❾ 🅢🅞🅜🅜🅔🅡🅦🅔🅘🅝

37 4 11
                                    

Vincent Lee Ruadh, bekannt als der menschliche Bär, wurde vorherigen Samstagabend tot aufgefunden.
Der 24-jährige war ein Mitglied des Piccadilly Zirkus und leitete dort die Bären dressur.
Nach 3 Tagen Prozess wird der Mörder, sein jüngerer Bruder Cailan Kaselowski, gefasst und zu lebenslanger Haft verurteilt. Grund für den Mord: Neid"

[Schlagzeile aus der Zeitung "Sectrum", Februar 1946]

Vincent Lee Ruadh

Darcia, Eileen
Piccadilly Zirkus, Platz 13
1945, September

Vincent war taub. Für den Bruchteil einer Sekunde war er taub und hörte nur das Klingeln in seinem Kopf, nachdem er abgedrückt hatte.
Sein Blick ruhte auf die Gestalt am Boden, und er wartete darauf, dass Rasputin sich erhob und ihm die Hand reichte.
Aber er lag da einfach nur rum.

Vincent drehte sich zu den Menschen um, die in Richtung des Freak Zeltes liefen und nur noch vereinzelte Gäste blieben draußen zurück. Er sah seinen Bruder Cailan, der zu den Trailern huschte, wo Creek und Black Arm in Arm spazierten und blickte dann wieder auf Rasputin.
Vielleicht war er ja eingeschlafen?
Mit vorsichtigen Schritten, um ihn nicht aufzuwecken, nahm er ihm auf die Arme und stützte seinen Kopf mit der Hand. Die Schusswunde sah verdammt echt aus.

„Vince, du weißt was zu tun ist, oder?", fragte seine Cousine Runa, und lehnte sich am Wischmop ab.
Der Bär nickte, „Zum Fluss."
Verabschiedend nickte er ihr zu und lief dann hinter dem Podest hinüber zu den Büschen, die in leichter Entfernung lagen.
Am Fluss war es kühler und das leichte Rauschen wirkte beruhigend.
„Komm Putin, wir schwimmen jetzt ein bisschen", sprach er dann leise und wollte in die Hocke gehen. Dann ging ihm ein geistesblitz auf.
„Was sage ich hier eigentlich...", fragte er verwirrt, „Du kannst doch gar nicht schwimmen!"
Leise lachte er und sah sich dann um. Vom Zelt her hörte er Applaus und sah das helle Licht der Manege. Wohin sollte er Rasputin bringen?
Verzweifelt drehte er sich im Kreis, sah zu den Büschen hin und dann wieder zum Fluss. Das Wasser war viel zu kalt.

„Putin", sagte er dann, „Was hälst du von meinem alten Trailer?"
Er nahm das schweigen als Antwort hin stemmte den Körper mit einem Ruck wieder hoch und spazierte den Weg hoch zu der Bühne, wo eben noch aber viele Menschen versammelt waren.
Vor einigen Minuten stand er im Mittelpunkt aller Gäste und nun war er irgendjemand im Schatten. „Heute Abend ist es kälter als Gestern, aber keine Sorge, ich habe noch Decken in meinem Bett", flüsterte er seinem Cousin weiter zu und sah dann auf ihn hinunter.
Keine Reaktion.

War er sauer auf ihn? Vincent seufzte und schlängelte sich durch die Wohnwagen, bis sein eigener ganz hinten auftauchte.
Er war lange nicht mehr hier gewesen und hatte oft bei Cailan geschlafen.
Leise stieg er die Treppen hoch und öffnete mit einer Hand vorsichtig die Türe um hinein zu treten. Die Luft war stickig und vielleicht hätte er lüften sollen.
„Hey Putin, weiß du was für eine Zeit es jetzt ist?", fragte er dann beiläufig und lief durch den Vorhang hindurch in seine Bettkammer.
Er musste seitlich gehen um durch den schmalen Gang zu passen und legte Putin dann sachte auf sein Bett. Es war etwas staubig, aber ganz okay.
„Du hast es erraten", antwortete er sich dann selbst und lächelte, „Es ist Zeit für Sommerwein!"

Vincent bückte sich unter sein Bett und zog dann einen Schuhkarton hervor, mit abgefüllten braunen Flaschen.
"Sommerwein", stand dort in krakeliger Schrift drauf. Nachts, wenn alle andere am schlafen waren, hatten sie sich zu zweit getroffen und Flaschenweise Sommerwein getrunken, wobei er das meiste hatte. Und danach schlief er immer wie ein kleines Baby.

Mit einem zischen öffnete sich die Flasche und Vincent nahm genüsslich einen Schluck, „Du auch Putin?"
Putin schwieg immer noch. Langsam lehnte er sich vor und fasste seinem Cousin an die Hand.
Sie war eiskalt.
Vincent ließ die Flasche fallen, welche zerschellte und ihre rote, klebrige Flüssigkeit über den gesamten Boden verteilte.
Hastig erhob er sich und warf eine Decke über den Jungen, darauf bedacht, dass sein ganzer Körper bedeckt war. Und erst dann bemerkte er die Wunde an seiner Stirn.
„Was zum-", murmelte er, entzündete eine Laterne und hielt sie näher ans Bett. Da war ein dunkelrotes Loch, das in seine Stirn hinein ging und merkwürdig roch.
Vage erinnerte er sich an Worte die Rasputin einmal gesagt hatte, konnte aber nicht den Kontext herausstellen.
„Ich gebe mir lieber die Kugel, als Gottes Zorn zu spüren."

NovemberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt