Kapitel 7

270 10 0
                                    

Emily und Connor (so hieß der andere Theaterfreak) stürzten sich sofort in die Verhandlungen mit dem Direktor, doch wir alle bekamen davon nichts mit. Die erste Schulwoche und unser Stundenplan, gefüllt mit den ganzen neuen Fächern, erlaubte uns nicht an etwas anderes zu denken.
Am wenigsten konnte ich mich wahrscheinlich für Madame Blackwoods Unterricht begeistern. Ihr Fach Kräuter- und Pflanzenkunde hätte sicher Potenzial gehabt. Doch sie schien gar nicht die Absicht zu haben, in uns eine Liebe zur Natur der Zaubererwelt zu wecken.
Dafür war sie einfach zu biestig.
Die Madame war eher klein und ziemlich dürr. Wenn sie gerade nicht mit schnarrender Stimme Anweisungen gab, presste sie ihre Lippen fest aufeinander, und der strenge, graue Haarknoten verlieh ihr etwas Militärisches. Die Art, wie sie mit den Pflanzen umging, hatte nichts von Hingabe. Es war eher ein Drang nach Recht und Ordnung, der sie die Gärtnerschere führen ließ. 

Dafür verstand ich mich mit den meisten Professoren um so besser. 
In Sokrates brannte eine Liebe zur Geschichte, die mich sofort Feuer und Flamme sein ließ. Er ähnelte dem Abbild seines entfernten Verwandten nur im Geschlecht, sonst sah er völlig anders aus. Er hatte schwarze Locken, die schon von wenigen, grauen Fäden durchzogen wurden, und olivfarbene Haut. Die Anzahl der Anekdoten und Geschichten aus dem Altertum, die er zu kennen schien, war unfassbar. So verzieh ich ihm sogar den Berg an Hausaufgaben, den er uns aufbrummte. 
Den Zaubertrank-Unterricht bei Professor Ardelan empfand ich wie spannendes Kochen. Hielt man sich an die Anleitungen, und schränkte die Fragerei bei jeder ungewöhnlichen Zutat ein, konnte man gute Ergebnisse erzielen. 
Am aufgeregtesten machte mich auf jeden Fall das Fach Beschwörungen bei Professor Jane Rosenberg. Der Grund dafür waren wahrscheinlich die unzähligen Sicherheitseinweisungen, mit denen die erste Woche gefüllt gewesen war. Ob sie überhaupt nötig waren oder nur die Spannung steigern sollten, das konnte keiner von uns einschätzen. Doch egal aus welchem Grund: sie bewirkten, dass wir alle sehr gespannt auf unseren ersten richtigen Beschwörungsunterricht waren. 
Entgegen aller Erwartung stellte sich Elementbeherrschung beim Schulleiter Arthur Graham höchstpersönlich als ziemlich trocken heraus. Laut ihm war nämlich das Theoriewissen unerlässlich, so konnten wir uns endlos mit Formeln und Tabellen beschäftigen. 
Vielleicht war das auch der Grund, weshalb sich der Flugunterricht bei Agatha Young zu einem meiner Tages-Höhepunkte entwickelte...

"Soll ich Ihnen das simple Geheimnis verraten, weshalb Sie fähig sind zu fliegen? Weil die Magie in Ihnen nicht will, dass Sie sterben. Sollten Sie also beispielsweise aus einem Fenster fallen...", ein verschmitztes Lächeln stahl sich auf Agathas Lippen, "...dann kämpft ihr Selbsterhaltungsschutz gegen ihren Tod an. Etwas morbide, nicht? Und das Ziel dieses Unterrichts ist es diesen Reflex kontrollieren zu lernen." 
Sie trug heute einen navyblauen Mantel, eine schwarze Cordhose und eine blumengemusterte Bluse, womit sie in einem starken Kontrast zu unserer Schuluniform stand. 
Wir hatten uns zum Flugunterricht auf dem Innenhof hinter der Akademie eingefunden, der durch das große Schulgebäude von sämtlichen Blicken geschützt war. Dort standen wir und fühlten uns unter den katzengrünen Augen von Agatha Young wie hilflose Mäuse. Sie betrachtete uns, als würde sie überlegen, wen sie als Erstes mit ihrer Pfote in die Luft schleudern und somit das Genick brechen sollte.
Ihre Schnürschuhe klackerten auf dem Kopfsteinpflaster, als sie plötzlich stehen blieb, die Hacken zusammenschlug und auf James zeigte:
"Du da! Komm her zu mir." 
Er sah erschrocken aus, dann warf er seinen Freunden einen letzten Blick zu und bahnte sich einen Weg durch die Schüler. 
"Momentan könnt ihr euch nur in der Luft auf und ab bewegen, wenn ihr von einem höheren Punkt herabfallt. Da das jedoch sehr aufwendig wäre, müsst ihr lernen das Gefühl von selbst heraufzubeschwören. Um es für den Anfang leichter zu machen,..."
Agatha versetzte James einen harten Stoß, woraufhin er nach hinten stolperte, "...werdet ihr eine Situation erzeugen, in dem ihr einen Bruchteil dessen fühlt, was passiert, wenn ihr fallt. Ihr stolpert. Im Idealfall solltet ihr dann langsam lernen zu schweben. 
Los! Stellt euch in Pärchen zusammen und übt, was ich euch gerade gezeigt habe! Erinnert euch an das Gefühl des Fallens!"
Sofort lief James zurück zu seinen Freunden, während sich Sam mit verschwörerischem Blick zu mir drehte. Als Antwort wackelte ich mit den Augenbrauen. 

