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Cecilia Piccadilly wurde am 13 März, 1946 tot in Marbolo aufgefunden. Zeugen berichteten, sie in der Nacht zuvor schreien gehört zu haben, die Polizei schließt nicht aus, dass es sich hierbei um einen Mord handeln könnte"

[Zeitungsartikel aus der Sectrum, März 1946]

Jonas Piccadilly

Darcia, Eileen
Piccadilly Zirkus, Platz 13
Oktober, 1945

Es gibt nur zwei Arten von Menschen, die wirklich fesseln", las Jonas vor und blätterte dann auf die nächste Seite.

„Leute, die alles wissen, und Leute, die überhaupt nichts wissen. Und Lilian ist definitiv letzteres." ¹

Cecilia Piccadilly saß ihm gegenüber, in ihren alten Ledernen Sessel und hörte mit geschlossenen Augen zu.
Jonas kannte das Buch bereits auswendig.
Seine Augen wanderten kurz zu seiner Großmutter hin, und dann wieder hinunter auf die Seiten, die er schon so oft gelesen hatte.

»Rosarote Lügen«, hieß das Buch, wahrscheinlich das einzige, welches Cecilia je gelesen hatte.
Jedenfalls hegte Jonas diese Theorie, denn es war das einzige Buch das er in ihrem Wohnwagen gesehen hatte und auch das einzige aus dem er je vorlesen musste.

„Weiter Jonas", bat seine Großmutter ihn ohne die Augen zu öffnen.
Innerlich seufzend lehnte Jonas sich zurück und sah dann wieder auf die vielen Wörter hinunter.
„Aber die Sache mit Lilian ist die: Sie ist eine schamlose Lügnerin. Manchmal denke ich, dass sie ihre eigenen Lügen glaubt", sprach Jonas weiter und fuhr dann mit dem Finger die Zeile entlang, um die Stelle nicht zu verlieren.
Es war ein später Sonntagabend, von draußen hörte man die gedämpften Stimme seiner Verwandten und die laute Musik von Asta.

Und wie für jeden Sonntag üblich, verbrachte der Junge den gesamten Tag mit seiner Großmutter.
Sie aßen zusammen, redeten und diskutierten, um anschließend zusammen in ihrem Lieblingsbuch zu lesen.
Von allen Wochentagen hasste Jonas den Sonntag am meisten.
Das war sicher.

„Es ist dieses Strahlen in ihren Augen, das sie hat sobald sie auch nur anfängt zu reden. Aber in letzter Zeit ist etwas an ihr anders", fuhr der Junge fort, „Ich bekomme immer mehr Blicke hinter den Kulissen...Ich denke, ich habe gelernt hinter die strahlende Fassade zu sehen. Aber das einzige hinter dieser Fassade, ist eine tiefe, dunkle Höhle. Eine Höhle, gefüllt mit rosaroten Lügen."

Seufzend legte Jonas das Buch zur Seite und platzierte die Arme dann rechts und links auf die Lehnen des Sessels.
Er spürte den weichen Stoff unter seinen Fingerspitzen und roch Orangen.
Ein Geruch, der den gesamten Raum erfüllte.
Seine Großmutter hatte die Augen noch geschlossen und verweilte einige Sekunden in ihrer Traumwelt, bevor auch sie seufzte und die Augen öffnete.

Er konnte Cecilia Piccadilly nicht leiden.
So wie er keinen aus seiner Familie leiden konnte.
Sie war bei weitem nicht die schlimmste, aber auch nicht die beste.
Der einzige Unterschied war, dass sie ihn leiden konnte.
Und zwar wirklich.

Manchmal wünschte Jonas sich, er könnte seine Oma mögen, aber sie war einfach zu anders, als dass er sie leiden könnte.
Sie war ein ehrlicher Mensch, was er zwar respektierte aber nicht mochte.
Er mochte keine ehrlichen Personen.
Personen die ihn mit der nackten Wahrheit konfrontierten.
Denn in Wirklichkeit, war eine Lüge viel besser als die kalte Wahrheit.

„Weißt du an wen ich bei diesem Buch immer denken muss?", fragte Cecilia und sah mit ihren trüben Augen ins Leere.
Sie hatte schon lange die Fähigkeit zu sehen verloren.
Aber auch wenn sie nichts sehen konnte, bekam sie alles mit.
Wenn es ihm schlecht ging, er etwas verheimlichte oder einfach nur reden wollte.
Die blinde Schlage sah alles.

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