Kapitel 20

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-poch poch poch poch ...Pause... poch poch-

Grinsend öffnete ich unsere Zimmertür und stand Dylan gegenüber, der noch immer die Hand erhoben hatte, mit der er gerade angeklopft hatte. Hinter ihm standen Evan, der ein wenig nervös den dunklen Gang hinab sah, Jake und James.
"Auch Hi an dich, Dylan!", rief Sam, die über ihrem Bett schwebte und in einer Zeitschrift blätterte. Verwirrt blieb er stehen und starrte sie an, woraufhin ihn James von hinten anstupste:
"Beeil dich mal, ich will nicht weiter hier draußen stehen bleiben."
Dylan stolperte daraufhin los und fand endlich die richtigen Worte:
"Du kannst Morsecode?", fragte er Sammy entgeistert, die nur unbeeindruckt nickte und langsam wieder auf ihre Matratze hinabsank.
"Mein Dad ist von der Bastler- und Forschersorte, also fand er es ziemlich wichtig seiner 8-jährigen Tochter das Morse-Alphabet beizubringen.", erklärte sie, woraufhin er sprachlos den Kopf schüttelte und sich auf Debbies Schreibtischstuhl setzte.

Der Digitalwecker von Flo zeigte 22:14 Uhr an, seit einer Viertelstunde galt also die Nachtruhe und die Jungs sollten eigentlich in ihrem eigenen Zimmer sein. Doch natürlich hatte unser Vorhaben Vorrang.
"So langsam glaube ich, dass wir Elizabeth einfach die Wahrheit erzählen hätten können. Weil wie hätte sie schon reagieren sollen, wenn wir ihr sagen, dass wir Jack the Ripper heraufbeschwören wollen? Sie hätte uns ohnehin nicht geglaubt.", stellte Evan fest und lachte nervös auf, während er sich auf Flos Bett setzte.
"Du hast nicht Unrecht, aber wahrscheinlich hätte sie das nur noch wütender gemacht.", meinte Debbie und sah verträumt aus dem Fenster.
"Trotzdem sollte sie uns heute Nacht keinen Ärger mehr machen. Ich habe vorhin noch bei Clover vorbeigeschaut, die lassen die gute Lizzie heute nirgendwo mehr hingehen. Es hat eigentlich nur noch gefehlt, dass sie sie auf ihrem Bett festschnallen. Das gesamte Zimmer kümmert sich hingebungsvoll um die Arme.", klärte uns Jake sarkastisch auf, woraufhin Debbie beinahe von ihrem Bett fiel:
"June auch? Ich meine, das wäre sicher sehr lieb von ihr und so..."
Jake zuckte jedoch nur mit den Schultern:
"Keine Ahnung, ich habe hauptsächlich mit Clover geredet."

Ich biss die Zähne zusammen und lief hinüber zu Flo, die gerade aus ihrer Schreibtisch-Schublade unsere geklauten Materialien kramte.
"Wie gut, glaubst du, stehen die Chancen für die Beschwörung?", fragte ich sie leise, woraufhin Florence mit gerunzelter Stirn aufsah:
"Wenn du meine ehrliche Meinung willst:
Besser, als wir von uns selbst erwarten, aber schlechter, als wir uns erhoffen."
"Sehr kryptisch, trotzdem hast du wahrscheinlich Recht."
Dann setzte ich mich auf und sah in die Runde der Leute, die ich erst seit wenigen Wochen kannte, und die mir trotzdem schon mehr bedeuteten, als ich erwartet hatte.
Dylan saß gerade, als hätte er einen Stock verschluckt, auf seinem Platz und unterhielt sich mit Sam, die auf ihrem Bett lümmelte, über Morsecodes. Debbie sah nachdenklich aus dem Fenster, Evan inspizierte die Bücher auf Flos Nachtkästchen und James lachte über etwas, das ihm Jake gerade erzählt hatte.
Und nun würde ich sie alle vielleicht tiefer in die Sache mit hineinziehen, als gut für uns alle war.
"Wollen wir anfangen?", fragte Florence vorsichtig, die neben mir auf dem Boden kniete und mich besorgt ansah, woraufhin ich stockend nickte.
Jetzt gab es kein Zurück mehr.

