Kapitel 24

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Obwohl ich es mir nur ungern selber eingestand, gab es einen ziemlich überzeugenden Grund, weshalb ich nicht einfach krank spielte. Die Vorstellung, dass ich in meinem Bett lag, während Jake und Clover gemeinsam ihre Szenen probten, war einfach unvorstellbar.
Also raffte ich mich auf und machte mich gemeinsam mit den anderen auf den Weg zu Emilys Zimmer. 
Offenbar war heute nicht die gesamte Theatergruppe versammelt, da Emily und Connor nicht alle von ihrem Wochenend-Ausflug abgebracht hatten, doch wir waren genug um ein paar Szenen zu proben.

"Athene, glaubst du wirklich, das könnte Paris von dir überzeugen? Wenn ich er wäre, dann...-"
"Ich glaube, Connor will sagen, dass ein bisschen mehr Ausdruck in deinem Gesicht von Vorteil wäre!", unterbrach Emily ihren Co-Regisseur, während ich mit finsterem Gesichtsausdruck auf das dunkelblaue Heftchen in meinen Händen starrte, in dem das Stück geschrieben stand. Ich hatte nämlich noch keine Zeit gefunden um meinen Text zu lernen.
"Nochmal von vorne! Hera, bist du bereit?", kommandierte Connor, woraufhin sich alle wieder in Startposition brachten.

Natürlich hatte Clover ihre Zeilen bereits perfekt drauf, als sie zu säuseln begann:
"Ich weiß, dass du dich längst für mich entschieden hast, Paris, doch ich spüre deine Furcht vor dem Zorn meiner Rivalinnen. Aber bedenke, ich sitze neben Zeus auf dem Götterthron und kann Tag und Nacht, selbst im furchtbarsten Sturm, meine schützende Hand über dich halten."
Dabei klang sie so bestimmend und anmutig zugleich, dass ich nicht umhin kam sie für ihre Darstellung zu bewundern. Auch Jake schien ihre Interpretation der Hera zu gefallen, denn er sah sie unentwegt an. Clovers Augen leuchteten, als sie die dunklen Wimpern niederschlug und sich plötzlich erwartungsvoll zu mir drehte.
 Mist! Ich hatte wieder mal meinen Einsatz verpasst.
"Bedenke, Paris, dass mich kein Weib geboren hat, sondern ich waffenklirrend aus dem Haupt des Göttervaters gesprungen bin!", begann ich, wobei ich aus dem Augenwinkel sah, dass Connor strafend den Kopf schüttelte. Selbst ich wusste, dass ich ein paar Wörter durcheinandergebracht hatte, doch er tat so, als ob damit die gesamte Aufführung zum Scheitern verurteilt war! So langsam hatte ich keine Lust mehr. 
Also fuhr ich fort:
"Somit bin ich seine Lieblingstochter. So sehr meine Widersacherinnen dir auch drohen mögen, keine wird dir Schaden zufügen können, selbst Hera nicht!"
Dabei hatte ich mich in Jakes Richtung gedreht und heftig mit den Augenbrauen gewackelt, um ihm dann auffällig unauffällig zuzuzwinkern. Er grinste nur zurück und hob ebenfalls die Augenbrauen, als uns ein wütender Connor unterbrach:
"Nein, ihr dürft nicht flirten! Aphrodite kann das machen, aber nicht Athene!"
"Aber ich war ziemlich überzeugt und das war doch deine Anweisung, oder?", fragte Jake amüsiert, während ich mir Mühe gab möglichst ernsthaft dreinzuschauen, um Connor nicht noch mehr gegen mich aufzubringen.
"Vielleicht machen wir vorerst mit Flo und Jake weiter. Charlie, du kannst eine Pause machen! Du auch, Clover! Bei dir war alles bestens.", meinte Emily, bevor ihr Kollege etwas dazu sagen konnte, woraufhin ich schnurstracks zu den anderen Zuschauern lief und mich auf den Boden setzte. 

Zu meiner Überraschung folgte mir Clover und ließ sich freundlich lächelnd neben mir fallen:
"Mach dir keine Gedanken wegen Connor. Ich finde du spielst sehr ...ungewöhnlich, es ist ziemlich unkonventionell. Aber das macht Kunst aus, oder?"
"Danke, ich finde du machst das auch super.", gab ich plump zurück und bereute sofort, dass ich mich nicht rhetorisch geschickter ausgedrückt hatte. Wir schwiegen einen Moment, indem ich unauffällig zu Clover sah, die ihrerseits die Schauspieler beobachtete. Dabei spielte sie unablässig mit einer Strähne ihres hellbraunen Haares herum, die sie immer und immer wieder zu einem dünnen Zopf flechtete. 
"Wir sollten einmal alle zusammen unsere Texte lernen, ich glaube, dass es in der Gruppe mehr Spaß als alleine macht.", stellte Clover fest, während wir James dabei zusahen, wie er dramatisch auf die Knie fiel. Warum musste sie denn unbedingt auch noch so nett sein?
"Ja, das sollten wir wirklich!", antwortete ich und versuchte nicht abweisend zu klingen. 
"Meinst du, hätten die anderen auch Lust? Florence, Evan ...und Jake?", fragte sie weiter, woraufhin ich mir in die Innenseite meiner Wange biss. Niemals hatte ich mir die Betonung, die sie auf den letzten Namen gelegt hatte, nur eingebildet. 
"Keine Ahnung, frag' sie besser selber, bevor ich falsche Versprechungen mache.", gab ich betont unbeteiligt zurück, woraufhin Clover nickte. 
Wieder schwiegen wir kurz, wobei ich beobachten konnte, wie sie mehrmals zum Sprechen ansetzte, bevor sie leise meinte:
"Du und Jake, ihr seht euch öfter, nicht wahr? Weißt du zufällig, ob er eine Freundin hat?"
Eine Welle der Eifersucht, von deren Intensität ich nichts geahnt hatte, überrollte mich so überraschend, wie es mir erst selten in meinem Leben passiert war.
 Ich hatte es gewusst! Sie war in Jake verknallt!
"Ja, ich glaube wir verstehen uns ganz gut.", beantwortete ich ihre erste Frage, um ein wenig Zeit zu schinden. Natürlich bestand mein erster Instinkt darin, Clover mit einer erfundenen Freundin in seiner Heimatstadt abzuschrecken, doch ich ahnte schon jetzt, dass mir diese Lüge früher oder später um die Ohren fliegen würde. Aber ich hatte auch keine Lust darauf, es ihr allzu leicht zu machen. Also fuhr ich fort:
"Trotzdem habe ich keine Ahnung ob er eine Freundin hat. Er hat zwar nie etwas erzählt, aber das könnte auch ein Zeichen dafür sein, dass es ein sensibles Thema ist."
Als Antwort kam von Clover nur ein leises "Oh.", bevor wir erneut in Schweigen verfielen. 

Meine Rettung war schließlich Flo, die mich, nachdem ihre Szene fertig geprobt war, an den Händen auf die Beine zog. 
"Ich will dir was Hübsches zeigen.", murmelte sie leise, bevor sie mich durch das Zimmer führte, bis wir an einem der Fenster standen. Mit zusammengekniffenen Augen sah sich Florence um, dann zeigte sie in den Raum hinein:
"Da, siehst du's?"
Verwirrt blickte ich in die Richtung, in die sie deutete, doch ich konnte bis auf das alte Laken, das Emily als Sichtschutz aufgehängt hatte, nichts Außergewöhnliches erkennen. 
"Flo, was genau meinst du?", hakte ich nach, woraufhin sie leise seufzte:
"Die Art, wie das Licht von der Schreibtischlampe von hinten das Laken beleuchtet, sieht aus, als ob sich daraus etwas machen lassen könnte. Aber wahrscheinlich ist es eine blöde Idee, ich dachte bloß..."
"Nein, die Idee ist mit Sicherheit nicht blöd! Ich will hören, was du dir gedacht hast!", unterbrach ich Flo und blickte sie streng an, woraufhin sie mit einem vorwurfsvollen Blick konterte.
"Ich hatte die Idee, dass wir einen Teil des Stücks mithilfe von Schattenspielen erzählen könnten."
Mir klappte die Kinnlade herunter und ich hatte plötzlich das dringende Bedürfnis meine Freundin zu umarmen:
"Du bist genial! Wir sollten das ausprobieren! Warte hier und sag' mir danach wie es ausgesehen hat!"

