Jeder von Agathas Schritten, den sie in die Richtung meines Schreibtischs machte, fühlte sich wie ein Faustschlag an. Es hatte keinen Sinn mehr sie aufzuhalten.
Wortlos streckte die Professorin die Hand aus und hob eine der dicken, weißen Kerzen in die Höhe, um sie dann zu drehen und einen Blick auf die Unterseite zu werfen.
"Ein eingeprägter Widderkopf, so markieren wir hier das Schuleigentum. Ihr habt die Kerzen aus Madame Rosenbergs Unterricht entwendet, nicht wahr? Habt ihr irgendetwas dazu zu sagen?"
Ihre Stimme war so ruhig und unbeeindruckt wie immer, doch ihre Augen sprühten Funken.
"Ich habe sie eingesteckt, Professor. Elizabeth kann Ihnen bestätigen, dass ich es war. Sie hat es schon in der letzten Beschwörungsstunde vermutet."
Noch bevor die Worte meinen Mund verlassen hatten, wusste ich, dass ich verloren hatte. Wahrscheinlich dachten meine Freundinnen jetzt, dass ich einen Heldenkomplex hatte, aber was hätte ich tun sollen? Ich war es gewesen, die sie in dieses Wirrwarr von Umschlägen und Rätseln mit hineingezogen hatte.
Ich fühlte mich miserabel und senkte meinen Blick, doch um Agathas Enttäuschung wahrzunehmen, musste ich sie nicht ansehen.
"Kommen Sie mit, Charlotte. Der Schulleiter wird davon erfahren wollen."Meine Augen brannten, als ich an den Betten meiner Freundinnen vorbeilief und hinter Agatha das Zimmer verließ. Sie würden mich doch nicht von der Akademie verweisen, oder? Konnte das Arcanum einfach Schüler, die noch nicht vollständig ausgebildet waren, zurück in die Welt hinaus schicken?
Normalerweise hätte ich diese Frage mit "Nein" beantwortet, ohne groß zu zögern. Wenn man rein logisch dachte, dann wäre das unverantwortlich und gefährlich. Doch gerade dachte ich ganz und gar nicht logisch. Alles was ich wusste, war, dass ich gegen die Schulregeln verstoßen hatte und die Akademie um keinen Preis verlassen wollte.
Agatha eilte mit wehendem Mantel den Gang entlang, bis wir die Treppe erreichten. Von dort aus ging es mehrere Stockwerke hinab, bis wir Nummer drei erreichten. Es war bekanntermaßen das Stockwerk der Lehrer, was mich trotz meiner ungünstigen Lage neugierig stimmte. Wie sah das Leben der Professoren aus, wenn sie uns gerade nicht unterrichteten?
Der Flur sah sehr ähnlich aus wie der unsere, der einzige Unterschied bestand darin, dass an den Wänden große Ölgemälde hingen. Außerdem hing unerklärlicherweise ein intensiver Geruch nach soeben geschälten Orangen in der Luft.
"Charlie, du mir ein paar Antworten schuldig."
Mit diesen Worten riss Agatha die dritte Tür rechts auf und zog mich hinein, nachdem sie einen prüfenden Blick über ihre Schulter geworfen hatte.
Verwirrt stolperte ich in das Zimmer und fand mich in etwas wieder, das so offensichtlich zu einer Hexe gehörte, wie es nicht einmal ein Spitzhut auf dem Kopf und ein Rabe auf der Schulter könnten. Es konnte nicht das Büro des Direktors sein, da war ich mir sicher.
Dafür erinnerte es mich zu sehr an das Nest einer Elster, die alles Interessante und Glitzernde davongetragen hatte. Riesige Bücherregale, die unter ihrer staubigen Last ächzten, nahmen den größten Teil der Wände ein, doch das war nicht der einzige Grund, weshalb ich die Tapete nicht erkennen konnte. Glänzender, grüner Efeu schien aus dem Nichts zu wachsen und rankte über jede freie Fläche, die sich bot.
Es roch nach Erde und Seeluft, eine Kombination, die mir noch nie begegnet war. Außerdem hingen kleine Windspiele von der Decke, die aus Federn, Glasperlen und bunten Stofffetzen bestanden. Das weit geöffnete Fenster ließ eine seichte Brise herein, in denen sie hin und her schaukelten und ein leises Klingeln von sich gaben.
Es gab keine offensichtliche Lichtquelle, an der Decke hing keine Lampe, wie es in unseren Zimmern der Fall war. Stattdessen schien das Leuchten von überall her zu kommen, beinahe so als ob wir in einem Wald stehen würden und die Sonnenstrahlen durchbrachen die Blätterdecke.
Die Möblierung des Zimmers war so vollkommen in die Atmosphäre eingebunden, dass mir der grazile Schreibtisch aus dunklem, polierten Holz erst auffiel, als Agatha sich dahinter fallen ließ."Nimm Platz!", kommandierte sie und stellte zwei Blechbecher auf den Tisch, in die sie Wasser aus einer Karaffe goss. In Alarmbereitschaft auf eine bevorstehende Standpauke griff ich nach dem Becher und nippte daran. Agathas Katzenblick ruhte immer noch auf mir, der mich, kombiniert mit dem drückenden Schweigen unruhig werden ließ. Ich überlegte, ob ich etwas sagen sollte, doch gerade schien es mir klüger in der Defensive zu bleiben.
Einen weiteren Moment lang traktierte sie mich so mit ihrem Blick, als sie schließlich ihren Becher absetzte und sich vorlehnte:
„Weißt du, Charlotte, ich unterrichte nun schon seit vielen Jahren an der Akademie. Das ist auch der Grund, weshalb ich es mir erlaube, einschätzen zu können wie weit junge Veneficas und Veneficus gehen, wenn sie ihre Kräfte entdecken. Beinahe jedes Jahr fliegt ein Schüler unbeaufsichtigt über die Dächer Londons und wir müssen Vertuschungsmaßnahmen ergreifen, oder es bricht ein Feuer in einem der Schlafsäle aus.
Es ist ein unumgängliches Übel, diese Kombination aus jugendlichem Leichtsinn und den magischen Fähigkeiten. Doch in all den Jahren hat kein Schüler jemals unerlaubt eine Beschwörung durchgeführt, die, darauf lässt die Anzahl der Kerzen schließen, so schwer war.
Die Sicherheitseinweisungen, die Beschaffungsart des Materials, die Tatsache, dass man es mit echten Toten zutun hat, all das war immer Abschreckung genug.
Ich kann eine Gruppe Jugendlicher, die die Hexenkunst erlernt und damit ihre Späße treibt, von etwas anderem unterscheiden!
Also frage ich dich nun, willst du mir irgendetwas sagen?"
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Arcanum - die Akademie der Hexenkunst
FantasyAgatha Young sah mich nachdenklich an, dann blickte sie um sich und zog mich zu einem der Fenster. Mit einem Satz saß sie auf der Fensterbank und bedeutete mir es ihr gleichzutun. Also kauerte ich mich neben sie, woraufhin sich die Frau räusperte un...