Eine halbe Stunde später war alles soweit aufgebaut, dass wir jeden Moment beginnen konnten.
Auf dem Zimmerboden lag ein etwa 1 x 1 Meter großes Leinentuch, das in einem tiefen Dunkelblau eingefärbt war, und darauf waren mit weißer Kreide verschlungene Zeichen und Symbole gezeichnet. Wir hatten sie so genau wie möglich aus dem Buch der Bibliothek abgemalt, doch das Ergebnis konnte sich definitiv sehen lassen. Je länger ich auf die Kreidezeichnung sah, desto mehr erkannte ich die Ähnlichkeit mit einer Uhr, was nur allzu gut zum Gedicht des Unbekannten passte.

Dreh' die Zeit zurück und dann nach vorn, bis die Toten tanzen.

Die drei Kerzen, die ich heute entwendet hatte, brannten gemeinsam mit sieben weiteren in angelaufenen Kerzenhaltern aus Messing, und in der Luft lag der Geruch von getrockneten Rosenblättern. Wir alle saßen im Kreis um das Tuch herum und vor jedem Einzelnen lag ein schwarzer Turmalin. Ich hatte nachgesehen, er war bekannt dafür vor negativen Energien und Einflüssen zu schützen. Das konnten wir wirklich gut gebrauchen, wenn es um Jack the Ripper ging. Neben dem Turmalin hatte jeder von uns auch noch einen getrockneten Schmetterlingsflügel vor sich liegen. Die toten Flügel sahen gleichzeitig so schön und doch so makaber aus, dass ich meinen Blick nur schwer von ihnen abwenden konnte.
Außerdem durften wir uns nun nicht mehr viel bewegen, denn mithilfe eines Kompass hatten wir uns nach den angegebenen Himmelsrichtungen niedergelassen.
In der Mitte lag, auf einem Bett aus Pompeji's Vulkanasche, das Springmesser, das im letzten Umschlag gewesen war. Es glitzerte im Schein der Flammen und verbreitete eine so unangenehme Aura, dass wir die Klinge alle mit Unbehagen musterten.

Ich saß gen Norden gerichtet, links von mir hatte Florence Platz genommen und rechts Jake. Wenn ich geradeaus blickte, konnte ich James sehen, der im Süden kniete, während an seiner Seite Debbie und Sam ihren Platz eingenommen hatten. Evan und Dylan waren nicht mehr in meinem Blickfeld. Die Deckenlampe hatten wir ausgeschaltet, deshalb war der gesamte Raum in ein schummriges Licht getaucht und meine Eingeweide krampften sich vor Nervosität zusammen. Es hatte keinen Sinn es zu leugnen: ich hatte Schiss.
"Wer macht denn den Scyomanten? Irgendjemand muss die Séance leiten.", begann Evan mit einem Räuspern, woraufhin sich Dylan zögerlich meldete:
"Ich glaube, dass ich mich am meisten von uns mit dem Text beschäftigt habe. Ich kann ihn auswendig und der Scyomant muss immer viel reden, also klingt das nach etwas für mich."
Wir anderen nickten und im Geiste ging ich ein letztes Mal die paar Sätze durch, die wir einstudiert hatten. Es durfte niemandem ein Fehler unterlaufen, sonst war die Beschwörung hinfällig.
"Also, legen wir los?", fragte Jake und erneut nickten alle. Doch bevor Dylan beginnen konnte, meldete ich mich ein letztes Mal zu Wort:
"Ich wollte mich nochmal bedanken. Keiner von euch müsste tun, was wir gerade machen, aber trotzdem seid ihr alle hier. Das bedeutet mir sehr viel."
"Wir sind doch Freunde, oder? Da macht man sowas für einander.", meinte James grinsend, woraufhin ich ihm ein gequältes Lächeln schenkte.
Dann ging es los:

"Ich begrüße herzlich alle Anwesenden dieser Scyomantie, ob tot oder lebendig.
Heute werden wir Zeuge der Beschwörung des Besitzers dieses hier dargebotenen Gegenstands.
Die Teilnehmer verpflichten sich alle dazu, ihre Energie für den Ruf zu opfern, der bis in das Reich der Toten schallt.
Gebt euch nun die Hände!"
Dylans sonst so staubtrockene Stimme zitterte ein wenig, als er das Protokoll der Beschwörung eröffnete, doch ich hätte ihm nicht dankbarer sein können. Er hatte mit der Leitung eine unglaublich große Verantwortung übernommen, für die ich ihn nicht beneidete.
Ich neigte meinen Kopf in Flos Richtung und sah, dass sie sich nervös auf die Unterlippe biss, als ich nach ihrer Hand tastete. Rechts von mir griff seinerseits Jake nach meiner Hand und ich konnte spüren, wie er mit dem Daumen über meinen Handrücken fuhr, direkt über die feine Narbe. Erleichtert drückte ich seine Hand, es tat gut zu wissen, dass sie alle da waren.
Daraufhin fuhr Dylan fort:

"Oh Frau Hekate, erhört unsere Bitte und gewährt uns einen Blick in die Schatten!
Oh Frau Hekate, Wächterin der Tore zwischen den Welten, erhört unsere Bitte und verwehrt der Seele nicht den Durchlass!
Oh Frau Hekate, erhört unsere Bitte und schenkt der Seele den Schein des Lebens!"

Daraufhin sah er uns alle demonstrativ an und nickte, woraufhin wir gemeinsam sagten:
"Σας προκαλούμε, Ἑκάτη ! ("Wir fordern euch heraus, Hekate!")"

Mit einem Mal hatte ich das Gefühl, als ob die Flammen heller und höher flacken würden, und der Rosenduft intensivierte sich. Die Blumen rochen nun beinahe, als ob wir in einem weitläufigen Rosenfeld stehen würden. Die Schatten schienen näher zu kriechen und es fühlte sich so an, als ob mir jemand Eiswasser den Rücken hinablaufen lassen würde. Reflexartig schüttelte es mich, doch den anderen schien es genauso zu gehen.
Es fühlte sich nicht mehr so an, als ob wir alleine wären. Eine Macht, die alles überstieg, das ich jemals erfahren hatte, breitete sich in diesem kleinen Zimmer aus und nahm jeden kleinsten Winkel ein.
Mit einem Mal fuhr Bewegung in die toten Schmetterlinge und sie flatterten mit den Flügeln, um dann schillernd durch die Luft zu fliegen. Beeindruckt sah ich zu ihnen auf, wie sie mal hier hin und mal dorthin gaukelten.
Dann senkte ich meinen Blick zur Mitte des Zirkels, in völliger Erwartung, dass sich jetzt die schattenhafte Gestalt eines Mannes über uns abzeichnen würde. Doch dem war nicht so.
Wir warteten und warteten, aber es geschah nichts.
Und so langsam verblasste der Geruch der Blumen, die Flammen flackerten ein letztes Mal hoch auf und brannten dann wieder so niedrig wie vorher, die Schatten zogen sich zurück. Sogar die Flügelschläge der Schmetterlinge wurden müder, bis sie langsam zu Boden segelten und wieder tot und glanzlos dalagen.
Der Zauber war zu Ende, doch die Beschwörung hatte trotzdem nicht funktioniert.
Es fühlte sich an, als ob sich mein Magen in einen massiven Feldstein verwandelt hatte.
War das alles gewesen?
Hatten wir versagt?
Schweigend warteten wir noch einen Moment, als James schließlich die Stille durchbrach:
"Ich befürchte, dass wir gerade alle dasselbe denken und deshalb können wir glaube ich das Protokoll unterbrechen. Es hat nicht funktioniert."
Damit löste er eine Welle von Unverständnis aus, die sich hauptsächlich auf Jack the Ripper höchstpersönlich konzentrierte:
"Wir haben doch alles richtig gemacht! Ihr habt es doch auch gespürt, oder? Wir waren soweit!", beschwerte sich Sam und Jake nickte beipflichtend.
"Es war... unglaublich!", hauchte Debbie und starrte in die Kerzenflammen.
"Ich verstehe das nicht! Wir haben die gesamte Anleitung exakt umgesetzt!", schimpfte Flo und kramte ihren Zettel hervor, während ich völlig in mich selbst zusammensackte.
Wir hatten versagt.

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