"Es ist nett von dir, dass du mitkommst.", bedankte ich mich bei Florence, während wir durch durch das Gebäude der Akademie spazierten.
Es war bereits später Abend und wir waren auf dem Weg zum Büro des Schulleiters, damit ich dort meine Pfeilspitze abgeben konnte. Ich hatte es möglichst lang hinausgezögert, doch als sich die anderen nach dem Abendessen ins Musikzimmer verzogen hatten, war es mir wie der richtige Moment vorgekommen.
Flo hatte sich mir angeschlossen, ohne dass ich sie überhaupt darum bitten musste.
Von draußen prasselte der Regen gegen die Scheiben und erinnerte mich unwillkürlich an unseren ersten Tag im Arcanum, der sich bereits wie eine Ewigkeit entfernt anfühlte."Ich komme mir vor, als ob ich dem Direktor gerade meinen Schlüssel zur Außenwelt bringen würde.", stellte ich deprimiert fest, worauf mir Flo einen mitleidigen Seitenblick schenkte. Sie dachte kurz nach, dann antwortete sie:
"Falls es dir etwas nützt, ich kann an den Samstagen mit dir hier bleiben. Vielleicht haben die anderen sogar die selbe Idee, dann bist du immerhin nicht alleine!"
Doch ich schüttelte nur den Kopf:
"Ich will dir nicht deine Ausflüge verderben, nur weil ich Ausgangssperre habe. Das gilt auch für Sammy und Debbie."
"Aber ich spreche nicht nur von den beiden, vielleicht bleiben James, Dylan, Evan und Jake auch hier!"
Ich lachte freudlos auf:
"Nein, die gehen bestimmt mit Elizabeth und Clover ins Kino. Apropos, was hältst du eigentlich von den beiden?"
Ich gab mir Mühe den letzten Satz möglichst beiläufig klingen zu lassen, doch als Flo ruckartig ihre Augenbrauen hob, war ich mir sicher, dass ich versagt hatte. Aber dem war nicht so:
"Elizabeth ist mir ziemlich egal. Es ist ihre Sache, wie sie sich verhält. Trotzdem hat mir James erzählt, dass sie an dem Samstag, als wir Evans Tante besucht hatten, nicht aufhören konnte ihren Ausflug als Date zu bezeichnen. Er wollte ihr scheinbar keine falschen Hoffnungen machen, aber sie hat jeden seiner Einwände ignoriert.
Clover kann ich eigentlich gut leiden, sie hat mir angeboten zusammen für das Theaterstück zu lernen."
Grummelnd erwiderte ich:
"Natürlich hat Clover das, weil was kann sie auch nicht? Kein Wunder, dass sie jeder mag."
Flo bedeutete mir, dass wir abbiegen mussten und fragte interessiert:
"Also magst du sie nicht besonders?"
"Doch, genau das ist ja das Problem!"
Nun war Florence stehen geblieben. Selbst im schummrigen Zwielicht des Abends konnte ich ihren einfühlsamen Gesichtsausdruck erkennen:
"Wie sicher bist du dir, dass es ihre Art ist, mit der du ein Problem hast?"
Verzweifelt schlug ich gegen das Treppengeländer und antwortete ein wenig zu laut für die stille Umgebung:
"Ich weiß es nicht, Flo! Ich habe keine Ahnung! Und das ist jedes verdammte Mal so!
Alles was ich weiß, ist, dass ich irgendetwas fühle! Es tut weh, aber ich bin zu blöd um zu verstehen wieso!"
Mein Ausbruch endete so schnell wie er gekommen war, da ich mich mit einem Seufzen auf einer der Treppenstufen niederließ. Behutsam tat Florence es mir gleich und strich mir vorsichtig mit ihrer kühlen Hand über den Arm.
"Willst du mir erzählen, was gerade in dir vorgeht? Vielleicht können wir zusammen herausfinden, was mit dir los ist.", schlug sie vor, woraufhin ich nachdenklich auf meine Hände starrte. Es war einen Versuch wert und ich hatte nicht besonders viel zu verlieren.
Manchmal, wenn zwei Menschen Blickkontakt haben, scheint alles um sie herum zu verschwimmen. Ich finde, es fühlt sich an, als ob man aus dem Schatten hinaus in die Sonne tritt und sich die Wärme ins Gesicht scheinen lässt. Einzig und allein mit dem Unterschied, dass man dieses Gefühl nicht auf der Haut, sondern tief in sich drin spürt.
"Jedes Mal, wenn Clover...-"
Ich hielt für einen Moment inne. Es war mir unangenehm auszusprechen, was mir schon seit einer Weile durch den Kopf schwirrte.
"Es wäre mir vollkommen egal, wenn sie jeden anderen Jungen auf der gesamten Akademie inklusive ganz London so anschauen würde. Aber jedes Mal, wenn sie Jake so ansieht, und ich praktisch sehen kann, wie die Sonne aufgeht und der Schnee schmilzt, dann will ich mir den nächsten Stuhl greifen und damit ein Fenster einschlagen!"Meine Stimme klang belegt und ich hatte einen dicken Kloß im Hals, während ich Flos Blick vermied. Sie hielt mich jetzt bestimmt für unfassbar eifersüchtig. Aber obwohl ich am liebsten die Klappe gehalten hätte, sprudelten meine Gefühle nun hemmungslos über:
"Und das Schlimmste ist, dass ich keine Berechtigung dazu habe, neidisch auf die beiden zu sein! Jake ist mir nichts schuldig und Clover schon gar nicht! Aber trotzdem ertrage ich es nicht, wie sie sich ansehen. Es tut so weh, Flo..."
Ich presste mir meine Hand auf die Brust, genau dort, wo es mir schon einen Stich versetzte, wenn ich nur daran dachte.
"Hör mir zu: Rede dir niemals ein, dass Gefühle und Emotionen keine Daseinsberechtigung haben, nur weil dir der Grund nicht gefällt, weshalb du so empfindest. Du kannst nichts dafür und tust letztendlich nur dir selber weh, indem du deine Gefühle unterdrückst!", warf Flo ein, deren ruhige und klare Stimme nun einen etwas schärferen Ton angenommen hatte. Ich nickte kaum merklich und fuhr deprimiert fort:
"Die Fakten sind bloß so unglaublich frustrierend. Wir gehen erst seit mehreren Wochen auf die Akademie und er verhält sich mir gegenüber nicht bedeutend anders als mit jedem anderen. Aber trotzdem ist irgendetwas passiert, das ich nicht verstehe!"
Und mehr zu mir selbst, als zu Flo, murmelte ich:
"Er könnte mir persönlich sagen, dass ich nicht das Mädchen bin, mit dem er auf ein Date gehen möchte, sondern nur diejenige, die gerade da ist. Trotzdem wäre es genug."
Es war eine Erkenntnis, die mir gerade erst gekommen war, doch sie war erschreckend einleuchtend. Jake könnte mir genau diese Worte ins Gesicht sagen und ich würde mitkommen, weil es mir reichen würde.
Endlich wandte ich mich Florence zu, deren Blick mitleidig und aufmerksam zugleich war. Sie klang beinahe entschuldigend, als sie feststellte:
"Charlie, ich befürchte, du bist verknallt!"
Frustriert schlug ich gegen das Treppengeländer und rieb mir daraufhin meinen nun schmerzenden Handrücken, als ich protestierte:
"Aber das gefällt mir nicht! Es lässt mich dumme Dinge sagen und fühlen! Ich will, dass es aufhört!"
Ich merkte selber, wie kindisch das klang, doch ich fand es äußert berechtigt, trotzig zu reagieren. Wieso waren denn immer alle so glücklich, wenn sie verliebt waren, wo es sich doch so schmerzhaft anfühlte?
"Ich wünschte, ich könnte dir helfen. Aber jeden Tipp, den du von mir bekommst, habe ich aus schlechten Liebesfilmen.", gab Flo zurück, woraufhin ich gegen meinen Willen auflachen musste. Dann wurde ich jedoch wieder ernst:
"Darf ich zu dir kommen, falls ich mit jemandem reden muss?"
Florence nickte und ein Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht:
"Natürlich! Ich bin gerne für dich da."
Ebenfalls grinsend stupste ich Flo mit meinem Ellenbogen in die Rippen:
"Du weißt, dass du auch zu mir kommen kannst, wenn du über irgendetwas reden willst, oder?"
Sie nickte nur leicht, doch ihr warmer Blick war Antwort genug.
Seufzend erhoben wir uns, um uns dann weiter auf den Weg zum Büro des Direktors zu machen.
"Weißt du, ich bin zwar beeindruckt, dass ich Jake nach der verhältnismäßig kurzen Zeit schon so sehr mag. Aber wir beide haben das übertroffen, oder meinst du nicht?", meinte ich grinsend zu Flo, während wir in den nächsten Gang einbogen.
Sie nickte zustimmend, während wir das Stockwerk der Lehrer betraten:
"Es fühlt sich an, als ob wir uns schon viel länger kennen würden!"
"Flo, wenn du ein Lied wärst, dann definitiv Here Comes The Sun von den Beatles!"
Überrascht hob sie die Augenbrauen:
"Ist das dein Ernst? Es ist mein absolutes Lieblingslied!"
Ich hätte gerne enthusiastischer reagiert, doch genau in dem Moment hatten wir die Tür erreicht, durch die mich Agatha heute Vormittag zum Schulleiter gebracht hatte.
"Du wartest besser hier.", murmelte ich Flo zu, bevor ich zögerlich anklopfte.
In der ganzen Aufregung hatte ich völlig vergessen, warum wir überhaupt hier waren.Professor Graham schien kein bisschen an seiner Entscheidung zu zweifeln, als er mir die Pfeilspitze aus der Hand nahm und sie kommentarlos in einen sehr stabil aussehenden Kasten einschloss. Doch das war wirklich keine Überraschung für mich, ganz im Gegensatz zu einem anderen Umstand:
Zusätzlich zu dem rothaarigen Schulleiter war auch Agatha mit anwesend, die mich die ganze Zeit über mit einem prüfenden Blick bedachte. Sie ließ mich nicht aus den Augen, was mich nicht mehr hätte verunsichern können.
Dafür war alles, was sie sagte, ziemlich harmlos:
"Ihr Nachsitzen wird darin bestehen, dass Sie verschiedenen Mitgliedern des Lehrerkollegiums bei kleineren Arbeiten helfen werden. Morgen werden Sie bei Professor Finch Dokumente sortieren und anschließend mit Professor Blackwood das Gewächshaus reinigen. Welche Arbeiten für den jeweils nächsten Tag anstehen, wird Ihnen voraussichtlich einer der Professoren mitteilen."
Ich nickte stockend und durfte wieder gehen, auch wenn mir der mahnende Blick des Direktors zeigte, dass er kein Vertrauen darin hatte, ob ich auch wirklich in mein eigenes Zimmer zurückkehrte.
Nur mühsam verkniff ich mir den Spruch "Ich hoffe, Sie haben alle Gegenstände in ihrem Büro katalogisiert, sonst wissen sie ja gar nicht, was dieses Mal meiner Kleptomanie zum Opfer gefallen ist." und kehrte zu Flo zurück.
Die wippte gerade auf ihren Fußballen vor und zurück, wobei sie ein wenig nervös aussah.
Das konnte ich ihr nicht verübeln, der Gang war nur spärlich beleuchtet und somit dementsprechend gruselig.
"Hast du nochmal Ärger bekommen?", fragte sie mich leise, woraufhin ich nur den Kopf schüttelte.
"Aber das Nachsitzen geht ab morgen los, ich muss doch tatsächlich...-"
Sofort verstummte ich. Ein dünner, goldener Schein drang zwischen der Tür und dem Türrahmen des Büros hervor und durchschnitt die Dunkelheit wie ein Schwert. Ich hatte aus Versehen die Tür nicht ganz zugezogen.
Aufgeregt vergrub ich meine Finger in Flos Arm, die daraufhin leicht zusammenzuckte.
Es waren die leisen Stimmen des Direktors und Agathas, die uns davon abhielten, auf direktem Weg zu verschwinden.
Denn was sie sagten, war hoch interessant.
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Arcanum - die Akademie der Hexenkunst
FantasyAgatha Young sah mich nachdenklich an, dann blickte sie um sich und zog mich zu einem der Fenster. Mit einem Satz saß sie auf der Fensterbank und bedeutete mir es ihr gleichzutun. Also kauerte ich mich neben sie, woraufhin sich die Frau räusperte un...