7|Tulpen

12 3 6
                                    

Ich habe Gott erhört"

[Aussage von Lydia Creek, Januar 1951]

Lydia Lucrezia Black

Marbolo, Eileen
Ataviertel
November, 1945

Blaue Tulpen aus einzelnen kleinen Steinen zierten wie giftiges Efeu die Wohnzimmerwand und beobachteten mit ihrer kühlen Kälte die einzelnen Personen im Raum.
Ab und zu wurde es von einem helleren blau abgelöst, eins das weniger wie das kalte Meer war, und eher wie der warme Himmel in Darcia.
Denn Lydia fror in Marbolo. Nicht vor Kälte sondern vor Einsamkeit.
Ohne Frage war Marbolo wunderschön, mit den roten Dächern, bunten Blumen und lächelnden Gesichtern. Es war jedoch diese unsichtbare Kluft zwischen ihr und den Menschen, die sie einsam fühlen ließen. Wenn alle um eine bestimmte Zeit dem Gebetsruf folgten und Minuten später mit einem Blick im Gesicht zurück kamen, als hätten sie die Lösung für alle Probleme der Welt parat.
Es war dieser ruhige Blick in den Augen, eine merkwürdig friedliche Stille, die sich dann immer über alle legte jnd drohte sie zu erdrücken.

Manchmal kam es Lydia so vor, als würden sie alle auf einer Sprache reden, die sie nicht verstand. Und auch nicht verstehen wollte, so sehr Hercai oder Rüya sich darum bemühten.
Letztere war eine permanente Begleiterin in ihrem Alltag. Wenn Lydia morgens aufstand und hinunter in die Küche ging, stand dort schon eine hellwache Rüya und kochte zusammen mit Hercais Mutter das Frühstück. Vor dem Essen sprach Rüya auch meistens das Tischgebet, und wenn Hürrem etwas wollte wandte sie sich an die jüngere.
Und es würde Lydia eigentlich nicht stören, da sie arbeiten hasste, aber ein leichtes Gefühl der Eifersucht machte sich in ihr breit, wenn alle anderen zuerst auf Rüya zugingen und sie außen vor ließen.

Und so war es auch an jenem Tag, nicht mal eine Woche nach ihrer Ankunft, als sie zusammen mit den Mädchen Gizem und Rüya im Wohnzimmer saß und, tatsächlich, Stofftücher bestickte.
„Wenn du die Nadel etwas mehr nach links einstichst kriegst du einen besseren Stielstich hin", erzählte Gizem und deutete mit dem kleinen Finger auf Rüyas weißes Tuch.
„Aber dann verheddert mein Faden sich immer und ich habe einen riesigen Knoten", seufzte angesprochene und wedelte mit dem Stück Stoff herum.
Lydia erkannte kleine rosane Blüten am Rand, die Rüya als Nelken beschrieben hatte. „Wie kleine pinke Küsse", hatte sie lächelnd gesagt und sich den grellsten Faden heraus gesucht.
Sie selbst hatte sich für die kühlen blauen Tulpen entschieden, die sie jeden Tag in diesem Haus bewachten. Aber wenn sie auf ihr Tuch hinab sah, erkannte sie nicht wirklich eine Blume, sondern ein Durcheinander aus grünen und blauen Fäden.

Zu ihrer Überraschung konnte Gizem am besten sticken, ihre Rosen waren so fein auf das Tuch gestickt worden, dass sie staunen musste.
Denn eigentlich hatte sie Gizem als aufgeregte und unruhige Person eingeschätzt, aber zu ihrer Verblüffung hatte sie eine ruhige und fast schon sinnliche Seite.
Vielleicht passten rote Rosen ja sogar am besten zu ihr.
„Versuch den überschüssigen Faden um deinen Finger zu wickeln und zieh ihn auch immer wieder auf, damit sich keine Schlaufen bilden", gab Gizem dann den Rat und sah zu, wie Rüya den pinken Faden um ihre Fingerspitze wickelte.

„Warum müssen wir das eigentlich machen?", fragte Lydia und versuchte mit den beiden ein Gespräch aufzubauen.
Die Mädchen hoben ihren Blick und sahen dann überrascht zur älteren hin, als würden sie erst jetzt bemerken, dass sie hier war.
Innerlich wurde Lydia kleiner, versuchte aber sich nichts anmerken zu lassen.
„Das ist für unser Cheyiz¹", fing Rüya an und setzte ihre Stickerei fort, „Das ist ein Teil der Aussteuer, den eine Frau mit in die Ehe bringt."
Ihre Sitznachbarin nickte ihr zustimmend zu und durchtrennte ihren Faden mit einer kleinen Schere, „Das ist eine große Kiste, mit allem was du später brauchen wirst. Töpfe, Kleidung, Tischdecken..."

NovemberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt