Kapitel 48

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Lustlos stocherte ich in meinem Abendessen herum, während ich versuchte dem Drang zu widerstehen, einfach aufzustehen und zu gehen. Obwohl ich den Tag so optimistisch begonnen hatte, war er zu einer einzigen Katastrophe ausgeartet. Als Jake und ich endlich unter dem Bett hervorgekommen waren, hatte ich feststellen müssen, dass Ginger humpelte und das Springmesser von Jack the Ripper fehlte. Das war die Bestätigung gewesen: der Mann musste der Briefeschreiber gewesen sein. 
Wir hatten Evan und Flo gesucht und ihnen davon berichtet, doch sie hatten natürlich auch nichts ausrichten können. Jake hatte Wort gehalten und den Teil mit der Hasenpfote verschwiegen. Das hatte er mir versprechen müssen. Und obwohl die Stimmung zwischen uns immer noch ein wenig gedrückt war, nahm er mir meine Verdächtigungen nicht übel. Trotzdem fühlte ich mich nun gänzlich unwohl in der Schule und wartete nur noch darauf endlich nach Hause fahren zu dürfen. Meiner Meinung nach hatte ich es verdient ein wenig Pause von dieser Hexerei zu haben. 
Die Aussicht auf ein Sommerfest war demnach auch nicht so verlockend wie vor wenigen Stunden, doch vielleicht würde ich mich so von den ganzen Geschehnissen ablenken können. Das, was mich daran jedoch trotzdem deprimierte, war der stundenlange Flug auf dem Besen. 

"Ich will gar nicht wissen, wie sehr einem der Arsch nach fünf Stunden Fliegen weh tut.", beschwerte ich mich und schob den noch vollen Teller von mir weg, woraufhin mich Flo mitleidig über den Tisch hinweg anlächelte. 
"Dafür wird die Aussicht bestimmt total schön sein!", meinte sie aufmunternd, doch Jake, der neben ihr saß, schnaubte nur:
"Es ist doch total bewölkt, wir werden nicht viel sehen."
"Und das, Mr. Sawyer, ist Absicht. Wir haben einen Wetterzauber gewirkt, der sehr kompliziert und komplex war. Alle haben mitgeholfen, sogar ein paar unserer ehemaligen Schüler.", klärte uns Agatha auf, die gerade an unserem Tisch vorbeikam und sehr geschäftig wirkte. Sie trug einen dunkelblauen Reisemantel mit Rüschen und einen tiefschwarzen, langen Rock.
"Im Ernst?", fragte Evan überrascht, woraufhin sie leicht überheblich auflachte:
"Bitte, denken Sie wirklich, dass wir ganz Großbritannien mit einem Haufen Amateurflieger überqueren, ohne Vorkehrungen zu treffen?"
Sie erwartete keine Antwort, sondern rauschte wieder ab, woraufhin ich mit den Achseln zuckte:
"Wo sie Recht hat, hat sie Recht." 

Kurz darauf rief uns Arthur Graham dazu auf die Tische an die Wand zu schieben, damit wir mit der Abreise der älteren Schüler beginnen konnten. Sie würden nämlich noch vor uns auf Saltcliff ankommen, während wir erst in ein paar Stunden losflogen. Unser Gepäck machte sich jedoch mit ihnen auf den Weg, wir alle hatten unsere Koffer bereits im Vorraum der Schule abgestellt.
Nun war ich doch neugierig, immerhin fragte ich mich schon seit gestern wie man mit Hestia reiste. 

"Sieht aus als würden sie den Teufel beschwören.", stellte Florence leise fest, was mir ein schwaches Grinsen entlockte. Wir Erstklässler standen alle etwas abseits von dem, was tatsächlich wie ein wahrer Hexensabbat aussah:
Die Schüler und Lehrer, die nicht mit uns fliegen würden, hatten sich in zwei Kreisen aufgestellt, ein Äußerer und ein Innerer. In der Mitte stand ein riesiger Berg an Gepäck, der von dem flackernden Schein des Kaminfeuers beleuchtet wurde. 
"Irgendeine Idee, was jetzt passiert?", fragte Professor Sokrates, der mit verschränkten Armen und verschmitzt grinsend in unserer Nähe stand. Er und Agatha würden uns auf unserem Flug begleiten. 
"Ganz ehrlich? Keine Ahnung.", gab James zu und zuckte mit den Schultern, woraufhin sich Sokrates erweichen ließ. Verschwörerisch beugte er sich ein wenig zu und wir rückten näher.
"Seht ihr den kleinen Beutel, den Arthur herumgehen lässt?", fragte er leise und wir nickten kollektiv. 
"Darin ist Asche, jeder streut sich etwas davon auf die Handfläche. Es ist ein ganz alter Zauber, der hier angewendet wird. Zündet man irgendwo ein Lagerfeuer an und behält die Asche, so ist es möglich immer wieder an diesen Ort zu reisen. Das liegt daran, dass man eine Spur von sich selbst hinterlässt. Deshalb kann man, wenn man etwas Asche von dem heruntergebrannten Feuer einsammelt, immer wieder dorthin zurückkehren, wo man für zumindest einen Moment zuhause war. Das ist auch der Grund, weshalb man sagt, dass man mit Hestia reist. Sie werden durch das Herdfeuer gehen.", erklärte er woraufhin wir ihn alle ungläubig ansahen. 
"Das funktioniert wirklich?", fragte Dylan kritisch und der Lehrer nickte:
"Du kannst dich gleich selber davon überzeugen."
"Man muss jemandem sehr vertrauen, um ihm Asche zu überlassen, oder?", fragte Flo nachdenklich und kaute auf ihrer Unterlippe herum.
Sokrates nickte freudig, er war ein großer Fan von den Fragen, die sie immer stellte:
"In unserer Welt ist es ein sehr großer Vertrauensbeweis, das stimmt. Gibst du jemandem die Asche zu dem Kamin in deinem Haus, so kann er jederzeit bei dir auftauchen."

In diesem Moment hatte der Beutel wieder Graham erreicht und seinem Zeichen nach nahmen sich alle an den Händen. 
"Passiert es jetzt?", fragte Debbie aufgeregt und wie zur Antwort erhob der Professor seine Stimme: 
"Bereit?"
Manche der Schüler nickten und wir rückten noch ein wenig näher heran, um besser sehen zu können. Ich konnte sehen, wie Graham tief Luft holte und dröhnte:
"favilla!"
Ich kniff die Augen wegen der plötzlichen Helligkeit zusammen, als Funken stoben und die gesamte Menge innerhalb von Sekunden verschwunden war.  Zurück blieb nur der Geruch nach Feuerwerkskörpern und verbrannten Haaren. 

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