Sofort hatte ich das Zimmer durchquert und mich an der Wand vorbei hinter das Laken gedrängt, wo ich eine von Emilys Mitbewohnerinnen beim Lernen störte. Aber mehr als einen bösen Blick hatte sie nicht für mich übrig, als ich probeweise hinter dem Laken herumstolzierte, während mich das Licht von hinten beleuchtete. Als ich zurückkehrte, hätte Florence nicht begeisterter sein können:
"Es sieht so märchenhaft aus! Als würde man in einer anderen Welt wandeln, einfach wunderschön!"
Sofort beschlossen wir Flos Idee den anderen vorzutragen, doch wir kamen nicht weit:

"Wieso sollten wir etwas ändern? Weißt du, wie lange wir schon an dem Stück arbeiten? Eine Ewigkeit! Wir fangen jetzt nicht mit Abänderungen an, nur weil du denkst, dass....", schimpfte Connor, kaum hatte Flo die Worte "Vorschlag" und "Änderungen" erwähnt. Er stand in der Mitte des Zimmers und hielt sein Heftchen umklammert, während unsere Freunde so etwas wie einen unordentlichen Halbkreis um ihn und Flo gebildet hatten.
"Du hast sie doch noch gar nicht ausreden lassen!", meinte James und sah Connor verständnislos an, vor dem Florence stand, die um mehrere Zentimeter geschrumpft zu sein schien. 
"Das muss ich auch nicht! Wir haben einen Plan und...", erwiderte er, woraufhin Sammy einwarf:
"Ja ja, schon die ganze Zeit redest du von deinem Plan, aber der wird nicht besonders lange durchführbar sein, wenn dir irgendwann die Schauspieler weglaufen, weil du nicht aufhörst uns herumzukommandieren!"
Connor wollte gerade etwas erwidern, als Jake dreckig grinsend meinte:
"Nervt ganz schön, wenn man unterbrochen wird, oder?", und als der Ältere erneut zum Sprechen ansetzte, hinzufügte:
"Keine Sorge, ich kann das den ganzen Tag, wenn es sein muss."
"Aber Emily und Connor haben sich doch bestimmt etwas bei ihrem Stück gedacht, oder?", fragte Clover besorgt, woraufhin June, die neben ihr stand, nur verächtlich schnaubte:
"Kein Grund jeden kreativen Vorschlag sofort abzuwürgen! Florence hat sich nämlich auch etwas bei ihrer Idee gedacht."
Ohne hinschauen zu müssen wusste ich, dass Debbie gerade bewundernd zu ihr hinüber sah. 
"Die Demokratie entscheidet, Connor. Wir sollten Flo zuhören.", warf Emily ein, woraufhin Florence sie dankbar anlächelte:
"Ich habe bloß die Schatten auf dem Laken dort gesehen und mir gedacht, dass wir mit Schattenspielen arbeiten könnten...-"
Doch Connor konnte es einfach nicht lassen.
"Weißt du eigentlich, was das für ein organisatorischer Aufwand ist?", fragte er verärgert, woraufhin ich schon zum Protestieren ansetzte, als mir Evan zuvor kam:
"Was genau ist dir an der völlig normalen, menschlichen Kompetenz des Zuhörens so fremd, dass du es nicht auf die Reihe kriegst für 30 Sekunden lang die Klappe zu halten, um jemand anderen sprechen zu lassen? Hörst du dich so gerne reden? Musst du dein Ego wirklich darauf stützen?"
Seine Stimme war nicht laut, doch trotzdem schaffte er es so bedrohlich zu klingen, dass ich an Connors Stelle für die nächsten 24 Stunden geschwiegen hätte. Doch er wusste wohl anscheinend wirklich nicht was gut für sich war:
"Sag mir nicht was ich tun soll!", keifte er, woraufhin mir endgültig der Geduldsfaden riss:
"Verdammt noch mal, wenn du Flo jetzt nicht reden lässt, dann kauf' ich mir die größte Clownshupe, die man in London finden kann und jedes Mal, wenn du etwas sagen willst, dann hupe ich so laut, dass die Nachbarn wegen Lärmbelästigung die Polizei rufen!"
Ich vermutete, dass es weniger mit meiner Drohung sondern eher mit Evan zu tun hatte, aber endlich verstummte Connor und Flo brachte ihre Idee vor. Und so intensiv, wie Connors Abneigung gegen die Änderungen war, so sehr liebte Emily den Vorschlag mit den Schattenspielen. Doch mit unangenehmen Begegnungen war es heute nicht vorbei: 
noch heute Abend musste ich dem Direktor meine Pfeilspitze bringen.



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