosa weiter und kaute beiläufig an ihrem Daumennagel, „Die sollen sogar welche in den Zirkus geschickt haben"

Arlette zog die Augenbrauen zusammen, „Den Piccadillys?"
Ihre Freundin nickte, die Augen immer noch auf ihren Nagel gerichtet. Sie hasste es wenn jemand an seinen Nägeln kaute.
„Man munkelt dass die dort ein kleines Leichen Problem haben", fuhr die Ältere neutral fort und leckte sich dann über die Lippen.
Arlette atmete überrascht aus, „Eine Leiche? Wer?"
Ein Schulterzucken und ein gelangweilter Blick war alles, das Arlette bekam, „Wir haben größere Probleme als irgendwelche Gerüchte."
Sie deutete auf die Menschen unter ihnen und sah dann zu ihr.
Solange sie in den Phantomgassen leben, würde das ihr größtes Problem sein.
„Die Schutzgebühren steigen wieder³¹", erzählte Rosa weiter, „Cenk will zehn Pfennig mehr pro Tag."
Seufzend sah Arlette in den Himmel. Sie brauchte Geld für Essen, ihr Bett und für ihren Schutz. Niemals könnte sie alles bezahlen.
„Ich habe mir nie gewünscht auf der Straße zu leben"

NovemberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt