❶❷ 🅗🅐🅘🅛 🅗🅞🅜🅔🅡

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Der Zirkus ist tot. Die meisten sitzen im Gefängnis, sind verschollen oder schon lange tot. Und ich bin zurückgeblieben, alleine."

[Aussage von Larissa Piccadilly, 1966]

Jonas Piccadilly

Darcia, Eileen
Platz 13, Piccadilly Zirkus
1945 September

Jonas konnte sich an keine Zeit in seinem Leben erinnern, in denen er nicht gehasst hatte. Hass war etwas so alltägliches für ihn, wie das morgendliche Aufwachen und so einfach wie das Atmen.
Er wusste nicht wie oder warum, er tat es einfach.
Und er glaubte nicht daran, dass es Menschen gab die nicht hassten, die von Grund auf ehrlich waren. Die Welt war voll mit lügenden und naiven Menschen.

So wie er durch die Vorhänge in die Manege sah, erkannte er nur Idioten aus der Mittelschicht.
Leute, die herkamen, um sich mit dem Anblick von Freaks zu vergnügen.
Um sich zu erinnern, dass sie selbst nicht die wahren Monster waren.
Dabei war ihr einziger Vorteil der, dass ihr äußeres nicht ihr inneres spiegelte.

„Und kommen Sie zu unserer nächsten Freakshow", beendete Alba den Abend und trat aus dem gleißenden Scheinwerferlicht der Bühne.
Das riesige Meer aus Zuschauern applaudierte, und pfiff ihnen zu.

Seufzend stand Jonas von seinem Stuhl auf und beobachtete wie die dunklen Samtvorhänge zufielen und die Statisten sich nacheinander sammelten.
Obwohl draußen tiefste Nacht herrschte, war es im Statistenzelt blendend hell, mit vielen Laternen und Lichtern.

Auf den Tischen sammelten sich Pappteller, mit verschiedenen Gerichten und halbleeren Glasflaschen.
Während der gesamten Show über, saßen sie hier im Nachbarzelt und hörten dem Beifall der Zuschauer zu.

Er schob einige der weißen Plastikstühle heran, damit die anderen, welche alle nacheinander eintrudelten, Platz finden konnten.
Es war wie ein Ritual, dass sie sich nach jeder Show, hier hinten trafen, bis alle Gäste den Platz verlassen hatten und sie mit dem Abbau anfingen.
Obwohl das gesamte Zirkusleben, ein sich immer drehendes Rad war, stand es nach seinem Höhepunkt, nach der Show, für genau eine Stunde still.
Eine einzige Stunde, in der sie sich entspannen konnten.

„Muss ich immer als Zwerg-Homer angekündigt werden? Einfach Homer würde reichen, die Leute sehen doch schon, wie klein ich bin", ertönte es bereits zu seiner Rechten.
Mit fragenden Blick sah der Junge nach unten, wo sein Cousin wild mit den Armen gestikulierte.

Jedenfalls glaubte Jonas, dass er sein Cousin war, aber er könnte auch sein Onkel sein, so wirklich klar war das nie.
Sein kleines Gesicht war bärtig und wutverzerrt, so wie eigentlich immer.

Jonas schnaubte leise und ging dann hinüber zu den Tischen, um nach seiner Flasche zu greifen.
Von hinten erklang ein belustigtes Schnauben und Jonas blickte in das Gesicht von Runa, der, nicht ganz so hübschen, Halbschwester von Asta. „Tolle Showeinlage Schwesterherz", sagte sie und hob zuprostend eine Flasche hoch. Asta, die am anderen Ende des Zeltes stand verdrehte nur die Augen und zog ihren Mantel enger um sich.

Das Gemurmel der Gäste draußen wurde immer leiser, woraus er schlussfolgerte, dass das Zelt gleich komplett leer sein würde.

Grummelnd dachte Jonas an die ganzen Abbauarbeiten die dann folgen würden.
Sein Rücken tat von gestern Abend noch weh und er spürte diese grausame Verspannung in seinen Schultern.
„Der Star der heutigen Show war heute aber sowieso unser geliebter Cousin Homer, habe ich nicht recht Leute?", sagte Asta nun und lief zu Jonas hinüber, um ihm die Flasche aus der Hand zu nehmen.

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