Für jeden, der nicht verstand was hier passierte, musste es ein unglaublich lustiger Anblick gewesen sein: Ein Haufen Schüler, die sich herumschubsten, während Agatha zwischen ihnen hindurch patroullierte. 
"Sammy, wir kommen so nicht weiter, wenn du dich nicht fallen lässt!" beschwerte ich mich, als ich nun schon zum zweiten Mal auf dem Po landete. Sam zuckte jedoch nur mit den Achseln, woraufhin ich nach ihrem Fußgelenk griff und es ihr unter den Beinen wegzog. 
Und ich konnte es kaum glauben, doch für eine Sekunde schien es so als würde sich ihr Fall verlangsamen. 
Wir hatten nun schon fast die ganze Stunde daran gearbeitet, doch noch niemandem war es gelungen zu schweben. Agatha ermunterte uns jedoch unermüdlich weiter, was mit Sicherheit der Grund war, weshalb noch niemand frustriert die Flucht ergriffen hatte.
"Ich... ich glaube, ich hab' was gespürt!" rief Sam und klopfte sich etwas Staub vom Rock.
"Mach das auch mal mit mir!" antwortete ich und stellte mich vor ihr hin, sie machte aber keine Anstalten mich ebenfalls zu Fall zu bringen. 
"Hey, das ist echt nicht fair...AHHHH!"
Aus dem Nichts hatte mir Sam ebenfalls die Füße unter den Beinen weggezogen. Ich spürte, wie ich dem Boden immer näher kam, doch irgendetwas bremste mich aus. Es fühlte sich wie ein unsichtbares Seil an, das gleiche Gefühl wie bei meinem Fenstersturz! 
Dann kam der Aufprall und ich hielt mir den schmerzenden Rücken. Doch dafür war meine Erinnerung wieder da: ich hatte das Gefühl wiedererkannt!

Leider hatten wir keine Möglichkeit mehr um unsere neuen Erkenntnisse auszuprobieren, denn die Stunde war vorbei. 
"Ich glaube, ich habe jetzt überall blaue Flecken!" jammerte Florence und ich zupfte ihr ein Blatt aus den Haaren. 
"Dafür war das die letzte Stunde vor dem Wochenende!" freute sich Debbie und steuerte die Verbindungstür von Schulgebäude und Innenhof an. 
"Wollen wir noch ein bisschen in den Gemeinschaftsraum gehen?" fragte Sam, woraufhin ich nickte. 

Der Raum sah im Tageslicht, ohne die Musik und den Alkohol, um einiges kultivierter aus. Die anderen drei ließen sich plaudernd auf einem der Sofas nieder, während etwas anderes mein Interesse weckte: 
Unter einem der Fenster stand eine Büste aus schwarzem Gestein, die einen alten Mann mit Schnauzer abbildete. Ich kniff die Augen zusammen und starrte direkt in seine dunkle Pupillen, wobei ich mir Mühe gab nicht zu blinzeln.
"Dieses Blick-Duell wirst du nicht gewinnen!" lachte jemand hinter mir, doch ich wandte mich nicht von der Büste ab:
"Jedenfalls nicht mit dieser Einstellung!"
Ich spürte, wie sich die Person neben mir auf den Boden hockte, also sah ich doch zur Seite. Neben mir kniete Chris.
"Erzähl mal, wer ist dieser Kasper?" fragte ich und deutete auf das Gesicht vor uns. 
"Sein Name ist Obsidian Winmore, er hat das Arcanum gegründet. Leider schon seit einer ganzen Weile tot, selbst die größten Veneficus und Veneficas leben nicht ewig." erklärte er, doch anstatt den verstorbenen Schulleiter direkt anzusehen, spähte er darüber hinweg.
"Sag mal, Charlie..." begann er, "...du weißt doch, dass ich bei der Party letztens was mit deiner Freundin Sam hatte."
"Oh nein, hast du sie geschwängert? Hast du ihr irgendeine Krankheit angehängt?!" fragte ich und sah nun ebenfalls rüber zu Sammy, die sich jedoch arglos mit Flo und Debbie unterhielt.
"Nein, nein! Natürlich nicht! Ich wollte bloß wissen, ob sie... Naja, glaubst du sie will was Längerfristiges von mir?" 
Ich lachte grunzend auf:
"Ich hätte da noch eine viel bessere, innovative und kreative Idee: frag sie doch einfach selber!"
Chris verzog jedoch nur das Gesicht und richtete sich auf:
"Trotzdem danke! Und stör das alte Felsgesicht nicht, bei Gegenständen aus Zaubererbesitz weiß man ja nie so recht." 
Prüfend starrte ich Schulleiter Winmore ein letztes Mal in die Obsidianaugen, dann kehrte ich zu meinen Freundinnen zurück.
Das Gespräch drehte sich gerade darum, was wir an unserem ersten freien Wochenende unternehmen würden. Tatsächlich stammte nämlich keine von uns direkt aus London, nur Debbie lebte nicht allzu weit weg und kam so von Zeit zu Zeit in die Stadt. 
Und so endete der Tag mit der Erkenntnis, dass wir morgen die Hauptstadt unsicher machen würden.

Arcanum - die Akademie der HexenkunstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt