Kapitel 30

102 5 2
                                    

"Ich bleibe dabei, du wirst das Nachsitzen nach maximal zehn Minuten hassen und alles bereuen!", betonte ich nun schon zum hundertsten Mal, während Jake und ich durch die verzweigten Gänge des Schulgebäudes hasteten.
"Das ist Blödsinn und du weißt das! Also-... Verdammt Charlie! Warum rennst du so?", beschwerte er sich verärgert und hielt einen Moment lang auf dem Treppenabsatz inne. Schwungvoll drehte ich mich und sah auf Jake hinab, der nur wenige Stufen unter mir stand:
"Weil wir sonst zu spät kommen! Findest du nicht, dass die Tatsache reicht, dass wir überhaupt Nachsitzen haben? Ich weiß ja nicht, wie es dir geht, aber ich kann mir keine Fehler mehr leisten."
Jake zog die dunklen Augenbrauen zusammen und für einen Moment dachte ich, dass er ebenfalls gereizt antworten würde, doch stattdessen grinste er nur überheblich:
"Weißt du, dass du die einzige Person bist, die Angst davor hat zu spät zum Nachsitzen zu kommen? Leute, die dort normalerweise hin müssen, interessiert das nicht."
Ich rührte mich nicht, während er ein paar Schritte auf mich zu machte und nun auf der Stufe unter der meinen stand. Still verfluchte ich, dass wir dank seiner Größe nun auf gleicher Höhe waren und er mir direkt in die Augen schauen konnte.
"Statistisch gesehen kann ich gar nicht die einzige Person sein.", erwiderte ich stockend und begann wieder die Treppe zu besteigen, verzweifelt darauf bedacht nicht daran zu denken wie nah er mir gerade gewesen war.
Jake lachte nur, während wir den Gang entlang liefen und unsere Schritte laut von den Wänden widerhallten. 

"Tut uns leid, Professor! Wir sind aufgehalten worden!", entschuldigte ich mich hastig bei Professor Finch, als Jake und ich durch die Tür seines Klassenzimmers stürzten. Der Lehrer saß bereits hinter seinem Schreibtisch und inspizierte ein paar Pergamente, aber schien sich von unserer verspäteten Ankunft nicht stören zu lassen.
"Ja, wir sind untröstlich!", fügte Jake hinzu und grinste so unglaubwürdig, dass ich ihm am liebsten auf den Fuß getreten wäre. 
"Keine Sorge, es ist ja nicht viel Zeit verloren gegangen.", antwortete der Professor mir einem milden Lächeln und strich sich gedankenverloren über den Bart, ohne uns dabei groß zu beachten.

Ich ließ mich auf meinen gewohnten Platz fallen und zog eine der Dokumentenkisten heran, während Jake in aller Ruhe zu dem Tisch neben meinem schlenderte.
Dabei schien auch Finch wieder einzufallen, dass bis jetzt nur ich wusste, worin das Nachsitzen bestand. Er stand auf und erklärte Jake im Schnelldurchlauf was er zutun hatte.
So arbeiteten wir zu dritt Seite an Seite etwa eine Viertelstunde lang, als Finch langsam unruhig wurde.
Wie schon am letzten Nachmittag stand die hitzige Luft im Klassenzimmer und selbst das geöffnete Fenster brachte keine richtige Abkühlung. Der aufgewirbelte Staub glitzerte im hellen Sommerlicht und sah so hypnotisierend aus, dass es mich nicht wunderte, als Finch herzhaft zu gähnen begann. 
Belustigt beobachtete ich, wie er sehnsüchtig aus dem Fenster hinaussah und sich schließlich zu der Frage erbarmte, die ihn scheinbar sehr beschäftigte:
"Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich... Nun ja, kann ich Sie beide allein lassen und mich darauf verlassen, dass Sie nicht abhauen?"
Ich versuchte Jakes breites, wenig Vertrauen erweckendes Grinsen zu ignorieren und antwortete für uns beide:
"Ja, klar! Wir machen einfach mit dem Sortieren weiter."
"Genau, ganz bestimmt.", fügte er hinzu, was so sarkastisch klang, dass es mich überraschte, wie problemlos Finch es überhörte. 

In dem Moment, als die Tür zufiel, ließ Jake die Dokumente fallen, die er in den Händen gehalten hatte und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Währenddessen versuchte ich mich weiter auf die Arbeit zu konzentrieren, auch wenn eigentlich genauso wenig Lust drauf hatte wie er. 
Ich biss mir nachdenklich auf die Unterlippe und versuchte gerade einen besonders ausgeblichenen Text zu identifizieren, als ich Stuhlbeine über den Boden kratzen hörte. 

"Machst du das jetzt wirklich die nächsten zwei Stunden lang?"
Jakes Stimme drang so nah an mein Ohr, dass ich beinahe selber von meinem Stuhl kippte. 
"Wenn nicht, dann fällt das bestimmt auf und ich will keinen zusätzlichen Ärger.", verteidigte ich mich und starrte wieder auf den Zettel hinab, woraufhin er leise auflachte:
"Du hast ja nicht mal Unrecht. Na gut, dann sortiere ich auch weiter!"
Überrascht sah ich zu wie er wieder hinüber zu seinem Platz lief und tatsächlich begann die verschiedenen Papiere durchzusehen. Jake bemerkte meinen Blick und zog die Augenbrauen hoch:
"Du traust dich doch eh nicht."

Arcanum - die Akademie der HexenkunstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt