Evans Tante Claire stellte sich als eine der coolsten Erwachsenen heraus, die ich jemals kennengelernt hatte. Breit grinsend bot sie uns die Stühle vor ihrem Schreibtisch an, die wir erst unter einem Haufen Akten und Mappen freigraben mussten, und schloss erst einmal ihren Neffen in eine stürmische Umarmung.
"Ich hatte gedacht, dass wir uns öfter sehen würden, jetzt da du auf dieses Internat in London gehst! Aber ich sehe schon, es gibt hier Interessanteres als mich."
Bei diesen Worten zwinkerte sie uns über seine Schulter hinweg zu, woraufhin Flo so rot wie eine Tomate anlief, ich unverschämt grinste und Evan ein wenig in sich zusammensackte.
"Ich wollte dich wirklich schon früher besuchen, aber der Schulstress und alles...", verteidigte er sich verzweifelt, doch Claire winkte bloß lachend ab:
"Beruhige dich, jetzt bist du ja hier! Ihr habt also ein Schulprojekt über Jack the Ripper, den alten Hund. Ich habe alles herausgesucht, was euch nützen könnte, und noch ein bisschen mehr. ...Kaffee?"
Abwartend hielt sie eine Kanne hoch und ich machte den Fehler zu nicken. Sofort stürzte sie sich nämlich in weitere archäologische Arbeiten, die ein Regal hinter ihr betrafen, bis sie fünf Minuten später mit Tassen zurückkehrte.
Dankend nahmen wir den Kaffee an, dann lehnte sich Claire in ihrem abgewetzten Sessel zurück und begann zu erzählen:
"Um einige Aspekte dieser Mordserie besser verstehen zu können, solltet ihr erst einmal verinnerlichen, wie das London der damaligen Zeit aussah. Die Stadt war das reinste Loch, die Bevölkerung explodierte und die Kriminalitätsrate war hoch. Stellt euch das ruhig intensiv vor, die Straßen stanken, der Fluss stank, die Menschen stanken.
Und inmitten der Armut und des ganzen Drecks begann im Jahre 1888 der erste Serienmörder, mit einer so weitreichenden Medienpräsenz wie noch nie damals, sein Unwesen zu treiben. Sie nannten ihn auch den Whitechapel Murderer, da Whitechapel seine bevorzugte Gegend war, oder Leather Apron, doch Jack the Ripper hatte sich am besten durchgesetzt.
Es geschahen mehrere Morde, die man dem Ripper zuschreibt, alle in Straßen von London und hauptsächlich an Prostituierten begangen. Doch bei den kanonischen Fünf ist man sich am sichersten, dass ein und dieselbe Person dafür verantwortlich ist."
Bei diesen Worten von Claire blickte ich bedeutungsschwer zu Flo, die besorgt zurücksah. Wir beide hatten uns an das erste Gedicht des Unbekannten erinnert, der schon dort die kanonischen Fünf erwähnt hatte.
"Die Namen der Opfer waren..."
Verplant durchstöberte die Frau eine der Mappen, bis sich ihr Gesicht erhellte:
"Ah! Hier haben wir es! Mary Ann Nichols, Annie Chapman, Elizabeth Stride, Catherine Eddowes und Mary Jane Kelly! Die Armen, er hat sie so grausam zugerichtet...
Jedes der Mädchen starb, weil man ihr die Kehle durchschnitt und bis auf Elizabeth Stride wurden sie alle in der Leistengegend verstümmelt. Doch bei Ms Stride ist man sich trotzdem sicher, dass sie zu den Ripper-Morden zählt, da er wahrscheinlich bei seinem furchtbaren Vorgehen gestört wurde."
"Und nach diesen fünf Toten hörte die Mordserie einfach auf? Wie erklärst du dir das?", fragte Evan daraufhin und runzelte nachdenklich die Stirn. Doch Claire lächelte nur und meinte:
"Streng dich ein bisschen an! Was könnte einen Serienmörder davon abhalten weiter zu morden?"
"Vielleicht wurde er wegen kleinerer Vergehen eingesperrt und in dem Gefängnis, in dem er inhaftiert war, gab es natürlich niemanden, der seiner Zielgruppe entsprach!", mutmaßte ich, woraufhin sie begeistert grinste.
"Guter Ansatz, noch jemand irgendwelche Ideen? Du vielleicht?", fragte sie an Flo gewandt, die intensiv nachdachte und dabei auf ihrer Unterlippe herumkaute.
"Zuerst dachte ich, dass er vielleicht das Land verlassen hat. Doch ein Serienmörder kann meistens nicht einfach aufhören, das heißt er ist entweder besser geworden und niemand hat ihn als Jack the Ripper erkannt, oder es ist nicht des Rätsels Lösung.
Er war psychisch krank, davon ist auszugehen. Vielleicht haben sie ihn in eine Anstalt eingewiesen, ohne zu wissen, wen sie vor sich hatten."
Claires Augen funkelten und sie klatschte in die Hände, woraufhin Evan nüchtern einwarf:
"Er könnte auch einfach gestorben sein."
"Auch das ist möglich, mein Lieber! Alle eure Theorien sind auch den Experten bekannt, doch was wirklich geschehen ist, weiß niemand. Ich habe euch ein paar Berichte aus unserem Archiv ausgedruckt, auch über die Morde, bei denen man sich nicht sicher ist, ob sie dem Ripper zugeschrieben werden können. Ich glaube, dass hier genug Stoff für einen anständigen Vortrag dabei ist.
Habt ihr sonst noch Fragen?"
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Arcanum - die Akademie der Hexenkunst
FantasyAgatha Young sah mich nachdenklich an, dann blickte sie um sich und zog mich zu einem der Fenster. Mit einem Satz saß sie auf der Fensterbank und bedeutete mir es ihr gleichzutun. Also kauerte ich mich neben sie, woraufhin sich die Frau räusperte un...